Ein Interview mit China-Experte und Forstberater Dr. Stefan Mann

Interview

 


Herr Dr. Mann, Sie waren in den vergangenen 20 Jahren über 40 Mal beruflich in China. Welche Entwicklung ist Ihnen dabei am stärksten aufgefallen?

China war sehr erfolgreich bei der Armutsminderung. Seit 1990 hat China nach Feststellungen der FAO (die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) rund 700 Millionen Menschen aus der Armut befreit. Als Forstberater muss ich außerdem sagen, dass China viel für den Aufbau und Erhalt seines Waldes getan hat.

Inwiefern?

Vor allem in den großen Tropenwaldgebieten der Erde sind Entwaldung und Waldzerstörung nach wie vor akut. In vielen Ländern wird der Wald wie ein Bodenschatz ausgebeutet. China hat es hingegen geschafft, diesen Trend nicht nur zu stoppen, sondern umzukehren: Um 1949 waren nur noch 10 bis 15 Prozent der chinesischen Landesfläche Wald, heute sind es rund 23 Prozent – das muss man anerkennen. Das war eine wahnsinnige Anstrengung, aber auch ein riesiger Erfolg. China wird oft dafür kritisiert, dass es große Holzmengen importiert und wie ein Holzstaubsauger weltweit wirkt. Das ist nachvollziehbar – aber dann muss man auch befürworten, dass China seine nachhaltige Holzproduktion im Inland ausbauen will.

Acht bis 13 Prozent in fast 70 Jahren klingt erstmal nicht besonders viel...

China hat seine Waldfläche in erstaunlich kurzer Zeit mehr als verdoppelt. Und das sind angesichts der Größe des Landes (26-mal so groß wie Deutschland) gewaltige Flächen. Man darf nicht vergessen: Ein großer Teil des Landes besteht aus Wüste und Hochplateaus. Bodenerosion und Staubstürme sind ein großes Problem. Unter anderem deshalb hat China seit Beginn der Öffnungspolitik 1979 versucht, durch Aufforstung von Schutzwäldern diesen Umweltrisiken zu begegnen. Längs der großen Flüsse wie Yangtze und Gelber Fluss kam es in der Vergangenheit zu schweren Flutkatastrophen – auch darauf hat China 1998 mit großen Aufforstungs- und Waldschutzprogrammen reagiert. Außerdem sind Süd- und Zentralchina gebirgig. Der Waldaufbau hat auch hier große Bedeutung für den Boden- und Wasserschutz. Die 1,3 Milliarden Einwohner leben hauptsächlich zwischen einer gedachten Linie, die vom Nordosten bis zum Südwesten des Landes verläuft bis hin zur Küste. In diesen Bereichen ist die Landnutzung natürlich extrem intensiv, weil dort in den letzten Jahrzehnten eine enorme Siedlungs- und Industrieentwicklung stattgefunden hat.

Die Urbanisierung Chinas gilt als eine der größten Migrationsbewegungen der jüngeren Geschichte. Ist ein direkter Zusammenhang zwischen der Urbanisierung und der Hinwendung zum Natur- und Waldschutz zu erkennen?

Der Wald ist nicht Chinas größtes Problem. Die Schadstoffbelastung von landwirtschaftlichen Böden und die Urbanisierung sind aus meiner Sicht größere Probleme. Die Städte breiten sich in den Ebenen aus und konkurrieren damit unmittelbar mit der landwirtschaftlichen Anbaufläche. Aufgeforstet wurde vor allem Ödland. Es gab riesige Flächen, die stark degradiert waren. Dort sind große Gebiete aufgeforstet worden, um die Umweltschäden einzudämmen. China verfolgt das Ziel, mindestens 120 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Anbaufläche langfristig zu schützen.

Wie sieht der aktuelle Stand der Entwicklungshilfe Deutschlands für China aus?

China erhält keine Entwicklungshilfe. Die bilaterale technische Zusammenarbeit ist 2009 vom damaligen Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dirk Niebel (FDP) beendet worden. Damals wurde gesagt, dass es den deutschen Bürgern nicht zu vermitteln sei, einer Wirtschaftsmacht, die uns in vielen Bereichen den Rang abzulaufen droht, weiterhin Entwicklungshilfe zu leisten – das ist einerseits natürlich nachvollziehbar.

Und andererseits?

Andererseits hatte die deutsch-chinesische Forstkooperation in China sicherlich mehr messbare Auswirkungen als in vielen anderen Gegenden der Welt. Diese Zusammenarbeit besteht seit über 30 Jahren und sie hat dazu geführt, dass in China mittlerweile auf höchster Ebene über Forstpolitik geredet wurde. Durch das gegenseitige Vertrauen durfte in diesem Rahmen sogar auch über strukturelle Schwächen von staatlichen Forstbetrieben gesprochen werden.

Das bedeutet: Staatskritik?

