Seit Anfang des Jahres leitet Dr. Katja Hartmann die Begabtenförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Freiraum Chefredakteur Constantin Eckner hatte die Gelegenheit mit der promovierten Philologin über die Ausrichtung der Begabtenförderung, den Wert der Stipendiatenschaft für die gesamte Stiftung und vieles mehr zu sprechen.

Interview

 


freiraum: Frau Hartmann, was war in Ihrer bisherigen Amtszeit Ihr erfreulichstes Erlebnis?

Dr. Katja Hartmann: Das war die Begegnung mit diversesten Gruppen. Es hat mich gefreut, die Stipendiaten kennenzulernen, den Sprecherrat kennenzulernen. Das Strategieforum vor einiger Zeit fand ich sehr lebendig. Genauso wie die Auswahltagung. Ich habe die unterschiedlichsten Charaktere getroffen, unser Hauptklientel kennengelernt. Nach und nach treffe ich auch die Vertrauensdozenten. Das waren bereits tolle Highlights.

Jedes Schiff braucht einen Kapitän. Doch nicht jeder Kapitän ist gleich. Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?

Mein Führungsstil ist von Teamgeist geprägt. Ich möchte das ganze Team ansprechen. Ich bin Dialogorientiert. Ich teile viele Infos mit meinem Team und binde Mitarbeiter ein. Ich bin keine Solotänzerin. Die Begabtenförderung läuft nur im Team. Wir haben verschiedenste Bereiche, die die Kolleginnen und Kollegen abdecken. Wichtig ist dabei die Verzahnung.

Wie wurden Sie vom Team aufgenommen?

Sehr offen und freundlich. Man hat sich gefreut, mich als Leiterin zu begrüßen. Zumindest kam es mir so vor. (lacht) Nun haben wir wieder fast wieder ein „ganzes“ Team beisammen.

Welche Rolle spielt die Begabtenförderung innerhalb der Stiftung?

Ich hoffe, es ist eine der zentralen Bereiche in der politischen Bildungsarbeit. Und die politische Bildungsarbeit ist wiederum – neben der internationalen Arbeit – zentral in der Naumann-Stiftung. Es ist schön, mit vielen jungen Menschen zu tun zu haben. Sie sind kreativ und den Werten der Stiftung gegenüber aufgeschlossen. Da die Stiftung in Berlin und Potsdam ansässig ist, kann es für jemanden in Heidelberg, Bonn oder auch im Ausland schwierig sein, die Aktivitäten wahrzunehmen. Deshalb wollen wir die lokale Vernetzung ausbauen. Es gibt da verschiedenste Partner. Ich greife einmal Tübingen heraus. Dort gibt es viele Player vor Ort und wir wollen die lokalen Gruppen noch stärker vernetzen.

Zur Vernetzung gehören auch die Vertrauensdozenten. Warum ist aus Ihrer Sicht das Netz der Vertrauensdozenten mit Blick auf das gesamte Bundesgebiet weiterhin so dünn?

Das muss sich ändern. Eines der Projekte, das wir angehen, besteht darin, das Netz an vielen Hochschulen zu verstärken. Es gibt aber auch eine Fluktuation unter den Vertrauensdozenten. Wir berufen viele junge Vertrauensdozenten, die mit der Zeit vielleicht ihren Standort wechseln oder die Wissenschaft verlassen. Vor allem in den Hotspots wie Berlin oder München, aber auch an vielen anderen Orten, müssen wir unser Netzwerk erweitern. Der Wille ist in jedem Fall da, aber wir arbeiten an der Umsetzung. Es ist gar nicht einfach, Professorinnen und Professoren für diese Sache zu gewinnen. Bei Alt-Stipendiaten geht das. Aber auf Menschen zuzugehen, die vorher nichts mit der Stiftung zu tun hatten, gestaltet sich schwierig. Da stellt sich für Professoren schon die Frage, warum sie sich gerade an diese Stiftung binden wollen. Es gibt schließlich auch viele neutralere Stiftungen wie etwa die Fulbright-Kommission oder die Studienstiftung. Das Engagement bei einer politischen Stiftung ist immer auch mit einem Bekenntnis zu den Werten verbunden. Sollte es an den Hochschulen interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben, freuen wir uns auch über Selbstnominierungen oder Nominierungen durch Stipendiatinnen und Stipendiaten.

