Die Auslandsakademie 2019 der Stipendiaten nach Indien. Von Jana Ricarda Pfeffer

Stipendiatenleben

 


Die Wahl war gefallen: Auf dem letztjährigen Konvent wurde Indien zum Ziel der Auslandsakademie 2019 bestimmt, und nach einem intensiven und spannenden Vorbereitungsseminar in Potsdam trafen wir 20 Teilnehmer uns Ende Februar in Delhi wieder. Dort wurden wir zunächst sehr herzlich von Frank Hoffmann und Dr. Ronald Meinardus von Regionalbüro in Neu Delhi begrüßt. Nach einer kurzen Einführung in die Stiftungsarbeit vor Ort konnten wir bereits an unserem Ankunftstag erste Eindrücke von Neu Delhi sammeln, während wir die Lodhi-Gärten, einen Park mit vielen muslimischen Bauwerken und den Markt Dilli Haat erkundeten – eine gute Einstimmung auf die vielen Eindrücke, die folgen sollten.

In den folgenden Tagen wurde es dann etwas ernster: Treffen mit den Partnern der Stiftung standen an, wobei in Delhi der Fokus auf Frauen- und Menschenrechten sowie der politischen Lage des Landes lag. So konnten wir von den feministischen Aktivistinnen der Online-Plattform Feminism in India (FII) lernen, wie groß die Bedeutung des Kastensystems und die Diskriminierung der Frauen in Indien heute noch ist. Dabei durften wir auch persönliche Erlebnisse unserer Gesprächspartnerinnen erfahren und lebhaft mit ihnen über die Bedeutung gendergerechter Sprache für die Frauenrechte diskutieren. Bei der Commonwealth Human Rights Initiative (CHRI), welche sich für Menschenrechte im gesamten Commonwealth engagiert und zugleich der älteste Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung in Indien ist, wurde mit uns schnell eine lebhafte Diskussion über „Right and Access to Information“ geführt. Dies ist einer der Schwerpunkte der Organisation insbesondere im Bezug auf die Polizei und die Situation in indischen Gefängnissen. Dabei soll zum Beispiel die Situation der Gefangenen sowie ihr rechtlicher Beistand und die Kontrolle der Gefängnisse verbessert werden. Zudem ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizeiarbeit sehr gering, wogegen die CHRI eine virtuelle Polizeistation initiiert hat, bei der im Internet Polizeiarbeit transparent gemacht wird und Inder über ihre Rechte aufgeklärt werden. Noch mehr über Polizeiarbeit und vor allem die Situation in den Gefängnissen konnten wir im Rahmen unseres Besuchs bei Vertretern des Project 39A der National Law University Delhi erfahren. Dabei forschen Juristen und Jurastudenten zur Todesstrafe – mit für uns beeindruckenden Ergebnissen: Durch die Auswertung statistischer Daten und Interviews mit den Angehörigen fanden sie heraus, dass meist arme und ungebildete Inder zum Tode verurteilt werden. Zusätzlich haben viele nicht einmal mit ihrem staatlichen Rechtsbeistand gesprochen, weshalb die Verteidigung durch diese vor Gericht meist keine große Hilfe ist.

