Von Ekaterina Saveleva

Schwerpunkt


Homeschooling, Distanzunterricht, Wechselmodell, Hybridunterricht: Aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie werden Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern mit massiven Änderungen des schulischen Unterrichts sowie damit einhergehenden Herausforderungen konfrontiert. Dabei rückt die Digitalisierung an deutschen Schulen in den Fokus und wird sowohl mit positiven als auch negativen Erfahrungen und Erkenntnissen konnotiert.

Als der erste Lockdown kam, mussten die Schulen kurzfristig auf digitale Kommunikationswege umstellen, was mit unterschiedlichem Erfolg gelaufen ist. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass die Schulen über mangelnde technische Ausstattung verfügen und den Lehrkräften notwendige digitale Kompetenzen fehlen. Aus einer Forsa-Umfrage zur Digitalisierung an Schulen, die im Auftrag des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) im Jahr 2019 durchgeführt wurde, geht hervor, dass bei der digitalen Infrastruktur sowie der technischen Ausstattung an deutschen Schulen ein großer Verbesserungsbedarf besteht. So verfügt nur knapp ein Drittel der befragten Schulen über einen Zugang zum schnellen Internet sowie WLAN in allen Klassen- und Fachräumen.

Was digitale Kompetenzen der Lehrkräfte angeht, werden diese im Rahmen einer Appinio-Umfrage aus dem Jahr 2020 von der Mehrheit der Befragten als (eher) nicht ausreichend bewertet, um einen Fernunterricht (via PC oder Tablet) ermöglichen zu können. So haben einige Lehrer:innen im ersten Lockdown lediglich Arbeitsblätter per E-Mail verschickt, was von einer digitalen Alternative eines vollwertigen Schulunterrichts weit entfernt ist. Die anderen hingegen haben sich für den digitalen Unterricht intensiv eingesetzt und nach kreativen Wegen gesucht. Jedoch werden auch engagierte Lehrkräfte mit vielen Problemen konfrontiert und erleben eine ungenügende Unterstützung von Seiten der Schule. Nicht selten werden keine einheitlichen technischen Lösungen (Plattformen, Apps etc.) von der Schule bereitgestellt, sodass die Lehrenden sich selbst eine kostenpflichte Software anschaffen mussten, um einen guten digitalen Unterricht zu ermöglichen.

Auch für die Schüler:innen stellt das Lernen unter Pandemiebedingungen eine große Hürde dar. Dabei spielt u. a. die nicht ausreichende Medienkompetenz der Schüler:innen eine Rolle, die oft irrtümlicherweise überschätzt wird. Die ICILS-Studie (International Computer and Information Literacy Study) aus dem Jahr 2018 ergibt, dass deutsche Achtklässler:innen im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld liegen, was den kompetenten Umgang mit digitalen Medien angeht. Dabei verfügt ein Drittel der Befragten über rudimentäre Kompetenzen im ICT-Bereich. Nicht weniger wichtig ist, welchen Zugang zu digitalen Endgeräten und anderen lernförderlichen Ressourcen die Schüler:innen haben sowie welche Unterstützung sie zu Hause bekommen. In diesem Zusammenhang hat die Corona-Krise die bestehenden sozialen Ungleichheiten bzw. Bildungsdisparitäten aufgedeckt und verschärft. Die Schüler:innen, die noch vor der Corona-Pandemie abgehängt worden waren, sind mit der Schulschließung in eine noch schwierigere Lage geraten. Nicht in allen Familien haben Kinder ein eigenes Zimmer, einen Schreibtisch und ein digitales Gerät zur Verfügung, um an dem Online-Unterricht angemessen teilnehmen und ungestört lernen zu können. Außerdem werden die Schüler:innen von Seiten der Eltern im unterschiedlichen Maße unterstützt. Es liegt nahe, dass in bildungsfernen Haushalten wesentlich weniger Hilfe beim Homeschooling geleistet wird (und werden kann) als in Akademiker:innen-Familien.

Darüber hinaus stellt für viele Eltern die coronabedingte Schulschließung eine gewisse Herausforderung dar. Sie müssen nach wie vor arbeiten, sich aber zusätzlich noch um ihre Kinder kümmern in der Zeit, in der diese im Normalfall in der Schule wären. Es wird zudem erwartet, dass die Eltern ihre Kinder beim Homeschooling selbst beschulen oder zumindest unterstützen. Allerdings können nicht alle Eltern diese Unterstützung leisten, da sie mangelnde Medienkompetenzen, Sprach- oder Fachkenntnisse haben. Dabei wird das Problem der Geschlechtergerechtigkeit erneut aufgedeckt. Das Policy Paper im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus dem Jahr 2020 deutet darauf hin, dass obwohl auch Männer zusätzliche Zeit in die Betreuung ihrer Kinder in der Corona-Pandemie investieren, der eindeutig größte Teil der Betreuungsarbeit nach wie vor von Frauen erledigt wird.

