Christliche Märtyrerinnen in der spätantiken Geschichtsschreibung. Von Matthias Kuta zu seinem Dissertationsprojekt "Märtyrerinnen in der Geschichtsschreibung des Eusebius von Caesarea"

Forschung

 


Märtyrerinnen? Keine Sorge! Man muss weder einen Heiligenschrein zu seinen Einrichtungsgegenständen zählen noch radikaler Feminist sein, um zum Thema Märtyrerinnen zu forschen. Man muss noch nicht einmal zwingend Theologie studiert haben, auch wenn es zugebenermaßen mein zweites Hauptfach neben Geschichte war. Denn genauso gut stellen Märtyrerinnen einen geeigneten sowie spannenden Forschungsgegenstand für einen Althistoriker dar.

Ein Thema für Historiker?

Althistoriker sind die Geschichtswissenschaftler, die zur Epoche der griechischen und römischen Antike forschen und mit Quellen in lateinischer oder altgriechischer Sprache arbeiten. Sie verfolgen das Ziel antike Gesellschaften besser zu verstehen, zu deren Mitgliedern auch Christen gehörten, die mit der Zeit immer selbstbewusster auftraten, wachsenden Zulauf bekamen und zunehmend an Einfluss gewannen. Keineswegs stieß diese Entwicklung nur auf Gegenliebe, sodass Christen im Zuge von Auseinandersetzungen den Tod fanden und einige anschließend in herausgehobener Weise als Märtyrer und Märtyrerinnen verehrt wurden. Diese Verehrung schlägt sich textlich nicht nur in legendarischen Einzeldarstellungen nieder, die allgemeinhin als Märtyrerakten bezeichnet werden und vorrangig in Gottesdiensten gelesen wurden, sondern auch in groß angelegten Geschichtswerken.

Hier werden Martyriumsberichte für Historiker besonders spannend, da sie nicht mehr nur als einzelne, erbauliche Glaubenszeugnisse in Erscheinung treten, sondern zu anderen Ereignissen in Verhältnis gesetzt werden. Sie werden damit Teil des Geschichtsbilds eines antiken Autors. Für den Theologen ist im Gegensatz dazu eher das einzelne Martyrium an sich und die Theologie, die hinter diesem Glaubenszeugnis steckt, von Interesse. Die Frage würde theologisch gesprochen lauten: Wie wird am Märtyrer als einem schwachen Menschen in der Nachahmung Christi das Wirken der Gnade Gottes offenbar? Für den Historiker sieht die Sache hingegen ganz anders aus. Er fragt nach dem Phänomen und nach den gesellschaftlichen Kontexten. Er will wissen: Aus welchem Grund ist es zum Martyrium gekommen? Warum wird genau dieses Martyrium überliefert? Wie wird mit Märtyrern und Märtyrerinnen Geschichte erzählt?

Der Vater der Kirchengeschichte

In meinem Dissertationsprojekt versuche ich diese Fragen für zwei Werke des Autors Eusebius von Caesarea zu beantworten, der ab 313 Bischof der antiken Stadt Caesarea Maritima war, die an der Küste des heutigen Israels lag. Ich untersuche einerseits seine „Kirchengeschichte“ und andererseits den dazugehörigen Traktat „Über die palästinischen Märtyrer“, der ursprünglich ein Teil der „Kirchengeschichte“ war. Eusebius verfasste die „Kirchengeschichte“ zu Beginn des vierten Jahrhunderts und begründete mit diesem Werk eine neue literarische Gattung, die viele Nachahmer fand und ihm schließlich den Namen „Vater der Kirchengeschichte“ einbrachte. Der Zeitraum, über den das Werk berichtet, reicht von der Geburt Jesu bis zum Jahr 324, in dem Kaiser Konstantin der Große die Herrschaft über das gesamte Römische Reich antrat. Es sind die Jahrhunderte bevor das Christentum zur sogenannten Staatsreligion wurde und in denen viele Christen für ihren Glauben ihr Leben ließen. Unter ihnen habe ich mir die Märtyrerinnen ausgesucht und zum Forschungsgegenstand meiner Arbeit gemacht, da sie im Vergleich zu den männlichen Märtyrern vielfältigere Formen des Martyriums aufweisen und kaum erforscht sind.

Wie wird man zum Märtyrer?

