Bargeld in der Krise. Von Johanna Groß

Forschung


Die Deutschen und das Bargeld: eine besondere Beziehung. Nur wenige europäische Nationen nutzen für ihre alltäglichen Transaktionen so häufig Münzen und Scheine, stehen technologischen Entwicklungen im Bereich des Zahlungsverkehrs so skeptisch gegenüber wie die Deutschen. Dennoch: Auch hierzulande ist die Bargeldnutzung bereits seit Jahren rückläufig. Im Zuge der Corona-Pandemie trug die Angst vor einer möglichen Virenübertragung durch kontaminierte Geldscheine zum sich beschleunigenden Aufstieg des kontaktlosen Bezahlens bei. Gleichzeitig hat in den meisten großen Volkswirtschaften der Welt, auch in der Eurozone, eine Diskussion über die Möglichkeit der Einführung einer digitalen Währung (Central Bank Digital Currency, CBDC) begonnen, die eine Bargeldnutzung perspektivisch noch weiter zurückdrängen könnte.

Zumindest aus historischer Sicht wird die (vollständige) Digitalisierung des Geldes gerne als nächste logische Stufe in dessen Entwicklungsgeschichte beschrieben. Schließlich ist Geld ein echter „Gestaltenwandler“, hat sich im Laufe der Zeit von der Ware mit intrinsischem Nutzwert zum bloß abstrakten Zeichen entwickelt: von Muscheln und polierten Steinäxten in der Frühzeit über das mittelalterliche Münzgeld hin zu Papiergeld, Kreditkarten und Buchgeld. Heutzutage basieren moderne Volkswirtschaften auf sogenannten Fiatwährungen, also auf einer gesetzlich festgelegten Währung, deren Wert nicht durch die Bindung an einen Rohstoff wie Gold oder Silber bestimmt wird. Im Eurosystem werden dabei drei Arten von umlaufendem Geld unterschieden: Bargeld, Buchgeld und Zentralbankreserven. Während das Bargeld in den Euro-Mitgliedstaaten den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels innehat (Art. 128 Abs. 1 S. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)), sind die Zentralbankreserven nur einem engen Kreis an Finanzmarktakteuren zugänglich. Kein Zentralbankgeld und somit auch kein gesetzliches Zahlungsmittel ist Buchgeld, bei dem es sich um eine in Euro lautende Forderung gegenüber einer Geschäftsbank handelt.

Welchen Platz nun der geplante digitale Euro in diesem bestehenden Geldsystem einnehmen wird, hängt letztlich davon ab, welchem Kreis an Nutzern Zugang zu ihm gewährt werden soll. Keine fundamentalen Auswirkungen auf das bisherige System aus Zentral- und Geschäftsbanken hätte seine Einführung, wenn er vergleichbar mit den jetzigen Zentralbankreserven nur einem begrenzten Kreis von Finanzmarktakteuren zur Verfügung stehen würde. Neu wäre dann allerdings die Anwendung der Blockchain-Technik, die vor allem Vorteile für den Internetbankenmarkt bringen soll. Kontroverser diskutiert wird denn auch die eventuelle Einführung einer Variante, bei der die breite Bevölkerung Zugang zu einer digitalisierten Version von Zentralbankgeld erhalten könnte. Beim Bezahlvorgang soll nach diesem Modell eine digitale Wertmarke (Token) den Inhaber wechseln, ohne dass eine Kontobuchung im herkömmlichen Sinne erfolgt. Diese Ausgestaltung wäre hinsichtlich des Zahlungsvorgangs dem aktuellen physischen Bargeld vergleichbar – nur eben digitalisiert.

Gründe für die Einführung dieses „digitalen Bargelds“ gibt es einige. Für den einzelnen Bürger soll die Sicherheit des Bargeldes als unmittelbar von der Zentralbank herausgegebenem Zahlungsmittel mit dem Komfort elektronischer Bezahlvorgänge verbunden werden. Der digitale Euro soll im grenzüberschreitenden Verkehr zudem kostengünstig, schnell und besonders sicher sein, außerdem die Digitalisierung der europäischen Wirtschaft unterstützen. Vor allem erhoffen sich die Währungshüter aber positive Auswirkungen auf Stabilität und Resilienz des Eurosystems. Durch eine Diversifizierung zur Verfügung stehender Zahlungsmittel sollen ein möglicher Ausfall einzelner Zahlungssysteme oder ein Präferenzwandel in der Gesellschaft aufgefangen werden.

