Ein Beitrag der Finanzwirtschaft für eine nachhaltige Wirtschaft? Von Volker Weber

Debatte

 


HIER geht es zur Anmeldung zum Auftakttreffen des Fachkreises Greenological Optimism am 11. Februar 2020 in Berlin: Liberalismus & Nachhaltigkeit: ein blinder Fleck?


Jump on the Bandwagon?

Nehmen wir einmal an, die Bundesregierung würde verbindliche Kriterien festlegen, wonach gute und schlechte Investments zu unterscheiden sind. Die Reaktion liberaler Kräfte, die sich zu den Verteidigern der freien Marktwirtschaft zählen, wäre so gewiss, wie erwartbar: warum sollte der Staat besser wissen, was gute und schlechte Investments sind, als die Investoren, die ihr dezentrales Wissen nutzen, um eine Rendite zu generieren? Unterstellt man außerdem, dass sich die Investoren an die geltenden Gesetze halten, gäbe es keinen Grund, ihnen vorzuschreiben, wie und wo sie zu investieren hätten. Nehmen wir nun in einem zweiten Schritt an, es handle sich um Nachhaltigkeitskriterien (Stichwort Sustainable Finance), von denen zu erwarten ist, dass sie im Angesicht der aktuellen Problemwahrnehmung und der zahlreichen sichtbaren und unsichtbaren Akteure, die auf europäischer und deutscher Ebene aktiv sind, auf einen fruchtbaren Boden fallen und nur schwer zu verhindern sein werden – wäre es dann nicht klüger, auf den Bandwagon zu springen, um die (politischen) Diskussionen und zu erwartenden Entscheidungen im Sinne der eigenen, einer liberalen Position zu beeinflussen?

Der Stand der Diskussion

Anfang des Jahres 2019 hat die Bundesregierung erklärt, Deutschland zu einem führenden Sustainable-Finance-Standort machen zu wollen. Bereits im Frühjahr 2018 hat die EU-Kommission das Thema auf die Agenda gesetzt; sie gilt als der wichtigste Treiber am nachhaltigen Finanzmarkt. Unter Sustainable Finance versteht die Bundesregierung, dass Nachhaltigkeitsaspekte von Finanzmarktakteuren in den Entscheidungsprozess integriert werden. Nachhaltige Finanzen sollen zudem die Umsetzung der Finanzmarkstabilitäts-, Energie-, Klima-, Entwicklungs- und weiterer Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung flankierend unterstützen. Der Finanzindustrie wird damit eine Schlüsselrolle im Kampf um das 1,5°C-Ziel aus dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 und zur Erreichung einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft zugewiesen.

Der Begriff “Nachhaltigkeit” stammt ursprünglich aus der Holzwirtschaft und geht auf Hans Carl von Carlowitz, königlich-polnischer und kurfürstlich-sächsischer Bergrat sowie Oberberghauptmann des Erzgebirges, zurück, der in seinem Werk „Sylvicultura oeconomica“ von 1713 forderte, immer nur soviel Holz zu schlagen, wie durch planmäßige Aufforstung, durch Säen und Pflanzen nachwachsen könne; er kritisierte eine Ausrichtung der Wirtschaft an einer kurzfristigen Gewinnerzielung und wurde so zum Vorreiter der Nachhaltigkeitsidee. Wirklich populär nach dem heutigen Verständnis wurde der Begriff dann aber erst mit dem Erdgipfel von Rio im Jahr 1992, nachdem zuvor der Brundtland-Bericht den Weg bereitet hatte und die noch heute gültige Definition schuf: “Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.” (Brundtland, 1987, 54)

In der Investitions-Praxis spielen Kriterien der Nachhaltigkeit inzwischen eine große Rolle, weil extrafinanzielle Informationen eine besseren Einschätzung einer Investitionsentscheidung ermöglichen. Immer mehr Marktteilnehmer gehen offenbar von der Prämisse aus, dass nachhaltige begründete Investmententscheidungen ein Instrument sein können, für wirtschaftliche Veränderungen zu sorgen, die ökologische und sozialverträgliche Technikentwicklungen hervorbringen. Es gibt inzwischen auch zahlreiche, umfangreiche Leitfäden wie zum Beispiel der Frankfurt- Hohenheimer Leitfaden oder die Leitfäden der katholischen und evangelischen Kirche, die vielen Kriterien zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von Unternehmen und Projekten beinhalten.

