Während branchenübergreifend der akute Fachkräftemangel beklagt wird, entscheiden sich zunehmend mehr Studierende für einen Studienabbruch. Ein Beitrag über Ursachen und Folgen einer gesellschaftlichen Entwicklung, die den Fortschritt über Jahrzehnte bremsen könnte. Von Sibylla Elsing

Der Bedarf an akademisch qualifizierten Fachkräften in Deutschland steigt seit Jahren. Um innovations- und wettbewerbsfähig zu bleiben, um Herausforderungen wie Klimawandel und Digitalisierung bewältigen zu können, sind besonders in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, also in den klassischen MINT-Fächern gut ausgebildete Fachkräfte dringend erforderlich. Nur so kann eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft gelingen.

Doch gerade in diesen Fächern sind die Abbruchquoten hoch. Auch wenn ein Studienabbruch aus individueller Perspektive durchaus sinnvoll sein kann, so stellt er aus gesellschaftlicher Perspektive eine Fehlinvestition in das Hochschulsystem dar. Seit Ende der 1990er Jahre berechnet das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, in regelmäßigen Abständen auf Basis der amtlichen Statistik bundesweit die Zahl der Studienabbrüche an deutschen Hochschulen. Erfasst werden dabei alle Personen, die durch Immatrikulation ein Erststudium aufgenommen haben, die Hochschule dann aber ohne einen ersten Abschluss wieder verlassen. Fachwechsel und Hochschulwechsel gelten dabei nicht als Studienabbruch.

Der im Mai 2022 veröffentlichte DZHW Brief stellt die Ergebnisse der ermittelten Studienabbruchquoten des Absolvent:innen Jahrgangs 2020 vor. Ausgehend von der Anzahl der Studierenden, die im Wintersemester 2016/17 ihren Bachelor begannen, rechneten die Forscher:innen die Anzahl der Absolvent:innen des Jahrgangs 2020 dagegen.

Da sich die Studiensituation auf Grund der Corona-Pandemie im Sommersemester 2020 stark verändert hatte, wurde in diesem Fall für jede Studierendengruppe eine Abbruchquote ohne und eine mit längerem Studienverbleib ermittelt. Dr. Ulrich Heublein, dem Projektleiter der Studie, zufolge belegen die Ergebnisse, „dass die ersten Monate der Corona-Pandemie trotz problematischer Studienbedingungen nicht zu einem verstärkten Ausstieg aus dem Studium geführt haben.“ Seit 2012 beginnen jährlich zwischen 315.000 und 330.000 Studienanfänger:innen ein Studium an einer Universität oder einer Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW), aber längst nicht alle schließen das Bachelorstudium auch ab. Die Studienabbruchquote der deutschen Studienanfänger:innen der Jahre 2016 und 2017 lag im Bachelorstudium bei 28%. Mehr als ein Viertel der Bachelorstudierenden verlässt die Hochschule also ohne Abschluss.

Für die Universitäten beläuft sich die Studienabbruchquote im Bachelorstudium (auf Basis des Absolvent:innen Jahrgangs 2020) unter Berücksichtigung eines Corona-bedingten längeren Studienverbleibs sogar auf 35%, an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind es dagegen nur 20% der Studierenden, die ihr Studium vorzeitig erfolglos aufgeben.

Ein grundsätzliches Problem zeigt sich in den Abbruchquoten des universitären Bachelorstudiums in den Fächern Mathematik, Chemie, Physik, Geowissenschaften und Geisteswissenschaften. Hier verlässt jeder zweite Studierende die Universität ohne Abschluss. Über 40% der Studierenden der Fächer Elektrotechnik und Informatik und rund 35% der Studierenden der Fächer Ingenieurwissenschaften und Maschinenbau verlassen die Universität ebenfalls ohne erfolgreichen Bachelorabschluss. Auch in den Fächern Biologie, Geographie, Kunst und Kunstwissenschaft beträgt der Studienabbruchwert an den Universitäten immerhin noch 30%. Deutlich niedrigere Abbruchquoten finden sich dagegen in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (21%), ein Lehramtsstudium oder ein Psychologiestudium wurde sogar nur von jedem zehnten Studierenden abgebrochen. Besonders niedrig ist die Zahl der Studienabbrecher im Fach Medizin. Hier liegt die Abbruchquote seit Anfang der 1990er Jahre zwischen 5% und 11% und zuletzt bezogen auf den Abschlussjahrgang 2020 bei nur 6%. Die Studie des DZHW sieht diesen Studienerfolg unter anderem als Ergebnis des Numerus clausus beim Zugang zum Medizinstudium, starker intrinsischer Studienmotivation und günstiger Berufsaussichten.

An den Hochschulen für angewandte Wissenschaften lassen sich ähnliche Tendenzen beobachten. Hier fallen die Abbruchquoten im Bachelorstudium zwar etwas geringer aus, sind aber mit über 40% im Fach Elektrotechnik, fast 40% in Mathematik und Naturwissenschaften und über 30% in den Fächern Bauingenieurswesen, Informatik und Maschinenbau sowie 23% in Rechtswissenschaften ebenfalls unerfreulich. Niedriger liegen die Werte hier für die zahlenmäßig bedeutenden Wirtschaftswissenschaften mit 17% und die Sozialwissenschaften/ Sozialwesen mit meist unter 10% Studienabbrechern.