In gewissem Maße, ja. Die Chinesen waren bereit, selbst bei heiklen Themen konstruktive Kritik hinzunehmen: Bevölkerungsbeteiligung oder Besitz- und Nutzungsrechte bei der Waldwirtschaft zum Beispiel. Die Bewirtschaftung von kollektiven Waldflächen wurde beispielsweise zum großen Teil an ländliche Haushalte übertragen. Der Boden gehört weiterhin den Kollektiven, der darauf wachsende Wald aber dem Bürger. Das ist eine bemerkenswerte Reformdynamik, die aber auch viele Probleme schafft – z.B. fehlen den Bauern Wissen, praktische Erfahrung, Kapital und Technik für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung. Und die Flächen sind natürlich stark zersplittert und viel zu klein. China ist interessiert daran, beispielsweise von der deutschen Praxis der Förderung und Unterstützung des Privatwaldes zu lernen.

In welchen Bereichen, neben der Forstwirtschaft, bestand die deutsch-chinesische Entwicklungszusammenarbeit?

Die GIZ (Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit), also das Bundesunternehmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, agiert nach eigenen Angaben heute in folgenden Bereichen: Rechtsstaatlichkeit, Klima und Umwelt, Energie und Verkehr sowie Industrie, Infrastruktur und Handel. Die bilaterale technische Zusammenarbeit wurde zwar beendet, allerdings können weiterhin Projekte durchgeführt werden – beispielsweise im Rahmen der Internationalen Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums.

Das heißt, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit für Projekte in China wurde gar nicht eingestellt?

Die deutsch-chinesische Zusammenarbeit wurde zum Glück nicht beendet. Aber es gibt nicht mehr das Verhältnis zwischen Geber und Zuwendungsempfänger – man begegnet sich auf Augenhöhe und arbeitet auch global an Themen, die für beide Länder von Interesse sind. Deutschland vergibt im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit keine Zuwendungen mehr an China, sondern Darlehen, die zu guten Konditionen zurückgezahlt werden. Außerdem gibt es natürlich vielfältige Kooperationen zum Beispiel in der Wissenschaft.

Geht China nicht selbst ganz ähnlich vor, in Afrika? Dort werden große Bau- und Infrastrukturprojekte von der chinesischen Staatsbank bezahlt. Die Kosten müssen aber verzinst zurückgezahlt werden.

Richtig. China tritt als Investor auf, aber auch als Geber. Es gibt also eine Art chinesische Entwicklungshilfe in Afrika.

Aus welchem Grund? Ist das echte Hilfe aus gutem Willen und ohne Hintergedanken?

Mit Sicherheit haben die Chinesen klare strategische Ziele. Wobei ich fragen würde: Hat unsere Entwicklungszusammenarbeit die nicht? Wenn man den Chinesen vorwirft, dass sie in Afrika egoistische Interessen verfolgen, muss man beachten, dass die afrikanischen Staaten die chinesischen Investitionen als enorme Entwicklung sehen.

Fördern die Chinesen damit nicht zum Teil autoritäre Regime, die diesen vermeintlichen Fortschritt zu ihrem eigenen Machterhalt nutzen?

In der Entwicklungszusammenarbeit muss man mit verschiedensten politischen Führungen zusammenarbeiten – das tun wir doch auch.

Aber die deutsche Entwicklungshilfe ist doch an politische Bedingungen, zum Beispiel Demokratieförderung gebunden, oder?

Richtig. Aber China ist in meinen Augen nicht der große Übeltäter, der einen unheilvollen Einfluss auf andere Länder ausübt. Meine Beobachtung ist: Wenn die Chinesen als Geber oder Investor auftreten, wollen sie sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischen. Die chinesischen Förster und Wissenschaftler, die ich getroffen habe, zeigen echtes Engagement und wollen, dass sich etwas verändert.

Ist China aus ihrer Sicht immer noch ein Entwicklungsland?

China ist für mich kein Entwicklungsland. In vielen Bereichen ist es ein Schwellenland. Und in nicht wenigen Bereichen ein hochmodernes Land. Die Chinesen erkennen gute Leistung anderer an und sagen: “Zeigt uns, wie ihr das macht”. Aus meiner Erfahrung genießt Deutschland in China einen sehr guten Ruf. Nicht nur die deutsche Forstwirtschaft, besonders auch die Produkte “Made in Germany”. Und wenn es etwas gibt, worauf sich ein Deutscher und ein Chinese sofort einigen können, dann ist das ein guter Schweinebraten.

Zur Person

Dr. Stefan Mann studierte Forstwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Seit über 20 Jahren ist er als Experte für Forst- und Umweltpolitik bei einem Beratungsunternehmen in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Er war seither im anglophonen Afrika, in Ost-/Südosteuropa, im Kaukasus sowie in Zentral-, Ost- und Südostasien tätig. Seit 2002 bildet China seinen Arbeitsschwerpunkt. Insbesondere beschäftigt er sich mit forstpolitischen Reformprozesse, Landnutzungspolitik und die Förderung nachhaltiger Waldbewirtschaftung.

 

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