Am vergangenen Freitag fand im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin der VSA-Jahresauftakt 2023 statt. In einer Gesprächsrunde diskutierten Ahmad Mansour und Karoline Preisler das Thema: "Sind extreme Haltungen die neue Normalität? Wo die freiheitliche Gesellschaftsordnung 2023 besonderes Engagement braucht." Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von der Extremismus-Expertin Rebecca Schönenbach. Im Anschluss gab es die Möglichkeit zum persönlichen Austausch. Von Helene Wirth
Die Medienlandschaft wird seit Jahren zunehmend von heiklen Themen heimgesucht, die scheinbar nur eine „richtige“ Seite haben und noch bevor es zu einem sachlichen Diskurs kommt, werden sie häufig um des lieben Friedens willen tabuisiert. Wäre eine verlängerte Laufzeit der Atomkraftwerke klimafreundlicher als Lützerath abzubaggern? Welche Schlüsse lassen sich aus den Silversterkrawallen in Neukölln über den Misserfolg von Integration ziehen? Welche Relevanz haben gegenderte Zeugnisse in Zeiten von Lehrermangel und zunehmender Gewalt an Schulen? Darf man noch AfD-Vertreter zu Podiumsdiskussionen einladen?
Komplizierte Fragen, manch einer würde sie sogar als gefährlich bezeichnen. Gefährlich, weil schon eine falsch verstandene Aussage schnell zu Hasskampagnen der moralisch, ach so überlegenen Gegenseite führen kann. So wird aus der liberalen Karoline Preisler, die selbst bereits als Teenagerin unter dem DDR-Regime gelitten hat und von der Stasi bespitzelt wurde, schnell die böse Linke und aus dem arabischen Israeli Ahmad Mansour, der sich für eine bessere Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund einsetzt, ein Nazi.
Preisler und Mansour berichteten jeweils über ihre Erfahrungen mit fehlender Diskursbereitschaft und einseitiger Moralisierung. Als zentrale Herausforderung kann wohl die Abstinenz von Offenheit für andere Meinungen ausgemacht werden. Statt sich miteinander zu unterhalten, einander zuzuhören und die besten Argumente auszutauschen, blieben die Fronten oft von vornherein verhärtet. Dabei würden Debatten durch Beleidigungen und Totschlagargumente im Keim erstickt.
Daher ist es unser aller Aufgabe, uns wieder für eine offene Debattenkultur in Deutschland einzusetzen. Demokratie heißt nicht Konsensfindung, sondern sachliches Streiten um die besten Argumente, ohne unliebsame Positionen von vornherein vom Diskurs auszuschließen. Der Titel „Demokratie aushalten“ von Karoline Preislers Buch kann somit als Auftrag an uns alle verstanden werden!
Dass der VSA-Jahresauftakt im Hans-Dietrich-Genscher-Haus stattfand, bleibt nicht ohne Symbolkraft. Schließlich hat schon Genscher die Notwendigkeit erkannt, sich die Interessen anderer vor Augen zu führen, ohne die eigenen Werte aufzugeben. Er selbst hat es einmal so ausgedrückt: "Den guten Lotsen erkennt man an der ruhigen Hand und nicht an der lautesten Stimme."