Die Zahl der deutschen Studienanfänger im Masterstudium hat sich zwischen 2008 und 2020 von 36.000 auf 119.000 erhöht. Im Vergleich zur Abbruchquote der Bachelorstudiengänge fällt auf, dass die Abbruchrate sowohl an Universitäten (20%) als auch an HAW (23%) deutlich niedriger liegt. Von den Studierenden im universitären Masterstudium brechen mit 37% am häufigsten Studierende der Geisteswissenschaften das Studium ab, in den anderen universitären Fächern liegt die Abbruchrate nur bei 16% bzw. 17% (Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaft, Mathematik und Naturwissenschaften, Lehramt). Da in der Regel nur jene Bachelorabsolventen ein Masterstudium aufnehmen, die das Bachelorstudium mit guten Leistungen abgeschlossen haben und zudem über eine entsprechend hohe Studienmotivation verfügen, sind hier für den Studienabbruch vor allem finanzielle und familiäre Problemlagen von Bedeutung.

Die Zahl internationaler Studierender an deutschen Hochschulen ist in den vergangenen zehn Jahren um rund 60 Prozent gestiegen. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Studienabbruchquote der internationalen Studierenden mit ausländischer Staatsbürgerschaft und Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung im Ausland (= Bildungsausländer:innen) weitaus höher ausfällt als die ihrer deutschen Kommilitonen. Immerhin 41% der Studierenden erlangen keinen Bachelorabschluss. Vor diesem Hintergrund untersucht das Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) gemeinsam mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und der FernUniversität Hagen im Rahmen des Forschungsprojekts SeSaBa die Determinanten des Studienerfolgs von Bildungsausländer:innen in Deutschland. Die bisherigen Befunde zeigen, dass für den Studienabbruch mangelnde Studienmotivation, fehlende Passung zwischen schulischer Studienvorbereitung und Studienanforderung, Schwierigkeiten der Studienfinanzierung sowie Aspekte ungenügender Sprachkompetenz ausschlaggebend sind.

Neben den Abbruchquoten sind auch die Durchfallquoten von Bedeutung, denn nach Jahren des Studiums schafft je nach Studiengang eine mehr oder minder hohe Zahl Studierender nicht die letzten Prüfungen und damit auch nicht, das Studium erfolgreich abzuschließen. Im Jurastudium sind die Durchfallquoten besonders hoch: Je nach Bundesland fallen bis zu 40% der Studierenden durch das erste Staatsexamen. Wer Pech hat, studiert mehr als 7 Jahre und hat dann nichts in der Hand. Rund 12% der Studierenden in den Fächern Chemie-Ingenieurswesen, Chemietechnik, Energietechnik und Werkstoffwissenschaften müssen das Studium ebenfalls ohne Abschluss beenden. Hohe Durchfallquoten finden sich auch in den Fächern Mechatronik, Bauingenieurswesen, Informatik und Maschinenbau. In der Pharmazie schaffen 8% der Studierenden keinen Abschluss. Während zwar 9,5% der Studierenden der Humanmedizin das Physikum nicht bestehen, fallen im Examen dann letztlich nur 5% durch. Besonders niedrig sind die Durchfallquoten auch in den Fächern Soziale Arbeit und in Lehramtsstudiengängen. Bis jetzt ist es, so betont der Studienleiter der DZHW-Studie, Ulrich Heublein, nicht gelungen, „die maßgeblichen Gründe für den Studienabbruch, wie die mangelnde Passung individueller Studienvoraussetzungen mit den Anforderungen des Studienbeginns, zurückzudrängen".


Eine neue Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt deutlich, dass sowohl dem Fiskus als auch dem Individuum durch einen Studienabbruch Kosten entstehen, die im restlichen Arbeitsleben nicht wieder eingenommen werden. Für die öffentlichen Haushalte ist es ein Minusgeschäft, da die zu erwartenden Erträge aus Steuern und Abgaben der Abbrechenden über die folgenden 40 Jahre die staatlichen Ausgaben für den Studienplatz nicht decken können. Auch für den Abbrechenden entsteht ein wirtschaftlicher Schaden durch den späteren Berufseinstieg und das damit verbundene spätere Erreichen höherer Gehaltsklassen. Für den Staat erwirtschaftet ein erfolgreich abgeschlossenes Studium eine positive Rendite in Höhe von 6,6%, für das Individuum sind es sogar 14,2% bezogen auf das Bruttoeinkommen. Das Land NRW zahlt seinen Hochschulen daher bereits einen Bonus für jeden erfolgreichen Absolventen.

Zurzeit wird beim Statistischen Bundesamt an der Erstellung einer Studienverlaufsdatenbank gearbeitet, mit deren Hilfe es zukünftig möglich sein soll, gezieltere Maßnahmen zur Verbesserung des Studienerfolgs zu ergreifen, denn zweifellos gehört der Studienerfolg zu den zentralen Qualitätsfaktoren eines Studiums.

Sibylla Elsing studiert an der Folkwang Universität der Künste Master Voice Performance im Master und ist seit 2020 Stipenidatin in der Grundförderung der FNF


Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des VSA Mitgliedermagazins "freiraum", die in Kooperation mit der Medienakademie der Begabtenförderung der FNF entstanden ist. Mehr über die liberale Medienakademie könnt ihr über diesen LINK erfahren.