Worin unterscheidet sich die Naumann-Stiftung mit ihrer Stipendiatenschaft von anderen politischen Stiftungen?

Das, was ich bis jetzt wahrgenommen habe: Die Naumann-Stiftung gibt ihren Stipendiatinnen und Stipendiaten die meisten Freiräume – im wahrsten Sinne des Wortes. Es geht dabei um die Selbstverwaltung, aber auch darum, Dinge selbst auf die Beine zu stellen. In anderen Stiftungen wird vor allem ein Seminarangebot macht. In unserer Stiftung können eigene Themen gesetzt werden, eigene Erfahrungen gesammelt werden. Unsere ideelle Förderung ist ein Alleinstellungsmerkmal.

Wo sehen Sie klaren Verbesserungsbedarf in der Arbeit der Begabtenförderung? 

Es gibt schon eine ToDo-Liste. Wir haben bereits damit angefangen und schauen uns alle Prozesse und Strukturen an – wie zum Beispiel wie der Auswahlprozess gestaltet ist. Wir möchten noch mehr digitalisieren. Wir schauen uns gezielt die Homepage an. Welche Bildsprache wird auf der Homepage verwendet? Ist sie einladend für alle Gruppen? Wie ist der Bewerbungsprozess? Da sind wir knietief in der Auswertung.

Warum bewerben sich nicht mehr Studenten aus den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) für ein Naumann-Stipendium? Sollten sich nicht gerade diese Studierenden mit dem von Rationalität geprägten Weltbild der Stiftung identifizieren können?

Eine interessante Frage. Im Detail kann ich das noch nicht beantworten. Auf den ersten Blick wage ich die Hypothese: Wir sind in den MINT-Kreisen gar nicht so bekannt. Unsere Vertrauensdozenten sind eher in den Sozial- und Geisteswissenschaften verortet. Aber die Vertrauensdozenten sprechen eben auch Studierende an. Wir haben nicht das Netzwerk in den MINT-Fächern. Zudem gibt es dort viel mehr Drittmittelprojekte mit studentischen Hilfskräften. Studierende können also schnell eine Stelle mit inhaltlicher Ausrichtung ergattern. Dadurch gibt es weniger Anreize, sich nach alternativen Fördermöglichkeiten umzusehen. Zum anderen erwarten wir bereits vor der Förderung ein soziales und gesellschaftliches Engagement von unseren Bewerbern. Die MINT-Fächer sind aber anders strukturiert als beispielsweise die Geisteswissenschaften. Es gibt feste Zeiten, Laborphasen und dergleichen. Ferner sind MINTler verstärkt an den Fachhochschulen angesiedelt. Dort ist die zeitliche Einbindung mit Pflichtveranstaltungen eine andere. Sie verpassen dadurch unsere ideelle Förderung. Aber wenn ich die ideelle Förderung gar nicht kenne, interessiert mich das auch nicht. Politische Stiftungen haben schon ein einzigartiges Angebot.

Auf der anderen Seite gibt es viele angehende Mediziner im Förderprogramm. Warum?

In der Tat. Wir sind gut vertreten in der Medizin. Viel ist Mund-zu-Mund-Propaganda. Sie brauchen nur eine kleine Gruppe, die über ihr Naumann-Stipendium redet, schon kommen die Bewerbungen.

Aus den künstlerischen Fachbereichen wiederum gibt es nur sehr wenige Bewerber. Liegt das an der vergleichsweise geringen Anzahl an Studierenden in Deutschland oder hat es tieferliegende Gründe, warum diese Gruppe innerhalb der Stipendiatenschaft fast nicht vertreten ist?