Eine Begegnung, aus der wir alle sehr viel Energie mitnahmen, war sicher die mit den Fellows der Praja Foundation. Sie setzen sich dafür ein, Kommunalpolitik transparenter zu machen und so viele Menschen wie möglich daran zu beteiligen. Dafür treffen sie sich an ihren ansonsten freien Nachmittagen und versuchen, die Politiker zu mehr Zusammenarbeit zu motivieren. In einem Skype-Interview mit dem deutschen Kommunalpolitiker Erik Jäger konnten sowohl wir als auch unsere Partner lernen, wie sehr sich indische doch von deutscher Kommunalpolitik unterscheidet – nicht nur darin, dass in Indien vor allem finanzielle Entscheidungen trotzdem häufig noch eine Bestätigung auf Landesebene brauchen, sondern auch darin, dass ein indischer Kommunalpolitiker etwa 40-50-mal mehr Menschen repräsentiert als ein deutscher. Eines der Hauptanliegen von Praja ist es zudem, weiblichen Kommunalpolitikern mehr Souveränität zu geben. Da in Indien gesetzliche Quoten für Frauen in politischen Ämtern vorgeschriebensind, gibt es zwar viele Frauen, die ein Amt bekleiden, deren Amtsentscheidungen allerdings von ihrem Ehemann getroffen werden. Die Praja-Stipendiaten machen dabei die Erfahrung, dass es häufig schwierig ist, überhaupt ein Gespräch mit der Frau zu erreichen, da sich meist nur der Mann als Gesprächspartner zur Verfügung stellt. Generell ist es für die Stipendiaten von Praja nicht leicht, Gespräche mit den Politikern zu vereinbaren, um Kommunalpolitik transparenter zu gestalten. Trotz allem haben uns die jungen Studenten sehr mit ihrer Motivation und ihrer Entschlossenheit angesteckt. Wirtschaftspolitisch ist vor allem die Liberalisierung des indischen Marktes seit 1991 von Interesse, wie uns Parth Shah vom Center for Civil Society (CCS) berichtete. Erst dadurch wurde das enorme Wachstum der indischen Wirtschaft möglich, von dem die armen Bevölkerungsschichten allerdings kaum profitierten, da der informelle Sektor nicht liberalisiert wurde und es hier für eine Verbesserung der Situation auch einer Veränderung in der Politik bedürfe.

Das Leben der armen Inder verbessern möchte auch Baladevan Ranja Raju vom India Institute: Seine Organisation führt Studien zu Bildung, Verwaltung und Eigentumsrechten durch. Das Institut finanziert sich nicht wie offiziell lizensierte Organisationen über die Unterstützung von Stiftungen, sondern durch ein eigenes Unternehmen, welches Software an Universitäten verkauft und somit die Unabhängigkeit der Projekte sichert. Unter anderem führte das Institut eine Studie zu Privatschulen in der Stadt Patna durch und fand heraus, dass es viel mehr Privatschulen gibt, als offiziell registriert sind, was die These der Regierung, dass Privatschulen nur an Orten ohne öffentliches Angebot entstünden, zunichtemacht. Außerdem fanden Baladevan und sein Team heraus, dass zwar viele der indischen Studenten Stipendien erhalten, dieses Geld jedoch wieder in die Hände der Politiker zurückfließt, die es verteilen, da viele Colleges indischen Politikern gehören. Unser politischer Eindruck der indischen Hauptstadt konnte am Ende durch eine Führung durch die Sitzungssäle des Parlaments abgerundet werden.

Bevor es für uns weiter nach Bengaluru ging, sollte jedoch auch unser kultureller Eindruck Indiens nicht zu kurz kommen: Mit dem Zug (ein kultureller Eindruck für sich) fuhren wir früh morgens nach Agra, wo wir mit Tuk-Tuks zum Taj Mahal chauffiert wurden. Dort trafen wir unseren Guide, der uns eine spannende Führung durch dieses Weltwunder der Moderne bot. Außerdem führte er uns noch durch das rote Fort, wo wir nach einem Gewitter einen wunderbaren Regenbogen über dem Taj Mahal bestaunen durften.

Nach unserem Inlandsflug in Bengaluru angekommen, widmeten wir uns einem neuen Schwerpunkt: Da Bengaluru für seine IT- und Startup-Branche bekannt ist, sollten auch wir hier einen Eindruck davon bekommen. Dies gelangt uns bereits sehr schnell bei unserem Besuch bei Siemens Healthineers, wo etwa 2200 Mitarbeiter im Bereich Health Services beschäftigt sind. Dort berichteten uns die Mitarbeiter von ihren Arbeitsbedingungen in so einem großen Unternehmen und wie vor allem jungen Frauen durch Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeiten und kulturelle Aktivitäten ein attraktiver Arbeitsplatz geboten werden kann. Auch erneuerbare Energien spielen in Indien eine immer größere Rolle, wie uns beim Besuch von Reconnect Energy bewusst wurde. Aufgrund des hohen Energiebedarfs Indiens setzt Reconnect auf eine nachhaltige Energiewirtschaft, um die vorhandenen Ressourcen optimal zu nutzen.

