Auf der Suche nach einem Alzheimer-Medikament. Von Georg Jocher
Forschung
Fast 115 Jahre nach der Erstbeschreibung durch Alois Alzheimer (1864-1915) ist die Alzheimer-Forschung noch immer den pathologischen Veränderungen, die erstmals im Gehirn der Patientin Auguste Deter gefunden wurden, auf der Spur. Am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Großhadern versammeln sich exzellente Wissenschaftler, um die molekularen Ursachen dieser unheilbaren Erkrankung bis ins letzte Detail zu entschlüsseln. Ein zentraler Aspekt der Erkrankung ist die Produktion von Eiweißablagerungen, die durch Spaltung des Alzheimer-Vorläufer-Proteins (APP: amyloid precursor protein) entstehen. Da dies ein natürlicher Prozess ist, der im gesunden Menschen in jeder Sekunde des Lebens passiert, ist es auffällig, dass manche Menschen ein Krankheitsbild entwickeln und andere bis ins hohe Alter mit geistiger Agilität gesegnet sind.
Genetische Analysen gaben nun eindeutig darüber Aufschluss, dass unser Erbgut ganz entscheidend bei der Bildung und dem Management dieser Eiweißablagerungen beteiligt ist. Veränderungen im Erbgut (Mutationen) führen zu einer erhöhten Freisetzung und einer damit einhergehenden Ablagerung des APP. Das APP wird durch sogenannte „molekulare Scheren“ von der Zelloberfläche unserer Nervenzellen abgeschnitten und ins Zelläußere abgegeben. Eine dieser Scheren trägt den Namen BACE1 (englisch: beta amyloid cleaving enzyme 1), welche als Produkt das lösliche „Beta-Amyloid“ erzeugt und in weiterer Folge verklumpt (siehe Abbildung 1). Eine grundlegende Idee zur Behandlung von Alzheimer ist demnach, BACE1 in seiner Aktivität zu behindern, um die Entstehung neuer Eiweißablagerungen peu à peu zu reduzieren. Viele bereits etablierte Firmen aber auch Start-up-Unternehmen haben den Versuch gewagt, dieses Enzym pharmakologisch zu hemmen. Im Zuge dessen wurden diese Medikamente bereits klinisch getestet. Jedoch gab und gibt es bis dato keinen durchschlagenden Erfolg der BACE1-Inhibitoren. Der Grund: Nebenwirkungen oder keine relevante Verbesserung im Vergleich zur Placebo-Gruppe. Ironischerweise war eine Nebenwirkung eine erhebliche Verschlechterung der kognitiven Leistungsfähigkeit – sehr schlecht, wenn man eigentlich genau darauf abzielt, diese zu verbessern.
Die Nadel im Heuhaufen
Die genetische Wissensbasis ist wasserdicht, das Medikament hemmt hervorragend, warum also keine Verbesserung? Diese Frage stellen sich derzeit viele Wissenschaftler und die Antwort ist ebenso kurz wie präzise: Man weiß es nicht. In meiner Promotion im Labor von Professor Stefan Lichtenthaler beschäftige ich mich mit der Frage, wie sicher und präzise die Hemmung von BACE1 tatsächlich ist. Dazu führen wir molekulare Screenings durch, die darauf abzielen, andere Moleküle zu finden, die ebenso wie das APP durch BACE1 gespalten werden. Inzwischen sind bereits 44 BACE1-Substrate bekannt. Welches dieser Substrate für die auftretenden Nebeneffekte verantwortlich ist, ist jedoch nicht abschließend geklärt. Mit Hilfe verschiedener Zellkulturtechniken sowie molekularbiologischer Methoden versuche ich in Zusammenarbeit mit meinen Kollegen, die physiologische Funktion dieser Spaltprodukte zu erforschen. So ist es uns beispielsweise gelungen, die Funktion eines Substrats, das die Aktivität von Glutamatrezeptoren steuert, welche wiederum die Signalübertragung des lebenswichtigen Neurotransmitters Glutamat vermitteln, näher zu verstehen. Ein weiteres von uns identifiziertes Substrat steuert hingegen die Kommunikation zwischen dem Nervensystem und den Mikroglia – den Immunzellen des Gehirns. Ableitend von diesen Erkenntnissen muss die Verwendbarkeit der BACE1-Inhibitoren neu beurteilt werden.
Alles nur ein aussichtsloses Unterfangen?
Bei der schier endlosen Komplexität der BACE1-Biologie kommt man als Wissenschaftler durchaus ins Grübeln und glaubt manchmal nicht mehr so recht daran, dass die großen Probleme, die mit der BACE1-Inhibition verbunden sind, zu lösen sind. Ein Hoffnungsschimmer kommt allerdings von der Tatsache, dass natürliche Varianten des APP gefunden wurden, die das Risiko einer Alzheimer-Erkrankung drastisch senken. Diese genetische Veränderung wurde häufig in Island entdeckt, die nichts weiter macht als die Spaltungsrate des APP um circa 25 Prozent zu senken. Allein dies ist scheinbar ausreichend, um sein ganzes Leben vor einer Alzheimer-Demenz gefeit zu sein. Vergleicht man diese natürliche Hemmung jetzt mit den klinischen Studien, bei denen die Dosis so angepasst war, dass BACE1 fast vollständig gehemmt wurde, kann man mit gutem Grund argumentieren, dass zwar die grundsätzliche Idee der BACE1-Hemmung richtig ist, die bisherige Durchführung allerdings fehlerhaft war. In weiteren Studien soll nun geklärt werden, ob eine geringere Dosis zum gewünschten Erfolg führt und dabei keine relevanten Nebeneffekte auftreten, die durch die Beeinflussung der anderen BACE1-Substrate zustande kommen. Wer weiß, vielleicht ist der Dauerzustand Krise in der Alzheimer-Forschung nur eine Momentaufnahme und wir können bald mit Stolz auf unsere Forschung blicken, die ein Medikament für die Alzheimer-Prävention hervorgebracht hat. Wir bleiben optimistisch!
- Name: Georg Jocher, M.Sc.
- Fachbereich: Molekularbiologie
- Institut: Neuroproteomik
- Universität: Technische Universität München
Der Autor ist seit Juli 2020 in der Promotionsförderung der FNF. In seiner Dissertation forscht er zu dem Thema „Mechanismus-basierter Nebenwirkungen der BACE1-Hemmung zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung“.
freiraum #70