Der Markt für nachhaltige Investments

Schon heute hat der Markt für wertorientiertes Investieren eine nicht unerhebliche Größe erreicht. 2018 waren knapp 2,9 Billionen Euro im deutschsprachigen Raum verantwortlich investiert und erreichte damit ein neues Rekordniveau. Das Gesamtvolumen entspricht damit dem gemeinsamen Bruttoinlandsprodukt von Italien und Spanien. Von den 2,9 Billionen Euro entfiel knapp jeder sechste Euro bzw. Schweizer Franken auf Nachhaltige Geldanlagen, welche sich 2018 auf eine Summe von 474 Milliarden Euro beliefen und somit um knapp 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr wuchsen.

In Deutschland sind es die institutionellen Anleger, die das Wachstum Nachhaltiger Anlagen tragen. Rund 93 Prozent der nachhaltigen Kapitalanlagen befanden sich Ende 2018 in deren Hand. Es sind vor allem kirchliche Institutionen (40%), mit einigem Abstand gefolgt von Versicherungsunternehmen (17%), öffentlichen Pensions- und Reservefonds (12%) und Stiftungen (10%), die ihre Geldanlagen nach nachhaltigen Kriterien ausrichten. Das Thema Klima dominiert die Kriterienauswahl – deren Berücksichtigung gewinnt über alle Asset-Klassen hinweg stark an Bedeutung. In Deutschland steigt der Ausschluss von Kohle in 2018 zu den wichtigsten Ausschlusskriterien bei Nachhaltigen Geldanlagen auf, wobei es in vorherigen Jahren noch nicht einmal in der Top Ten der wichtigsten Ausschlusskriterien vertreten war. Darüber hinaus gewinnen grüne Investitionen in Green Bonds zunehmend an Bedeutung. In Europa ist die KfW neben der Europäischen Investitionsbank einer der bedeutendsten Emittenten solcher Anleihen. Dass Kohle unter die Top Ten der Ausschlusskriterien gekommen ist, liegt auch an der Kohle-Divestment Politik einiger großer Versicherungsunternehmen, die Kohleinvestments aus dem eigenen Anlageuniversum verbannen. Unter den im Rahmen der Nachhaltigen Geldanlagen eingesetzten Anlagestrategien kommt den Ausschlusskriterien nach wie vor besondere Bedeutung zu. Sie wurden Ende 2018 auf rund 80 Prozent der in Investmentfonds und Mandaten verwalteten Vermögen angewendet. Den größten Zuwachs gab es bei den Unternehmensdialogen als nachhaltige Anlagestrategie. Das so verwaltete Vermögen stieg um 175 Prozent auf 242 Milliarden Euro an.

Das Wachstum von wertorientierten Investments wird sich auch in den kommenden Jahren sehr dynamisch entwickeln. Dazu tragen auch vielen neuen Anlageprodukte und ihre Anbieter, die vor allem aus dem europäischen und angelsächsischen Ausland auf den deutschen Markt kommen werden. Dazu will die Politik, diese Investments einsetzen, um ihre definierten Klimaziele zu erreichen. Wir befinden uns also mitten in einem großen Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer nachhaltigen und vor allem Low Carbon-Economy. Das wird nicht durch Verbote oder einzelne Symptom-Bekämpfung funktionieren, sondern muss durch ein Gesamtkonzept unterlegt sein. Innovationen und Leistungsanreize werden in eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie eingebettet werden. Nationale, europäische und internationale Kooperationen werden gebildet, um den Erfolg zu flankieren.

Eine liberale Position wird gesucht

Dass Sustainable Finance in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle spielen wird und politische Entscheidungen zu erwarten sind, welche das Feld für die nächsten Jahre bestimmen wird, ist nicht zu verneinen; hier ist längst etwas in Gang gekommen, das so schnell nicht mehr zu stoppen sein wird – ganz im Gegenteil. Es ist notwendig, dass Deutschland zunächst eine nationale Strategie entwickelt, die dann als Diskussionsgrundlage für internationale Lösungen eingebracht werden kann. Hier muss der Ansatzpunkt der Liberalen sein: Die FDP hat eine hohe Glaubwürdigkeit in Wirtschaftsfragen und steht für die soziale Marktwirtschaft. Viele Aspekte der Nachhaltigkeit zielen darauf ab, Wirtschaftsprozesse an die neuen Gegebenheiten im Umwelt- und Sozialbereich anzupassen; hierzu zählt auch die Klimapolitik. Wir sollten uns einbringen, Sustainable Finance im Sinne eines liberalen Ansatzes zu gestalten; wir sollten über unseren Schatten springen und uns nicht hinterher beklagen, überhört worden zu sein.

Zum Autor

Volker Weber ist Vorsitzender des Vorstands des Forums Nachhaltige Geldanlagen

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