Über die erste Asyldebatte in der Bundesrepublik. Von Constantin Eckner

Forschung

 


Manchmal wollen uns kluge und weniger kluge Beobachter des Zeitgeschehens weismachen, dass wir in außergewöhnlichen, gar einmaligen Zeiten leben. Doch gerade mit einem Blick auf die Gesamtheit der Geschichte unserer Erde erscheint die Idee der Einmaligkeit recht kühn. Denn über viele Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg sind Kontinuität und Duplizität herausstechende Merkmale.

Und trotzdem sind es außergewöhnliche Zeiten. Beim Schreiben dieser Zeilen blinkt unablässig mein Smartphone auf. Es sind Eilmeldungen. Vor der Küste Maltas möchte ein Rettungsschiff mit Geflüchteten an Bord in den Hafen einlaufen. Die Verhandlungen auf hoher See gestalten sich schwierig. Die diffizilen politischen Fragen verbunden mit diesen Rettungsschiffen und im größeren Kontext mit der Aufnahme von Asylsuchenden werden nun schon seit Jahren diskutiert. Europa muss sich mit einer einmaligen Problemlage auseinandersetzen – möchte man meinen.
Doch Migration ist so alt wie die Menschheit selbst. Migration in unbeschreiblich großem Ausmaß auch. Selbst im kleinen Kosmos Westeuropa oder im noch kleineren Teilkosmos Deutschland ist Migration alles andere als ein neues Phänomen. Auch Asyl als politisches Themenfeld ist keineswegs Neuland für die handelnden Personen in Berlin oder Brüssel.

Die Ursprünge der Asyldebatte

Die Bundesrepublik hatte für einige Jahrzehnte das liberalste Asylrecht aller europäischen Staaten in ihrer Verfassung – oder dem Provisorium Grundgesetz – stehen. Der Grund lag vor allem im Erfahrungshorizont der Mitglieder des Parlamentarischen Rates, die nicht selten selbst in den 1930er Jahren die Flucht antreten mussten und andernorts Unterschlupf suchten. Westdeutschland sollte ein Hort für politisch Verfolgte sein. Vor allem oder hauptsächlich für Verfolgte des Kommunismus im Osten. Für Angehörige der christlichen Gemeinschaft und Opfer einer feindlichen Ideologie.

Nur kam dieser Reißbrettentwurf in der Realität allenfalls rudimentär zum Tragen. Die politischen Entwicklungen in allen Ecken der Welt lösten seit Ende der 1970er Jahre immense Migrationsbewegungen Richtung Europa aus. Die Bundesrepublik war neben der Schweiz eine begehrte Destination. Menschen aus Vietnam, dem Iran oder Sri Lanka suchten auf unterschiedlichste Weise ihren Weg nach Deutschland und stellten Antrag auf Asyl.

Diese erste Phase löste innerhalb der politischen Elite in Bonn bereits Zweifel an der gängigen Asylpraxis aus. All das passierte natürlich nicht im Vakuum. Immerhin hatte Westdeutschland seit dem Ende der Gastarbeiterära schon mit einem großen Problem zu kämpfen: gerade ehemalige türkische Gastarbeiter blieben in Deutschland, waren in Folge der offiziellen Politik nicht integriert und nur schwerlich zum Verlassen der Bundesrepublik zu bewegen. Nun kamen zehntausende weitere Ausländer hinzu.
Einen konkreten Startpunkt für die sogenannte Asyldebatte gab es nicht. Aber ab Sommer 1985 wurde die Asylpolitik zu einem prominenten Thema in den Medien wie auch im Parlament. Und die DDR war nicht ganz unschuldig daran. Der östliche Nachbar war in finanziellen Nöten und daher an Handelskrediten interessiert. Als Druckmittel ließ die Regierung Asylsuchende nach Berlin-Schönefeld einfliegen und gewährte ihnen einen Grenzübergang an der Friedrichstraße. Innerhalb weniger Monate standen Abertausende auf der kleinen Insel namens Westberlin. Die Westberliner Asylkrise hielt über den Winter 1985/86 an und zog sich bis zum Bundestagswahlkampf hin.