Zum Märtyrer wird man üblicherweise so: In einer Stadt oder Provinz steht das Praktizieren des Kaiserkults an und die Bewohner sind dazu aufgerufen, dem römischen Kaiser ein Opfer darzubringen. Für die meisten Römer, die eine Vielzahl von Göttern verehrten, war dies ein unproblematischer Akt der Loyalitätsbekundung gegenüber dem Herrscher. Nicht so für die Christen, die Monotheisten waren. Selbstverständlich hielten sich nicht alle Christen an das Verbot andere Götter zu verehren, aber dennoch weigerten sich viele dem Kaiser zu opfern und kamen daraufhin vor Gericht. Wer weiterhin bei seiner Entscheidung blieb und sich zudem ausdrücklich als Christ bekannte wurde hingerichtet. Aus der Perspektive der örtlichen römischen Amtsträger waren diese Christen widerspenstige Personen und Störenfriede, die die öffentliche Ordnung gefährdeten. Für die Christen hingegen waren diese Glaubensbrüder standhafte „Zeugen“, was das Wort „Märtyrer“ bedeutet.

Und wie steht es um die Märtyrerinnen?

Die Martyrien der Glaubensschwestern sind einerseits die gleichen wie die der Männer, sie besitzen aber auch eigene Formen. Es mag den modernen Leser irritieren, doch in Verfolgungssituationen war es Frauen erlaubt Suizid zu begehen, der unter diesen Umständen als Martyrium angesehen wurde. Eusebius berichtet beispielsweise von einer verheirateten Frau, die in der späteren Tradition Sophronia genannt wird und von Maxentius, der als Usurpator römischer Kaiser war, begehrt wurde. Bevor sie ihm zugeführt werden sollte, entschwand sie unter einem Vorwand in ihr Gemach und nahm sich dort mit einem Schwert das Leben.

Ein anderer Bericht beschreibt eine weitere Form des Martyriums. Er rankt sich um eine Jungfrau namens Dorothea, die sich Kaiser Maximinus verweigerte, der sie aber so sehr liebte, dass er sie nicht zu töten vermochte. Es heißt, dass sie bereit gewesen sei zur Wahrung ihrer Jungfräulichkeit hingerichtet zu werden, der Kaiser schickte sie aber in die Verbannung. Zwar stirbt sie nicht, doch in den Augen Eusebs ist auch sie eine vollwertige Märtyrerin, die den männlichen Märtyrern in nichts nachsteht, wie er ausdrücklich schreibt.

Dorothea ist nicht die einzige, die ohne zu sterben als Verbannte zur Märtyrerin wurde. Die wohl bekannteste unter ihnen ist Flavia Domitilla, da man die ihr zugeschriebenen Domitilla-Katakomben und die dazugehörige Basilika „Santi Nereo e Achilleo“ noch heute in Rom besichtigen kann. Laut den späten Märtyrerakten waren Nereus und Achilleus die Kammerdiener der Flavia Domitilla, die als Jungfrau den Tod einer Märtyrerin in der Verbannung starb. Davon abweichend überliefert Eusebius, dass sie wegen eines christlichen Zeugnisses nur aus Rom verbannt wurde. Sie sei weder Jungfrau gewesen, noch in der Verbannung gestorben. Andere, pagane Autoren wecken gar den Eindruck, dass sie zum Judentum konvertiert sei oder sprechen von politischen Konflikten. Die Überlieferungslage ist somit höchst widersprüchlich und divers. Nach reichlicher Prüfung der Quellenlage ist aber schlussendlich davon auszugehen, dass die Verbannung politische Ursachen hatte, da Domitilla eine enge Verwandte des Kaisers war. Für Eusebius war sie aber als christliche Märtyrerin nützlich, um Kaiser Domitian, der sie verbannt hatte, als angeblichen Christenverfolger zu inszenieren.

Die Beispiele zeigen, dass jede Märtyrerin anders ist und unterschiedliche Fragen mit sich bringt. Geht es einmal um Unterschiede zu den Märtyrern, so geht es ein anderes Mal um überlieferungsgeschichtliche Probleme. Will man also dem gesamten Phänomen der Märtyrerinnen, das sich aus mehreren Aspekten zusammensetzt, gerecht werden, so muss man zuerst jeden Fall einzeln untersuchen, von denen sich insgesamt 13 bei Eusebius finden. Genau dies hat sich dieses Dissertationsprojekt zum Ziel gesetzt. Denn so wie es nicht das eine antike Christentum gab, kann auch nicht von der einen christlichen Märtyrerin die Rede sein, da sich das tiefere Verständnis des spätantiken Christentums aus seiner Vielfalt ergibt.

Zum Autor

Matthias Kuta ist seit März 2017 Promotionsstipendiat der FNF und forscht im Fachbereich Alte Geschichte / Ass. Mitglied des Leibniz-Projekts „Polyphonie des spätantiken Christentums“ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main; Dissertationsprojekt: "Märtyrerinnen in der Geschichtsschreibung des Eusebius von Caesarea"

freiraum #62