Eine Geschichte des deutschen Liberalismus. Von Alexander Kobuss
Forum
Der Liberalismus ist die Ideologie, die die Freiheit des Einzelnen in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Die Idee des Liberalismus löste damit eine Serie von Revolutionen aus, die unsere Lebenswirklichkeit bis heute prägen.
Eine kleine Zeitreise durch die Geschichte des Liberalismus in Deutschland.
Die Idee der Freiheit
Freiheit stellt durch die Geschichte hindurch einen ideellen Begriff dar, dem in der westlichen Philosophie stets ein hoher Stellenwert beigemessen wurde. Während der Begriff der Freiheit bereits von den großen antiken Philosophen wie Aristoteles oder Platon genannt wurde, ist der moderne Freiheitsbegriff im Kontext des Liberalismus auf die Neuzeit zurückzuführen. Thomas Hobbes gilt als der Vorreiter moderner Staatstheoretiker, der die Basis eines jeden modernen Staates in einem sogenannten Gesellschaftsvertrag sah. In Hobbes Vorstellung überantwortete das Volk mit dem Gesellschaftsvertrag einem Souverän die absolute Macht, deren Ausübung durch den Vertrag legitimiert war. Zwar war diese Vorstellung noch recht weit von dem Konzept einer freiheitlichen Gesellschaft entfernt, aber sie lieferte die Basis für einen Grundpfeiler des liberalen Staates: die Verfassung.
Eine kurze historische Abhandlung
Der Liberalismus als politische Ideologie lässt sich auf John Locke zurückführen, der somit als geistiger Vater des Liberalismus gilt. Er baute auf Hobbes Ideen auf und formulierte in seinem Klassiker „Two Treatises of Government“ solch revolutionäre Ideen wie das Recht auf Privateigentum, die Freiheit in freiwilligen Handel einzutreten und die Freiheit der politischen Partizipation auf der Grundlage der Meinungsfreiheit des Einzelnen. Die Idee des Liberalismus verbreitete sich im 18. Jahrhundert in dem Maße, dass 1776 die damals 13 amerikanischen Kolonien ihre Unabhängigkeit gegenüber dem British Empire erklärten. Das selbige Jahr wurde durch ein weiteres bezeichnendes Ereignis geprägt, denn ein schottischer Moralphilosoph namens Adam Smith begründete die moderne Nationalökonomie in seinem Werk „The Wealth of Nations“. Darin beschreibt er die Grundpfeiler moderner kapitalistischer Volkswirtschaften – Vertragsfreiheit, Privateigentum, Freihandel und Arbeitsteilung. Smiths Werk basiert auf seiner Lehre der „unsichtbaren Hand“, welche erläutert, wie durch dezentrale Prozesse des Marktes der Wohlstand der Nationen maximal gesteigert werden könnte.
Kurz darauf ergriff der revolutionäre Geist das bis dahin absolutistisch regierte Frankreich. Mit dem Sturm auf die Bastille wurde im Jahre 1789 die französische Revolution eingeleitet, die das kontinentale Europa nachhaltig prägen und das Zeitalter moderner Nationalstaaten einläuten sollte. Die neue französische Gesellschaft, geprägt von den Ideen liberaler Denker wie Montesquieu und Tocqueville, sollte als leuchtendes Beispiel der Freiheit und Fortschrittlichkeit gelten. Allerdings war dieser Zustand nur von kurzer Dauer, denn zur Jahrhundertwende sollte Napoleon Europa mit Krieg überziehen und Frankreich in eine Monarchie zurückführen.
„Zum Schloss, auf zum Schloss!“ – Der Liberalismus im 19. Jahrhundert
Nachdem Napoleon in den Koalitionskriegen letztlich bezwungen worden war, sollte Europa im Rahmen des Wiener Kongresses von 1814 bis 1815 neu geordnet werden. Die Zeit nach dem Wiener Kongress im Jahre 1815 bis zur Märzrevolution im Jahre 1848 wird gemeinhin als die Zeit des Vormärz bezeichnet. Der Vormärz war eine kurze Epoche, in welcher der Liberalismus in Deutschland verbreitet wurde. Es war die Zeit der Nationalbewegung, die ein vereintes Deutschland forderte, welches die Struktur des Flickenteppichs des alten Reiches auflösen und einen gesamtdeutschen Nationalstaat herbeiführen sollte. Beflügelt von Immanuel Kants Werken wie der Metaphysik der Sitten und den Philosophen des deutschen Idealismus, marschierten Menschenmassen zum Hambacher Schloss, um dort im Jahre 1832 das Hambacher Fest zu begehen. Die Forderungen waren Volkssouveränität, Freiheit und ein deutscher Nationalstaat.