Ja, Studierende von Kunst- und Musikhochschulen haben wir wenige. Wir erhalten aber Bewerbungen von Musikern und vereinzelt Künstlern. Ein Aspekt, der eventuell damit zu tun hat: Dieses Klientel hält sich politisch eher neutral. Aber das ist nur eine Hypothese. Wir sind an den Hochschulen nicht bekannt. Doch das ist die Chicken-Egg-Problematik. Ohne Stipendiatinnen und Stipendiaten gibt es keinen Grund, Vertrauensdozenten zu suchen. Ohne Vertrauensdozenten gibt es aber auch niemanden, der für die Stiftung an den Hochschulen kontinuierlich wirbt.

Sie waren selbst einige Jahre im Ausland. Wie können Sie die vielen Stipendiaten, die es in die Ferne zieht, künftig noch intensiver unterstützen? Oftmals fehlt die Bindung zur Stiftung, wenn jemand ins Ausland geht.

Da haben Sie Recht. Es ist einfacher, wenn man ein Cluster von Stipendiaten hat. Dann werden Stammtische organisiert, es gibt Treffen. Die Situation ist in London anders als in Manchester, Leeds oder Glasgow. Wir arbeiten momentan an einem Kommunikationskonzept, um die einzelnen Gruppen – die Stipendiatenschaft, die Aktiven, die Vertrauensdozenten – anders anzusprechen. Es gibt das Stipnet, aber das funktioniert nicht so gut. Wir wollen etwas anderes, befinden uns im Austausch mit dem Sprecherrat und suchen auch noch den Austausch mit der Stipendiatenschaft. Es sollte etwas geben wie ein Extranet mit News und Angeboten, etwa Praktika aus dem Ausland. Wir versuchen in der Kommunikation etwas anders zu machen. Das Problem besteht vor allem bei jenen, die lange im Ausland bleiben. Viele gehen aber nur ein oder zwei Semester ins Ausland und sind nur für diese Zeit nicht aktiv und kehren dann zurück. Junge Leute müssen ins Ausland. Das unterstützen wir aus vollem Herzen.

Welche zentrale Botschaft haben Sie abschließend an die Stipendiatenschaft, an unsere Leserschaft?

Die zentrale Botschaft lautet, dass wir uns auf die Zusammenarbeit freuen, dass sich alle wohl fühlen sollen. Wir investieren viel Energie, um die Betreuung optimal zu gestalten. Wir freuen uns über Input. Wir wollen sie auf ihrem Weg begleiten und wünschen uns, dass sie auch danach der Stiftung verbunden bleiben.

Da sprechen Sie zum Schluss einen interessanten Sachverhalt an. Warum kehrt doch ein größerer Prozentsatz nach der Zeit in der Begabtenförderung der Stiftung den Rücken?

Da müssen wir nochmal genau hinschauen. Warum sagen sich so viele Leute nach Jahren in der Stiftung, nach Jahren von auch großzügiger finanzieller Förderung, los? Was für ein Bedürfnis besteht für die Zeit danach? Klar, mit dem Studienabschluss beginnt eine neue Lebensphase. Was braucht es da? Oder braucht es erst etwas fünf Jahre später, wenn die Alt-Stipendiaten beruflich etabliert sind? Was für ein Angebot braucht es, um sie zu binden? Diese Fragen stelle ich mir.

Das ist doch ein guter Anknüpfungspunkt, um uns in einem Jahr noch einmal zu unterhalten. Vielen Dank für das Gespräch. 

Zur Person

Nach Studium und Promotion in den USA, in Großbritannien und Deutschland war Dr. Katja Hartmann als kommissarische Leiterin des Auslandsamtes der TU Braunschweig tätig, bevor sie zur Alexander von Humboldt-Stiftung nach Bonn wechselte. Dort war sie unter anderem für die Förderung von ausländischen Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie den Aufbau eines weltweiten Konferenz-Programms für internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zuständig. Anschließend wechselte sie als Leiterin des Hauptstadtbüros der Humboldt-Stiftung nach Berlin. Seit Anfang des Jahres leitet sie die Begabtenförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

freiraum #62