Bei der Takshashila Foundation, einer Public Policy School, konnten wir viel über indische Makroökonomie lernen; vor allem, dass trotz der Liberalisierung des indischen Marktes der 1990er Jahre wirtschaftlich viele Herausforderungen bestehen, da der Markt einer riesigen Nachfrage an Arbeitsplätzen gerecht werden muss und sich immer noch viele Banken in staatlicher Hand befinden. Glücklicherweise konnten wir auch in die Startup-Szene Bengalurus hineinschnuppern. Am NS Centre for Entrepreneurial Learning (NRSCEL) des Indian Institute of Management, das Startups von der Idee bis zur Umsetzung begleitet und unterstützt, wurden uns drei unterschiedliche Startup-Projekte vorgestellt. Auch bei der National Association of Software and Services Companies (NASSCOM) konnten wir viel über die Startup-Kultur Indiens lernen: Die Firma arbeitet als Plattform für Startups zur Kommunikation mit Regierung, NGOs und Unternehmen und hat die Vision, Indien durch die Förderung möglichst vieler Startups aus unterschiedlichsten Bereichen zu verbessern.
Aber auch von der indischen Gastfreundschaft konnten wir uns gleich mehrfach persönlich überzeugen: Bei einem Empfang im FNF-Büro in Neu Delhi hatten wir die Chance, einen Abend mit Partnern der Stiftung, aber auch beispielsweise mit Vertretern anderer Stiftungen zu sprechen, Kontakte zu knüpfen und einen anregenden Abend zu verbringen. Ein weiterer Programmpunkt, der vielen von uns als das Highlight der Reise in Erinnerung bleiben wird, war das gemeinsame Abendessen mit der Familie unseres indischen Altstipendiaten und Mitorganisators Prabhu. Wir wurden von allen sehr herzlich willkommen geheißen und umsorgt, bekamen von den Kindern indischen Tanz und Gesang vorgeführt und konnten in Gesprächen mit der Familie, den Freunden und Nachbarn viel über den indischen Alltag erfahren und erleben.

Am Morgen des Abreisetags folgte als letzter Input noch einmal eine angeregte Diskussion mit Jayna Kothari von Institute of Policy and Law zu den Rechten von Transgendern und wie ihre Diskriminierung in der indischen Gesellschaft verringert werden kann, vor allem durch Entkriminalisierung.

Beim anschließenden Feedback zur Akademie konnten noch einmal die vielen Eindrücke miteinander geteilt werden: Wenig Schlaf, lange Busfahrten und das Warten auf Zuspätkommer nervten uns zwar alle ab und an, jedoch überwogen bei allen die guten Momente: Viele neue Eindrücke für alle fünf Sinne, eine tolle Zusammenarbeit mit den Organisationen vor Ort, durch die wir unseren Horizont deutlich erweitern konnten. Wir sind sehr dankbar für unser Organisationsteam Constantin Eckner, Attitou Aboubakr und Prabhu Kankatala, für die Unterstützung durch die Begabtenförderung hier in Deutschland und das Regionalbüro vor Ort in Delhi, und für alle Partner vor Ort, die sich Zeit genommen haben, uns ihr Land und ihre Arbeit näher zu bringen. Wir haben Indien aus unterschiedlichsten Perspektiven und unter unterschiedlichsten Aspekten etwas näher kennenlernen können und doch bietet dieses vielfältige Land noch einiges zu entdecken und jede Antwort wirft eine neue Frage auf. Sicher einer der Gründe, warum sich viele von uns vorstellen können, eines Tages wieder zu kommen. 

Zur Autorin

Jana Ricarda Pfeffer studiert in Münster Chemie und Englisch für das Lehramt an Gymnasien. Sie ist seit Januar 2016 in der Grundförderung der FNF.

freiraum #62