Von Philipp Pordzik
Forschung
Mit dem Strukturwandel der Wirtschaft zu globalen Handelsnetzen ging eine transnationale Erweiterung des Wirkungskreises von Unternehmen einher, die nunmehr nicht zuletzt aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht in der Lage sind, die Lebensrealitäten von Menschen weltweit zu beeinflussen. Die Auswirkungen dieser Entwicklung erwiesen sich als ambivalent. Während sich der Schutzstandard international anerkannter Menschenrechte gerade auch in Ländern des globalen Südens oftmals verbesserte, gerieten auch deutsche Unternehmen wegen ihrer Verwicklung in Menschenrechtsverletzungen immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Vor diesem Hintergrund steht nunmehr das geplante Lieferkettengesetz, mit dem namentlich der Schutz von Menschenrechten in transnationalen Wertschöpfungsketten gewährleistet werden soll.
I. Politischer Hintergrund
1. Internationaler Prozess der Verrechtlichung
Die erste Generation entsprechender Regelungen war durch die Existenz einer Vielzahl freiwilliger und inhaltlich divergierender Standards geprägt, denen sich Unternehmen selbstverpflichtend unterwerfen konnten. Besonderes Augenmerk verdienen dabei die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte aus dem Jahr 2011, denen das von John Ruggie (UN-Sonderbeauftragter für Wirtschaft und Menschenrechte) entwickelte und im Jahr 2008 vorgestellte Konzept Protect, Respect and Remedy: a Framework for Business and Human Rights zugrunde liegt. Ziel der Leitprinzipien war es, der Fragmentierung bestehender Regelungen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte zu begegnen, sie auf kohärente Weise abzubilden und Verbesserungsvorschläge auf Grundlage eines intensiven Konsultationsprozesses mit den beteiligten Stakeholdern zu entwickeln. Neue Rechtsverpflichtungen sollten jedoch nicht begründet werden. Die infolge dieses integrativen und ganzheitlichen Ansatzes gesteigerte Legitimation der Leitprinzipien prädestinierte sie jedoch als Ausgangspunkt für die weitere Auseinandersetzung mit der Thematik der sozialen Verantwortung von Unternehmen, woraus sich ihre Bedeutung im Rahmen der aktuellen Diskussion ergibt. Kernpunkt war insbesondere die Feststellung, dass Wirtschaftsunternehmen die Menschenrechte zu achten haben sowie im Falle ihrer Verletzung angemessene und wirksame Abhilfemaßnahmen zur Verfügung stehen müssen.
Die zweite Generation entsprechender Regelungen war durch einen erhöhten Grad an Verbindlichkeit gekennzeichnet, indem das bisherige Prinzip der Freiwilligkeit durch ein Konzept der regulierten Selbstregulierung ersetzt wurde. So müssen bestimmte Großunternehmen nunmehr verpflichtend darüber berichten, wie sie im Rahmen der Unternehmensführung Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelangen sowie den Menschenrechten Rechnung tragen und welche Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption ergriffen wurden.
Mit dem sogenannten loi de vigilance vom 27. März 2017 hat Frankreich eine dritte Generation entsprechender Regulierungen eingeläutet. Das Gesetz statuiert Sorgfaltsplichten für französische Muttergesellschaften und auftraggebende Unternehmen im Hinblick auf Menschenrechte, Grundfreiheiten, die Gesundheit und Sicherheit von Personen ebenso wie den Umweltschutz. Geschädigten werden im Verletzungsfall Entschädigungsansprüche zugebilligt. Die Regelung wird als wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Verbesserung des Menschenrechts- und Umweltschutzes angesehen. Erstmals in Europa wird die Haftung inländischer Gesellschaften im Rahmen von Menschenrechtsverletzungen, die im Ausland durch Tochtergesellschaften, Subunternehmer und Lieferanten begangen werden, gesetzlich explizit geregelt.