Allerdings kann die Corona-Krise trotz der zahlreichen negativen Aspekte als eine Chance angesehen werden, welche die Digitalisierung an deutschen Schulen vorantreibt. Noch im Jahr 2019 ist der Digitalpakt Schule in Kraft getreten, wobei der Bund die Fördermittel von 5 Milliarden Euro den Bundesländern zur Verfügung gestellt hat, um eine digitale Bildungsinfrastruktur an den Schulen aufzubauen und zu stärken. Im Zuge der Corona-Pandemie ist der Digitalpakt zu 6,5 Milliarden Euro gewachsen: Jeweils 500 Millionen Euro wurden vom Bund für das Beschaffen der digitalen Endgeräte für Lehrer:innen und bedürftige Schüler:innen sowie die Ausbildung und Finanzierung von IT-Administrator:innen bereitgestellt. Die Umsetzung des Pakts erfolgt jedoch langsam, wobei bislang knapp ein Fünftel der Mittel bewilligt wurde. Allerdings hat die Corona-Pandemie diesen Prozess in Bewegung gebracht. Im Jahr 2020, vor allem in dessen zweiten Hälfte, wurden deutlich mehr Mittel aus dem Digitalpakt von den Schulen abgerufen als im Jahr zuvor. Damit waren einige Schulen besser auf den zweiten Lockdown vorbereitet. Es wurden Online-Plattformen fürs Lehren und Lernen eingerichtet, Lernsoftware beschaffen und Lehrer:innen sowie bedürftige Schüler:innen mit der notwendigen Technik ausgestattet.

Zudem haben sowohl Lehrer:innen als auch Schüler:innen gelernt, mit der neuen Schulsituation besser umzugehen und digitale Medien bewusst zu nutzen. Grundsätzlich gilt, dass digitale Medien an sich keine universelle Lösung sind, denn mit denen lassen sich ebenso effektive wie ineffektive Lehr- und Lernprozesse durchführen. Daher ist die Frage nicht ob, sondern wie digitale Medien im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden können. Vor allem sollen sie eigenständiges, selbstorganisiertes Lernen fördern sowie Kreativität und Autonomie der Schüler:innen stärken. Die Lernenden sollen nicht nur passiv von den Lehrenden bereitgestellte Informationen, Formate und Angebote konsumieren, sondern aktive Produzent:innen und Mitgestalter:innen werden. Des Weiteren sollen digitale Medien Flexibilität und Differenzierung ermöglichen, indem die Schüler:innen in ihrem eigenen Tempo die Aufgaben bearbeiten und über unterschiedliche Wege kommunizieren sowie sich beteiligen können. Dies fördert u. a. die Inklusion, da digitale Lernformate für manche Schüler:innen mit besonderem Förderbedarf zugänglicher sind. Schließlich soll ein kritischer Umgang mit digitalen Medien durch eine aktive Auseinandersetzung damit im Schulkontext gefördert werden, was sich wiederum auf andere Lebensbereiche übertragen lässt. Dabei ist eine angemessene Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte von zentraler Bedeutung. Sie sollen mit verschiedenen Facetten der Digitalisierung vertraut werden, um die Schüler:innen dazu befähigen zu können, digitale Möglichkeiten und Angebote wahrzunehmen und sinnvoll zu nutzen, um ihre Ziele zu erreichen.

Zum Schluss lässt sich anmerken, dass es ungewiss ist, wie sich die Corona-Lage weiterentwickelt und welche Auswirkungen die Pandemie auf die Schulbildung im Endeffekt haben wird. Jedoch ist eindeutig, dass die Corona-Krise die Digitalisierung an deutschen Schulen beschleunigt sowie deren Potenzial offengelegt hat und der Schulunterricht auch nach der Pandemiezeit nicht derselbe sein wird wie davor. Einige positive Änderungen sind bereits zu sehen und es bleibt zu hoffen, dass auch weitere Fortentwicklungen nicht mehr lange auf sich warten lassen.

freiraum #69