Die verheerenden Folgen europäischer Agrarsubventionen. Von Alice Katherine Schmidt, M.A. zu ihrem Dissertationsprojekt "Auswirkungen der EU-Agrar- und Handelspolitik auf Westafrika im neokolonialen Kontext"

Forschung

 


Vor nun circa zehn Jahren saß ich nichtsahnend auf der Couch und schaute eine Dokumentation. Man muss wissen: Ich schaue leidenschaftlich gern Dokumentationen, aber ich hätte nicht geahnt, dass diese eine für mich und meine Zukunft derart prägend werden würde. Sie hieß „Hühnerwahnsinn – Das eiskalte Geschäft mit Geflügel“. Ich traute meinen Augen und Ohren nicht. Als junge, liberale Abiturientin war es für mich ein unvorstellbarer Zustand, dass der europäische Agrarprotektionismus dafür sorgt, dass in den ärmsten Ländern der Welt Arbeitsplätze verloren gehen. Der Mechanismus ist einfach erklärt: Die EU zahlt pro Jahr circa 60 Milliarden Euro Agrarsubventionen an die eigenen Landwirte aus. Diese Subventionen führen zu einer Überproduktion und sehr niedrigen Produktpreisen in der EU. Was an Agrarprodukten übrig bleibt, wird nach Afrika verschifft und verramscht. Lokale Produzenten in Afrika, die ohne Agrarsubventionen produzieren, können mit der billigen Konkurrenz aus der EU nicht mithalten und es gehen Arbeitsplätze verloren. Arbeitsplätze, die in armen Ländern so extrem wichtig sind.

Ein Welthandel bestimmt vom Agrarprotektionismus

Unser Agrarprotektionismus an sich ist schlimm genug. Dass er aber zusätzlich auch noch die Ärmsten der Armen belastet, hat mich all die Jahre nicht mehr losgelassen. So kam es auch dazu, dass es das Thema meiner Bachelorarbeit wurde. Ich beschäftigte mich zuerst mit dem klassischen Beispiel Geflügel in Ghana, dann aber auch mit Milch in Burkina Faso sowie Tomatenmark im Senegal. Dabei stieß ich auf das große Thema der Handelspolitik mit afrikanischen Ländern: Ich konnte nicht fassen, dass der Agrarprotektionismus der EU und der USA seit dem Zweiten Weltkrieg das größte Hindernis für das Vorankommen multilateraler Abkommen zugunsten eines freien Welthandels ist. Das lockere weltweite Handelsbündnis GATT (General Agreement on Tariffs and Trade), das von 1948 bis 1995 Bestand hatte, sollte eigentlich durch eine starke internationale Handelsorganisation ersetzt werden. Schon damals war der verzerrende Agrarprotektionismus der Industrienationen das bestimmende Thema, weshalb ein Vorankommen kaum möglich war. Letztlich gab es eine Einigung zwischen den USA und der EU (Blair-House-Abkommen), die aber auf wirtschaftswissenschaftlich fragwürdigen Füßen stand. Man unterschied nun zwischen den gekoppelten Agrarsubventionen, die pro produzierte Einheit ausgezahlt wurden, und den (vom Produkt) entkoppelten Agrarsubventionen, die sich an der Größe der bewirtschafteten Fläche orientierten. Die EU wechselte von den gekoppelten zu den entkoppelten Zahlungen und behauptete, dass es nun keinen verzerrenden Effekt mehr gäbe. In meiner gesamten Forschungszeit ist mir bisher keine einzige Studie untergekommen, die diese Unterscheidung rechtfertigen konnte und zum Ergebnis kam, dass entkoppelte Zahlungen keine verzerrende Wirkung hätten. Stattdessen gibt es Studien, die das Gegenteil beweisen.

Aufgezwungene Freihandelsverträge

Seit 1995 gab es nun die WTO (World Trade Organization), die allerdings von Anfang an eine geschwächte Organisation war. Als sich im Jahr 2000 alle einig waren, dass nun ein wirkliches Vorankommen in Sachen Welthandel notwendig sei und Afrika in den Fokus gestellt werden sollte, kam es jedoch abermals zum Eklat: Die afrikanischen Länder bildeten mit den Schwellenländern eine Einheit gegen die USA und die EU, um diese endlich von der Abschaffung der Agrarsubventionen zu überzeugen. Die EU und die USA weigerten sich aber, und so kamen die Verhandlungen der sogenannten Doha-Runde nie zu einem Abschluss. Stattdessen begannen die EU und die USA damit, Freihandelsverträge auszuhandeln. Die beiden größten Märkte der Welt bestimmen dabei maßgeblich die Konditionen und die lauten meist so, dass die Zölle für die subventionierten Agrarprodukte so gering wie möglich gehalten werden. In meiner Masterarbeit an der UC Berkeley verglich ich die Agrar- und Handelspolitik der EU mit derjenigen der USA. Ich kam dabei zu dem Ergebnis, dass die EU eine viel aggressivere Handelspolitik gegenüber afrikanischen Ländern betreibt. Wie im Falle Kenias verhängt die EU im Gegensatz zu den USA nach zu langer Verhandlungsdauer Strafzölle auf wichtige Exportprodukte afrikanischer Länder, um Druck auszuüben. Denn sie wollte für Milchpulver unbedingt einen Zollsatz von 0% im Freihandelsvertrag festlegen. Die kenianische Regierung wehrte sich, weil sie die lokale Milchviehproduktion gefährdet sah. Nach zehn Jahren zähen Verhandelns verordnete die EU auf mehrere wichtige Exportgüter Kenias Strafzölle – unter anderem auf Schnittblumen, die circa 200.000 Arbeitsplätze in Kenia sicherten. Unter diesem Druck kam es dann zu einer Unterzeichnung des Freihandelsvertrags.

Westafrika eine Stimme geben

Mir ist in all der Zeit der Auseinandersetzung mit dem Thema eines besonders aufgefallen: Öffentlich wird der Diskurs vor allem von europäischen Medien, Politikerinnen und Politikern und NGOs bestimmt. Was aus afrikanischer Perspektive dazu gedacht wird, spielt allerdings kaum eine Rolle. Das ist auch der Grund, warum ich mich für meine Doktorarbeit dazu entschieden habe, mit westafrikanischen Farmerinnen und Farmern, Politikerinnen und Politikern, sowie NGO-Vertreterinnen und -Vertretern Interviews zu führen und ihre Einschätzung der Lage aus erster Hand zu erfahren. Ich frage sie in den Interviews, ob die subventionierten Agrarprodukte aus der EU als Nachteil empfunden werden und wie westafrikanische Politikerinnen und Politiker die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen wahrnehmen. Diese Interviews mit den Betroffenen führen zu dürfen, war für mich ein kleiner Traum, seitdem ich von der Problematik das erste Mal gehört habe. Liberia ist das nächste Land sein, das ich in den Blick nehmen werde und ich bin auf die ersten Ergebnisse aus diesen Interviews schon sehr gespannt. 

Zur Autorin

Alice Katherine Schmidt, M.A. ist seit November 2017 Promotionsstipendiatin der FNF und forscht am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Nachhaltige Entwicklung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in ihrem Dissertationsprojekt zu den "Auswirkungen der EU-Agrar- und Handelspolitik auf Westafrika im neokolonialen Kontext"

 

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