2. Rechtsauffassung der Bundesregierung
Die Haftungssituation nach deutschem Recht ist indes ungeklärt. Bislang sah die Bundesregierung keinen rechtlichen Handlungsbedarf im Rahmen des zivilgerichtlichen Rechtsschutzes. So heißt es noch im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte aus dem Jahr 2017, es solle eine mehrsprachige Informationsbroschüre erarbeitet werden, um von Menschenrechtsverletzungen Betroffene über die nach Ansicht der Bundesregierung vorhandenen Rechtsschutzmechanismen aufzuklären. Von dieser Haltung ist die Bundesregierung nunmehr offenkundig abgerückt. Nach dem Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2018 wird ein legislatives Eingreifen angeordnet, sollte die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen den Anforderungen des Nationalen Aktionsplans nicht genügen. Ausweislich der jüngsten Bestrebungen um ein neues Lieferkettengesetz scheint dieser Zeitpunkt nunmehr gekommen zu sein.
II. Legislative Herausforderungen
Dabei steht der Gesetzgeber vor nicht zu unterschätzenden Herausforderungen. Hierfür ist zunächst die mit der Arbeitsteilung verbundene Effizienzsteigerung des Wirtschaftsprozesses in den Blick zu nehmen. Kann ein Marktteilnehmer ein Wirtschaftsgut mit niedrigeren Opportunitätskosten als ein anderer Marktteilnehmer produzieren, so ergeben sich hieraus komparative Kostenvorteile, deren Realisierung die Wohlfahrt beider Handelspartner steigert. Diese Kostenvorteile drohte eine Einstandspflicht nunmehr zu nivellieren. Um das eigene Haftungsrisiko zu minimieren, wären nationale Unternehmen zur Etablierung umfangreicher und kostenintensiver Kontrollsysteme angehalten. Gleichzeitig bedingte das Haftungsrisiko eine Einschränkung der Verkehrsfähigkeit von Gesellschaftsanteilen, da im Rahmen der Ermittlung des Unternehmenswertes sowohl die aus der Unternehmenstätigkeit der Handelspartner erwachsenden Haftungsrisiken als auch, mit Blick auf den Binnenregress, deren Bonität zu berücksichtigen wäre. Derartige Informationskosten träten neben gesteigerte Kontrollkosten und erhöhten gleichzeitig die Kosten einer Eigenkapitalisierung.
Hält man sich nun das legislative Anliegen eines gesteigerten Schutzstandards für international anerkannte Menschenrechte in Ländern des globalen Südens vor Augen, so drohte durch ein kostenintensives Haftungsregime ein der Zielkonzeption gegenläufiger Effekt. Da sich mit dem Strukturwandel der Wirtschaft zu globalen Handelsnetzen der Schutzstandard international anerkannter Menschenrechte gerade auch in Ländern des globalen Südens oftmals verbessert, erwiese sich ein Abbruch solcher Handelsbeziehungen aufgrund erhöhter Kosten als kontraproduktiv.
Gleichzeitig ist der Gesetzgeber jedoch gehalten, die aus einer fehlenden Haftungsandrohung resultierenden Fehlanreize zu adressieren. Haben die schädigenden Unternehmen aufgrund defizitären Rechtsschutzes Geschädigter in ihren Staaten keine Haftung zu befürchten, so besteht kein Anreiz, Kosten zum Schutz menschenrechtlicher Gewährleistungen aufzuwenden. Dies begründet zugleich die Gefahr eines partiellen Marktversagens, da die aus der Unternehmung resultierenden Preise zu niedrig kalkuliert werden und die Angebotsmenge in sozialschädlicher Weise zu hoch ausfällt. Hiervon profitieren nicht zuletzt auch die ausländischen Geschäftspartner der schädigenden Unternehmen.
Es erscheint daher naheliegend, diesen mittels einer Haftungsandrohung die Verantwortung für die Gewährleistung menschenrechtlicher Schutzstandards aufzuerlegen. Es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber diesen Balanceakt meistern wird.
- Fachbereich: Rechtswissenschaften
- Institut: Handels- und Wirtschaftsrecht
- Universität: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
freiraum #67