Nicht das aktuelle, sondern vor allem das gewohnheitsmäßige Sportverhalten sorgt für eine bessere Stimmung während der Corona-Krise. Von Sinika Timme

Forschung


Sport ist gut für die Gesundheit. Doch warum der in dieser Zeit häufig gegebene Ratschlag „Geh raus und treib Sport!“ in Zeiten der Krise nur bedingt gut ist, zeigen die Ergebnisse einer aktuellen Studie zum Bewegungsverhalten in Zeiten von Corona.

In kürzester Zeit wurde an der Universität Potsdam ein internationales Forschungsprojekt (International Research Group on Covid and Exercise) mit mehr als 16.000 Teilnehmern aus über 100 Ländern initiiert, welches das Bewegungsverhalten von Menschen vor und nach einer Krise untersucht. Ziel der Untersuchung war es zu erfassen, wie sich das Sport- und Bewegungsverhalten der Menschen unter den Corona-bedingten Einschränkungen verändert – und welche Auswirkungen dies auf das subjektive Wohlbefinden hat.

Die Corona-Krise und die damit verbundenen, notwendigen Einschränkungen der persönlichen Lebensführung fordern dem Einzelnen ein Höchstmaß an Selbstdisziplin ab. Stimmungen, wie beispielsweise Langeweile, wirken sich negativ auf die Einhaltung der Verhaltensregeln zum „social distancing“ aus. Während die Stimmung anfangs noch von Akzeptanz und Verständnis geprägt war, kippt diese zunehmend in der Bevölkerung.

Um etwas für seine Gesundheit und Stimmung zu tun, hört man sowohl von Ärzten als auch von Politikern häufig den wohlgemeinten Ratschlag „Geh raus und beweg dich“. Dies sei doch auch unter den gegebenen Umständen möglich. Doch wie genau es sich mit der Stimmung und dem Sport verhält, ist allerdings nicht so einfach, wie häufig gedacht.

Obwohl sich der Irrglaube hartnäckig hält, ist es erwiesenermaßen falsch zu behaupten, dass Sport allen Menschen gleichermaßen und immer zu besserem Wohlbefinden verhilft.

Dabei ist es wichtig zu unterscheiden, wie es den Menschen einerseits geht während sie Sport treiben und andererseits, was Sport darüber hinaus mit der Stimmung von Menschen macht. Nicht jeder Sport oder jede Form von Bewegung tut jedem Menschen gut. Das Befinden während des Sporttreibens wird vor allem durch die Beanspruchungsintensität und eine kognitive Bewertung (z.B. wird beschleunigte Atmung als positiver erlebt, wenn sie „gewollt“ und „so erwartet“ wird) beeinflusst. Dieses Gefühl beim Sport ist entscheidend dafür, ob sich Menschen langfristig und regelmäßig bewegen und damit einen positiven Effekt für Gesundheit und Wohlbefinden erzielen.
Die aktuellen Umstände der Corona-Krise bieten Verhaltenswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern die Chance, genauer zu untersuchen, was passiert, wenn man Menschen sonst selbstverständliche Möglichkeiten zum Sporttreiben nimmt, und wie sich am anderen Ende des Spektrums diejenigen verhalten, die auch in „normalen“ Zeiten wenig Interesse an körperlicher Bewegung gezeigt haben.

Hierzu wurden von Anfang April bis Anfang Mai insgesamt 16.137 Erwachsene befragt.

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer beantworteten einen online-Fragebogen (in 17 Sprachen verfügbar). Gefragt wurde nach Art und Ausmaß des aktuellen Sport- und Bewegungsverhaltens unter den Bedingungen der Corona-Pandemie, sowie in der Zeit davor. Darüber hinaus kam eine psychologische Skala zur Messung der aktuellen Stimmung zur Anwendung. Darin konnten sich die Teilnehmenden selbst einschätzen, ob sie sich aktuell zum Beispiel „munter“, „verärgert“, „schwungvoll“ oder „gereizt“ fühlen.