Maßgeblich scheint der digitale EZB-Euro wohl aber eine Reaktion auf das Aufkommen konkurrierender, neuartiger Formen privater Gelderzeugung zu sein. Jedenfalls bekam die Idee der Einführung einer CBDC erst nach der Ankündigung von Facebook, eine eigene digitale Währung auf den Markt bringen zu wollen (Diem, vormals Libra), so richtig Aufwind. Aber auch ausländische Pläne zur Einführung digitaler Staatswährungen setzen die EU erheblich unter Zugzwang. Das gilt im besonderen Maße für China, das mit seinem E-Yuan bereits in eine ausgeprägte Testphase eingetreten ist und offen über eine Ausdehnung dieser neuen Zahlungsinfrastruktur auf andere asiatische und afrikanische Länder nachdenkt. Der Blick gen Osten hilft allerdings auch, die Vorbehalte zu verstehen, die gegen einen digitalen Euro in Stellung gebracht werden. Zahlungsdaten lassen umfassende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Zahlenden zu, insbesondere wenn sie mit anderen Daten kombiniert werden. China will mit dem E-Yuan vor allem das Bargeld ersetzen. Dahinter könnte der Gedanke stehen, die letzten Lücken in der ohnehin schon gründlichen Überwachung der Bürger zu schließen. Droht nun also auch in der EU eine „Abschaffung des Bargeldes“ und infolgedessen der gläserne Bürger?

Die EZB wird sich dieser Vorbehalte bewusst sein. In einer großangelegten, öffentlichen Konsultation zum digitalen Euro gab eine große Mehrzahl der Teilnehmer an, dass ihnen die Wahrung des Datenschutzes bei einem solchen digitalen Zahlungsmittel besonders wichtig sei. Damit der digitale Euro später Erfolg hat, wird er diese Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger erfüllen müssen. Interessant ist in diesem Zusammenhang zudem ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das Anfang des Jahres ergangen ist. Dem höchsten Gericht der Europäischen Union war die Frage vorgelegt worden, ob eine staatliche Beschränkung der Möglichkeit, eine Schuld per Barzahlung zu begleichen, rechtmäßig sei. Die Richter betonten in ihrem Urteil die Bedeutung der Einheitlichkeit der gemeinsamen Währung Euro für die Wahrung der Preisstabilität in der Union und kamen zu dem Ergebnis, dass das geltende Unionsrecht einer rechtlichen und faktischen Abschaffung des Bargeldes entgegensteht. Zudem wiesen sie ausdrücklich auf die inkludierende Bedeutung von Bargeld für Personen hin, die keinen Zugang zu Konten oder digitalen Endgeräten haben. Daraus folgt aber nicht, dass das Unionsrecht – insbesondere Art. 128 Art. 1 S. 3 AEUV – der Einführung eines digitalen Euro entgegenstehen würde. Insbesondere dann, wenn ein digitaler Euro angesichts des Aufkommens konkurrierender privater und staatlicher digitaler Zahlungsformen für die Gewährleistung der Einheitlichkeit der Währung erforderlich ist, wäre seine Einführung zulässig – allerdings nur als Ergänzung zum Bargeld.

Der Aufbruch in eine bargeldlose Gesellschaft steht – zumindest in der EU – also nicht unmittelbar bevor. Das ändert jedoch nichts daran, dass der technische Fortschritt zur Schaffung anderer, nicht-physischer Formen von Geld geführt hat, die im Laufe der Zeit immer wichtiger geworden sind und sicherlich noch wichtiger werden. Um die monetäre Souveränität zu wahren und den Bürgerinnen und Bürgern eine sichere und datensensible Alternative zu privaten Zahlungsdienstleistungen anzubieten, können staatliche Konkurrenzlösungen für digitales Bezahlen ein wichtiger Baustein sein.

  • Name: Johanna Groß
  • Fachbereich: Rechtswissenschaften
  • Universität: Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die Autorin ist seit Oktober 2020 in der Promotionsförderung der FNF. In Ihrer Dissertation widmet sie sich dem Thema „Privates Geld – Eine verfassungsrechtliche Untersuchung des staatlichen Währungsmonopols“.

Der vorliegende Beitrag basiert auf ihren aktuellen Veröffentlichungen in den Heidelberger Beiträgen zum Finanz- und Steuerrecht, der Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und in der Zeitschrift Europarecht, letztere in Zusammenarbeit mit Johannes Klamet.

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