Altstipendiat und VSA-Mitglied Alexander Graf Lambsdorff im Interview über die aktuellen Herausforderungen der Europäischen Union.

freiraum: Graf Lambsdorff, wie steht es um Europa? Hat Europa seinen Weg IN die Urne bereits verhindert?

Graf Lambsdorff : Das will ich doch sehr hoffen. Europas Weg in die Urne schlösse uns ja mit ein, denn wir sind ein Teil von Europa. Nein, Europa hat seine Probleme, aber solche Bilder sind weit übertrieben.

Warum glauben viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr an die europäische Idee?

Dieser Satz wird auch durch Wiederholung nicht wahrer. Alle Umfragen zeigen eine mehrheitliche Zustimmung zu Europa, auch bei uns in Deutschland. Die Unzufriedenheit der Menschen ist real, hat aber nicht in erster Linie mit der europäischen Idee zu tun. Die Krise ist in Wahrheit viel größer: Es gibt einen Vertrauensverlust in die parlamentarische Demokratie insgesamt. Donald Trump wurde ja nicht gewählt, weil die Amerikaner unzufrieden mit der EU waren. Ricardo Duterte auf den Philippinen auch nicht. Die Menschen sind von der Politik genervt, weil sie viel zu selten Lösungen liefert. Das muss man angehen und mit berechtigter Kritik nicht ober ächlich an der EU kleben bleiben.

Wie erklären Sie sich, dass in vielen europäischen Ländern der Populismus wiedererstarkt ist?

Es ist so viel gleichzeitig los, dass viele verunsichert sind. Globalisierung, Digitalisierung, die Flüchtlingskrise, der Euro, Putin, Erdogan, überall stellen sich neue Fragen. Und dann müssen Politiker und Journalisten begreifen, dass die abgehobenen Debatten im Berliner Regierungsviertel nichts mit dem Alltag der Menschen zu tun haben. Das betrifft nicht nur die Politik, auch der Journalismus steckt ja in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise. Aber Populisten haben keine Lösungen parat, sondern immer nur hohle, dafür aber schwungvoll vorgetragene Phrasen. In Verantwortung entzaubern sie sich selbst am schnellsten. Das sehen wir an Trump, das sehen wir an der Ratlosigkeit der Brexit-Befürworter. Die demokratischen Parteien müssen da klare Kante zeigen und echte Lösungen anbieten. Wir müssen in der Politik so ehrlich sein zu sagen, dass man gelegentlich auch mal Projekte gegen den Widerstand von lautstarken Kleingruppen durchziehen muss. Die schweigende Mehrheit ist frustriert, weil wichtige Projekte nicht realisiert werden.

Wo liegt die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Populismus?

Toleranz findet ihre Grenze im Nicht-Tolerierbaren. Dazu gehören Diskriminierung, Gewalt und Fremdenhass. Sie bedrohen die Freiheit als Ganzes und die Grundlagen des sozialen Friedens. Wenn Populisten zu solchen Mitteln greifen, ist diese Grenze also schnell überschritten.

Sind Sie es persönlich manchmal leid, Europa immer verteidigen zu müssen?

Klar kann es manchmal nerven, wenn man zum zehnten Mal mit den typischen Klischees über Europa konfrontiert wird, siehe oben. Aber ich bin ein leidenschaftlicher Europäer und habe Spaß daran, Europa zu erklären. Und wenn man deutlich machen kann, dass wir in einem Zeitalter leben, in dem große Länder wie China aufsteigen und sich die Welt fundamental verändert, wir also in größeren Zusammenhängen neu denken müssen, dann verstehen das die meisten.

Sie nannten die Wahl in Frankreich eine "Revolution an der Wahlurne". Kann diese auch Revolutionen in anderen Ländern hervorrufen?

Wenn Macron und seine République en Marche liefern, was Sie versprochen haben, wird diese positive Revolution schnell auf andere Länder überspringen. Und wir sehen bereits jetzt, dass das funktionieren kann. Bestes Beispiel dafür ist Spanien, wo die liberale Partei "Ciudadanos" gerade das verkrustete Parteiensystem aufbricht.

Ist Lindner die deutsche Antwort auf Macron – und eine europäische Hoffnung?

Es gibt schon einige Parallelen. Beide sind jung und dynamisch, auch programmatisch gibt es einige Ähnlichkeiten. Die FDP und die Partei von Macron haben beide ein pro-europäisches, zukun sorientiertes und marktwirtschaftliches Programm.

Wie stehen die Chancen für die Liberalen bei der Bundestagswahl im September?

Die FDP ist noch nicht zurück, aber die Chancen auf ein Comeback stehen sehr gut. Denn wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und befinden uns jetzt hoch motiviert auf der Zielgeraden.

Vielen Dank für das Interview!
— Das Interview führte Maximilian Sepp

 

Alexander Graf Lambsdorff ist seit drei Jahren Vizepräsident des Europäischen Parlaments (EP) und zudem Kuratoriumsmitglied der Friedrich-Naumann-Stiftung. Nach dem Grundstudium in Bonn absolvierte er 1993 in Washington D.C. zwei Masterstudiengänge in Europäischer Geschichte und Foreign Service. Für die Friedrich-Naumann-Stiftung arbeitete er 1994/95 an einem Projekt zur kommunalen Selbstverwaltung in Estland. Danach durchlief er eine Diplomatenausbildung sowie verschiedene Stationen beim Auswärtigen Amt und der deutschen Botschaft in Washington. Seit 2011 ist Graf Lambsdorff Vorsitzender der FDP im EP. Er ist Mitgleid des VSA.