Ergebnisse für Deutschland

Etwas mehr als ein Viertel der Menschen in Deutschland, die vor der Krise nie oder nur selten bewegungs- und sportaktiv waren, sind nun auch während der Krise inaktiv. Mehr als die Hälfte derjenigen, die vor der Krise sehr viel Sport getrieben und sich also sehr viel bewegt haben, machen jetzt weniger.

Etwa der Hälfte der Menschen hierzulande gelingt es, ihr Bewegungs- und Aktivitätsniveau aus der Zeit vor der Pandemie aufrechtzuerhalten. Circa 35 Prozent machen weniger und 15 Prozent steigern ihren Umfang an Sport und Bewegung. Etwa die Hälfte derjenigen, die zuvor sportlich aktiv waren, wechselt unter Krisenbedingungen die Sportart bzw. passt die Art der Aktivitätsform auf gegebene Möglichkeiten hin an. Viele steigen vom Fitnessstudio zum Homeworkout um oder gehen draußen Laufen anstatt zum Training im Verein. Insgesamt fallen die Bewegungseinheiten der Menschen dabei eher kürzer und weniger intensiv aus.

Im Vergleich zwischen Bundesländern zeigt sich ebenfalls Interessantes: Menschen, die sich wegen ihrer Landesverordnungen in ihrem Verhalten stark einschränken mussten (z. B. Bayern), sind tatsächlich weniger bewegungsaktiv als Menschen in Bundesländern, die weniger strenge Verhaltensregeln für ihre Bürgerinnen und Bürger definiert haben.

Mit Blick auf die Stimmung zeigen die Daten, dass vor allem das Aktivitätsniveau vor der Krise positiv mit der Stimmung der Befragten zusammenhängt. Menschen, die sich vorher mehr bewegten, fühlen sich insgesamt besser als die, die sich weniger bewegten.
Deutlich wird dabei, dass diejenigen, die vor Corona kaum aktiv waren, im Vergleich zu anderen aktuell schlechter gestimmt sind. Ein augenblickliches Mehr an Bewegung während der Krise wirkt sich hingegen nicht positiv auf die aktuelle Gemütslage aus. Die beste Stimmung finden wir bei Menschen, die ihr gewohnt hohes Maß (vor Beginn der Corona-Krise) an Bewegung und Sport während der Krise beibehalten.

Insgesamt legen die Ergebnisse der Studie nahe, dass ausreichend Sport und Bewegung (etwa im Sinne aktueller Gesundheitsverhaltensempfehlungen) Menschen in „normalen“ Zeiten dabei helfen, besser durch emotional belastende Zeiten zu kommen.

Einordnung der Ergebnisse

Bewegung und Sport tragen nachweislich zum Erhalt und zur Verbesserung der Gesundheit durch körperliche Fitness bei. Dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass man sich Bewegung und Sporttreiben mit Zeit und hinreichender Regelmäßigkeit widmet.
Die Voraussetzungen dafür sind eigentlich bereits gegeben: Gerade im Sport, sei er gesundheitsorientiert oder eher auf Leistungsverbesserung und Wettkampf hin gedacht, gibt es in Deutschland eine Vielzahl gut ausgebildeter Trainerinnen und Trainer, die Gespür und Fachwissen mitbringen, wie Sport und Bewegung auf die derzeitig „richtige“ Art und Weise angeboten werden können (Hygiene-Regeln, Abstandhalten etc.).

In einer Zeit, in der der Gesundheitsversorgung so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, sollten die körperlich, psychisch und sozial positiven Auswirkungen von Bewegung und Sport auf die Gesundheit nicht vernachlässigt werden.

Sinika Timme, M.Sc. forscht in der International Research Group on Covid and Exercise an der Universität Potsdam. Die Sportpsychologin ist seit April 2019 Altstipendiatin und war zuvor in der Grundförderung der FNF.

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