Und tatsächlich sollte in den Jahren 1848/1849 der revolutionäre Geist auch die Deutschen ergreifen und führte damit zu den Ereignissen, die als die sogenannte Märzrevolution in die Geschichte eingingen. Am Ende dieser Revolution stand das Zusammentreffen des ersten gesamtdeutschen Parlaments in der Frankfurter Paulskirche. Im Jahre 1849 sollte die Frankfurter Reichsverfassung eingeführt werden, die damit die erste liberale Verfassung Deutschlands konstituieren sollte. Das Vorhaben scheiterte allerdings am Widerstand des Preußischen Königs, wodurch sich die Gründung eines gesamtdeutschen Staates verzögerte. Schließlich wurde im Jahre 1871 der erste deutsche Nationalstaat gegründet: das deutsche Kaiserreich. In dessen Parlament standen sich die Konservativen, angeführt vom „Eisernen“ Kanzler Otto von Bismarck und die Nationalliberalen gegenüber. Über die nächsten Jahrzehnte sollten die Liberalen die politischen Entwicklungen des Kaiserreiches maßgeblich prägen.
Fall und Wiederaufstieg – Durch die Katastrophe des 20. Jahrhunderts bis zur Bundesrepublik
Nachdem das Kaiserreich am Ende des ersten Weltkrieges und damit dem Ende der Monarchie in die Weimarer Republik überging, folgten politisch turbulente Zeiten. Die beiden größten Liberalen Parteien waren die Sozialliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) und die Nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP). Bis Mitte der 1920er Jahre waren die liberalen Kräfte mehrfach an der Regierung beteiligt und stellten 1923 sogar mit Gustav Stresemann den Reichskanzler. Des Weiteren setzten sich Liberale, wie Friedrich Naumann, maßgeblich für den Erfolg der deutschen Frauenbewegung ein. Doch die Reparationsforderungen des Vertrags von Versailles forderten ihren Tribut und im Rahmen der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 orientierten sich ehemals liberale Parteien wie die DVP hin zum politischen Autoritarismus. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus wurden alle liberalen Parteien verboten und die Vertreter des politischen Liberalismus verfolgt.
Mit der Gründung der zwei deutschen Staaten nach 1945 erhoben sich auch liberale Kräfte wieder aus den Trümmern des zweiten Weltkrieges. In der sowjetischen Besatzungszone wurde die Liberale Demokratische Partei Deutschlands (LDP) in die Nationale Front der DDR eingebunden und damit unter der Diktatur der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) effektiv gleichgeschaltet. In der Bundesrepublik Deutschland kam den liberalen Kräften in der Nachkriegszeit eine bedeutende Rolle zu. In dem neugegründeten demokratischen Staat musste sich das liberale Grundgesetz in den wenig stabilen Bedingungen der Nachkriegszeit behaupten. Um die liberalen Kräfte zu bündeln wurde im Jahre 1948 die Freie Demokratische Partei (FDP) gegründet, die auch den ersten Bundespräsidenten, Theodor Heuss, stellte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die FDP viele Male in Regierungsbeteiligung. Die prägenden Phasen sind hierbei die Gründungsphase der Bundesrepublik mit der Währungsreform in den ersten zwei Kabinetten Adenauer, die Phase der Sozialliberalen Koalition mit der SPD in den 1970er Jahren und die Phase der Regierungen Kohl in den 1980er Jahre bis hin zur Wiedervereinigung und der Gründung der Europäischen Union.
Der deutsche Liberalismus heute
Die FDP ist seit 2017 wieder im deutschen Bundestag vertreten. Gegenwärtig befindet sich die Partei in den Umfragen zwischen sieben und zehn Prozent. Momentan scheinen die FDP und der Liberalismus in einer Findungsphase zu sein. Zwischen den ehemaligen Volksparteien CDU, der geschwächten SPD und dem damit verbundenen Aufstieg der populistischen Kräfte von Links und Rechts stellt sich die Frage, wie sich der Liberalismus in Deutschland positioniert. Doch wenn uns die Geschichte eines lehrt, dann, dass die Idee der Freiheit eine uralte Faszination auf den Menschen ausübt und es eine politische Stimme braucht, die die Freiheit und den Liberalismus verteidigt. In Zeiten außenpolitischer Abschottung, aufstrebendem Autoritarismus, drohender Rezession, demographischen und klimatischen Wandels braucht es eine liberale Kraft, die das Feuer der Freiheit weiterträgt und den Liberalismus mutig vorantreibt.
freiraum #65