Vor den Wahlen im Januar 1987 und bereits bei der zuvor abgehaltenen bayerischen Landtagswahl suchten die Christdemokraten beziehungsweise Christsozialen ihr Heil in der Offensive. Die Asylkampagne der Union war ein klares Bekenntnis zu verschärften gesetzlichen Bestimmungen und im Sinne einiger Konservativen das Signal an die SPD einer etwaigen Grundgesetzänderung zuzustimmen.
Bis aber jene Grundgesetzänderung 1993 durch ein Votum im Bundestag auf den Weg gebracht wurde, vergingen Jahre voller hitziger Debatten, xenophober Ausschreitungen und Momenten historischen Ausmaßes. Die Asyldebatte war dabei aber kein reineweg deutsches Phänomen, sondern ähnliche Debatten erstreckten sich über ganz Europa oder zumindest den EG-Raum. Dabei hatte beispielsweise Italien wie auch in diesen Tagen mit den Ausmaßen von internationalen und intrakontinentalen Wanderungsbewegungen ganz besonders zu kämpfen.

Das Schiff Vlora, an dessen Bord mehr als zehntausend Albaner waren, als es 1992 den Hafen von Bari ansteuerte, entwickelte sich rasch zu einem Symbol für die Migrations- und Asylkrise der westlichen Welt. Die Albaner wollten einem zerfallenen Staat entkommen, sahen sich aber rasch nach ihrer Ankunft mit der Abneigung der Italiener konfrontiert, die sie um jeden Preis wieder auf die See und damit zurück in ihre Heimat drängen wollten – was bei einem Teil der Zehntausend auch gelang. Die Turiner Tageszeitung »La Stampa« sprach in Anbetracht der eindrücklichen Bilder vom »Krieg des dritten Jahrtausends« mit Blick auf Migrationsbewegungen. Eine fast schon prophetische Vorhersage.

Zur Arbeit

Mein Dissertationsprojekt behandelt im Speziellen die Asyldebatte in Deutschland und geht unter anderem der Frage nach, in welchem historischen Kontext sich diese Debatte entfaltete. Aus begriffsgeschichtlicher Sicht lassen sich einige Kontinuitäten erkennen: Gewisse Narrative und Argumentationspunkte aus der vorangegangenen Auseinandersetzung mit Immigration und Integration tauchten auch in der Asyldebatte auf und wurden im aufgeheizten Klima noch intensiver diskutiert.

Zugleich war die Frage nach einem restriktiveren Asylrecht von derart grundlegender Bedeutung, dass sich die beiden Seiten – die Befürworter und Gegner einer Asylrechtsänderung – sehr rasch auf fundamentale Standpunkte zurückzogen und von diesen auch über Jahre hinweg nie abwichen. Eine zielführende Debatte kam insofern nie zustande. Allenfalls juristische Details im parlamentarischen Rahmen wurden konstruktiv diskutiert.

Mein Werk analysiert zugleich die Ursprünge der Asylkampagne der Union. Im Speziellen wird die Reaktion der Rechtskonservativen in CDU und CSU auf das Erstarken rechter Parteien betrachtet. Auch die ihnen nahestehenden Wählerkreise werden unter die Lupe genommen, in denen eine spürbare Unzufriedenheit herrschte, da die Immigration von Asylsuchenden lange Zeit nicht aufgehalten wurde.

Der zweite Teil der Arbeit geht auf die unterschiedlichen Teilnehmer der Debatten und die diversen Debattenräume ein. Die Asyldebatte war alles andere als ein ausschließlich parlamentarisches Spektakel, vielmehr wurde sie in den führenden Tageszeitungen ausgefochten. Nicht wenige der führenden Blätter schlugen sich mit zunehmendem Verlauf auf eine Seite und flankierten die Bemühungen der politischen Akteure. Ähnlich verhielt es sich im akademischen wie auch zivilgesellschaftlichen Raum.

Bis jetzt ist noch kein grundlegendes Werk zur Asyldebatte veröffentlicht. Die Debatte selbst wird von manchem ausgewiesenen Migrationsexperten allenfalls als ein Phänomen von vielen in Übersichtsarbeiten behandelt. Diese Forschungslücke soll mein Projekt schließen.

Zur Person

NAME Constantin Eckner
DISSERTATIONSPROJEKT Rhetorics of Asylum in Germany, 1982–1998
FACHBEREICH Modern History
UNIVERSITÄT University of St Andrews, School of History
Der Autor war von 2016 bis 2019 Promotionsstipendiat der FNF.

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