Ein Blick auf das Doping-Kontroll-System. Von Sinika Timme

Schwerpunkt

 


Mit der anstehenden Weltmeisterschaft in Russland kann sich selbst der Fußball der Dopingdiskussion nicht mehr entziehen. Jahrelang standen andere Sportarten wie Radsport und Leichtathletik unter Beschuss. Nun rückt auch der Fußball ins Blickfeld der Journalisten. Bei den aktuellen Beschuldigungen und Vorwürfen gegenüber Russland und im Sport stellt sich allerdings die Frage: Warum erst jetzt? Warum erhielt dieses Thema so lange keine Aufmerksamkeit? Vielleicht weil es seit der positiven Probe von Maradona (1994) bei Weltmeisterschaften keinen Dopingfall mehr gegeben hat? Und auch darüber hinaus es nur wenig Dopingfälle gibt oder vielmehr bekannt gegeben werden? 

Dies lässt zwei Schlussfolgerungen zu. Auf der einen Seite wäre es möglich, dass es im Fußball kaum Doping gibt. Andererseits, dass das Kontrollsystem nicht funktioniert. Um sich darüber eine Meinung zu bilden, ist ein genauerer Blick auf dieses Thema nötig. In Deutschland ist die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) für die Dopingkontrollen im Training und Wettkampf zuständig. Die NADA teilt Athlethen verschiedener Sportarten in ihrem Doping-Kontroll- System in unterschiedliche Testpools ein. Je höher der Testpool, desto häufiger werden die jeweiligen Athleten und Athletinnen getestet. Dabei werden unter Berücksichtigung physiologischer, empirischer, medialer und finanzieller Faktoren die Sportarten in unterschiedliche Risikogruppen eingestuft. Fußball befindet sich dabei in der Risikogruppe B (mittlere Risikogruppe). Selbst wenn man dem Argument Glauben schenken mag, dass Doping in Teamsportarten nicht so effektiv sei, sind finanzielle und mediale Faktoren im Fußball so ausgeprägt wie sonst in keiner anderen Sportart. Dies kann eine Erklärung für die vielfach kritisierten wenigen Kontrollen im Fußball sein. Allerdings keine Rechtfertigung. So gaben in der Diplomarbeit aus dem Jahr 2016 von Lotfi El Bousidi, ein ehemaliger Profi-Fußballer, von 150 befragten Profi-Fußballern, 43 Prozent an, in der laufenden Saison kein einziges Mal getestet worden zu sein. Dies unterstreichen Zahlen der NADA, nach deren Informationen einige Bundesligamannschaften nur 22 Doping-Proben im Jahr 2016 abgegeben haben. Damit gibt es einige Spieler, die in der Saison gar nicht getestet worden sind.

In den Regionalligen finden zurzeit gar keine Doping-Tests statt. Dabei geht es ums Geld. Bis zum vergangenen Sommer hat der DFB die NADA für die Dopingkontrollen bezahlt, sieht sich jetzt aber dazu nicht mehr in der Lage. Es sei dem DFB »aus gemeinnützigkeitsrechtlichen Gründen nicht möglich, die Kosten von Dopingkontrollen in den Regionalligen zu tragen«. Es handelt sich dabei um einen Betrag von rund 300.000 Euro im Jahr für alle fünf Ligen. Für den DFB, einen der reichsten Sportverbände der Welt, eine im Vergleich geringe Summe. Das eigentliche Kernstück der Arbeit von Lotfi El Bousidi war allerdings die Verwendung der Randomized-Response-Technik. Sie ergab, dass zwischen 14 und 30 Prozent der befragten Profi-Fußballer in der Saison gedopt haben. Dabei handelt es sich um eine Methode, die maximale Anonymität bei sensitiven Befragungsthemen erlaubt. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Befragte auch belastende Wahrheiten angibt. Diese Technik wurde auch schon von Prof. Rolf Ulrich und Kollegen bei einer Befragung von Leichtathleten bei der WM 2011 genutzt. In ihr gaben mindestens 30 Prozent der Leichtathleten an, schon einmal verbotene Substanzen konsumiert zu haben. Positiv getestet wurden zwischen 1987 und 2013 nur 1-2 Prozent. Diese Zahlen machen deutlich, dass es nicht nur um fehlende Kontrollen, sondern vor allem auch um deren Effektivität und Verlässlichkeit geht. Wenn nun schon in Deutschland das Kontrollsystem auf so eine hohe Unzufriedenheit stößt, wie sieht es dann in Russland aus? Nach Recherchen des ARD-Dopingexperten Hajo Seppelt gibt es Hinweise, dass auch der russische Fußball in das Staatsdoping verwickelt war. Richard McLaren, der von der WADA (World Anti Doping Agentur) eingesetzte Ermittler, äußerte in einem Interview mit der ARD im Juni 2017 Bedenken, dass es in Russland eine Datenbank mit sauberen Personen gebe, die für die Vertuschung von Dopingfällen im Fußball genutzt würden. Seiner Meinung nach gebe es neben dem bereits aufgedeckten Vertuschungssystem noch ein weiteres, das gesondert für die Fußballer gelte. Im McLaren-Report der WADA wurden 155 verdächtige Proben aus dem russischen Fußball erwähnt. Es wurden jedoch von diesen, seit 2016 laufenden Untersuchungen, keine weiteren Ergebnisse bekannt gegeben. Als einzige Aktion von Seiten Russlands kam bislang nur der längst überfällige Rücktritt des Cheforganisators der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland, Witali Mutko. Dieser wurde bereits im WADA-Bericht als Kopf des staatlich organisierten Dopings skizziert. Den Vorwurf systematischen Dopings weist die russische Politik allerdings weiter zurück. Kürzlich fand in Lausanne das jährliche WADA-Symposium statt. Dort wurde Russland öffentlich beschuldigt, weiterhin nur mangelhaft zu kooperieren. Die WADA teilte mit, dass Russland nach wie vor die Verpflichtungen der Roadmap nicht erfülle. Dabei handelt es sich um einen Fahrplan, den die russische Anti-Doping-Agentur erfüllen muss, um wieder für regelkonform erklärt zu werden. Bedingungen sind dabei unter anderem, dass der McLaren-Report anerkannt wird. Das würde bedeuten, dass Russland die Existenz staatlich gestützten Dopings für den Beobachtungszeitraum einräumen müsste. Eine weitere Bedingung ist die Gewährung des Zutritts zum Anti-Doping-Labor in Moskau. Auch dieser wird bislang verweigert. Hier würde sich eine Chance für den Fußball wie auch für Russland bieten, das schlechte Image im Doping zu bekämpfen. Ob die WM in Russland dazu beitragen wird, scheint allerdings anhand der aktuellen Lage sehr fragwürdig.

 

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