Autodidaktisches Sprachenlernen. Ein Interview mit Svenja Schwerdt. Von Sophie Sitter

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Aus der aktuellen Covid-19-Pandemie kann man viele Lehren ziehen – gesundheitspolitisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Mindestens genauso interessant wie derartige Überlegungen sind jedoch die vielen verschiedenen Betätigungen, denen sich die in Quarantäne befindlichen Bürger und Bürgerinnen widmen. Eine sehr häufig angestrebte Beschäftigung ist hierbei das Erlernen einer neuen Sprache. Ob diese löbliche Motivation abertausende multilinguale Menschen hervorbringen wird, wagt man allerdings zu bezweifeln. Anfangs noch voller Enthusiasmus, ebbt die Begeisterung bei den meisten recht schnell ab und wirkliche, langfristige Erfolge bleiben aus. Svenja Schwerdt jedoch ist es gelungen, autodidaktisch Chinesisch zu erlernen und zu perfektionieren. Diese hierzulande rare Qualifikation eröffnete ihr nach Abschluss ihres Studiums interessante berufliche Wege im Ausland.

Neben ihrer Muttersprache Deutsch schöpfte Frau Schwerdt vollständig den an deutschen Gymnasien angebotenen Fremdsprachenkanon aus (ab der fünften Klasse Englisch, ab der siebten Klasse Französisch, ab der neunten Klasse Latein und ab der elften Klasse Spanisch). Nebenbei lernte sie zunächst autodidaktisch, dann zusammen mit ihrer kantonesischen Austauschschülerin Mandarin (Hochchinesisch) und Kantonesisch. Nun in Quarantäne hat sie begonnen, Koreanisch zu erlernen – wieder im Eigenstudium. Wie sie auch hierbei rasche Fortschritte macht, haben wir im persönlichen Gespräch mit ihr herausgefunden.

Wie kam die Idee, eine völlig fremde Sprache eigenständig zu erlernen?

In der Schule fiel mir der Sprachunterricht eher leicht. Zu einem Hobby hat sich das Sprachen lernen aber erst entwickelt, als ich als Austauschschülerin auch Menschen anderer Kulturen selbst kennen gelernt habe – das war 2007 in Kanada. In meinem anschließenden Studium habe ich mich mit chinesischen Kommilitonen und Freunden über ihre Kultur, Filme und Musik unterhalten und wollte irgendwann auch gerne die Sprache lernen, um selbst verstehen zu können, was dort gesungen oder gesprochen wird. Chinesisch zu erlernen schien auch ein gutes Alleinstellungsmerkmal zu sein, das ich für meine spätere Berufswahl nutzen konnte. Ich lerne also Sprachen von Ländern, die ich gerne länger bereisen oder in denen ich sogar leben möchte, deren Klang ich schön finde oder die interessante Medien, wie beispielsweise Filme, Serien und Musik, produzieren (momentan liegt hierbei Korea im weltweiten Trend vorne).

Wie setzt du deine Sprachkenntnisse ein?

Bisher habe ich Englisch und Chinesisch am meisten aktiv benutzt. Englisch als Sprache, um mit internationalen Bekannten zu kommunizieren und Chinesisch für mehrere sehr lange Reisen und meine erste Arbeit als Projektmanagerin in einem deutschen Unternehmen. Ich habe dort Projekte geleitet, in denen es um die enge Zusammenarbeit der deutschen Firma mit ihren chinesischen Produzenten ging. In einem Fall war das die Umgestaltung einer Produktionshalle, in einem anderen Fall die Eröffnung einer ganzen Produktionsstätte. Ich konnte mich problemlos mit den chinesischen Geschäftspartnern in deren Muttersprache austauschen und ich glaube auch, dass ich damit zu einer besseren Beziehung zwischen uns als Geschäftspartnern beitragen konnte. Die anderen Sprachen setze ich ein, wenn ich auf Reisen gehe oder im Gespräch mit Tandempartnern.

Speziell zum Chinesischen: Wie merkst du dir die vielen Zeichen, hast du eine Art Technik entwickelt?

Ja, ich habe eine spezielle Technik: wiederholen, wiederholen, wiederholen. Aber mal ehrlich: Chinesische Zeichen sind Piktogramme – also bildliche Darstellungen realer Objekte. Aus einigen wenigen Piktogrammen wurden über die Jahrhunderte viele tausend verschiedene Zeichen auch für abstrakte Konzepte zusammengesetzt. Das heißt, man kann die Piktogramme im Zeichen immer noch erkennen. Häufig kann die Bedeutung und die Aussprache aus dem Zeichen so abgeleitet werden: zum Beispiel „Großmutter“ po 婆 = Piktogramm für „Welle“ bo 波 + Piktogramm für „Frau“ 女; hier wurde die Aussprache des einen Zeichens mit dem Sinn des anderen Zeichens kombiniert. Lernt man, die Piktogramme zu lesen und merkt sich das Zeichen anhand seiner echten „Bedeutung“, also zum Beispiel „Frau + bo“, wird es viel einfacher, das Zeichen wiederzuerkennen und selbst zu schreiben.

Hast du schon in der Schule so außergewöhnliches Sprachtalent bewiesen? Wie findest du die schulische Herangehensweise?

Ich war in der Schule immer gut bis sehr gut im Sprachen lernen. Ich finde jedoch, dass der Sprachunterricht nur unzureichend für die Sprachvermittlung geeignet ist. Sprachunterricht ist dann sinnvoll, wenn auf einer rein theoretischen Ebene ein Basiswissen für die Schüler angelegt werden soll. Häufig wird nämlich der Schwerpunkt auf das Erlernen von Grammatik und Vokabeln gelegt – das benötigt man, um einen Einstieg in die Sprache zu finden. Jedoch ist der Stellenwert der in der Schule gelehrten Grammatik fraglich. Hiermit ist das Pauken aller in einer Sprache vorhandenen Zeitformen und Modi gemeint, wenn gleichzeitig jedoch die Fähigkeiten, ein spontanes Gespräch in der Zielsprache zu führen, nicht ausreichen. Ohne diese beiden Lernkompetenzen kann man beim Sprachen lernen kaum nutzbare Fortschritte machen.

Hast du Möglichkeiten, mit anderen Lernenden oder sogar Muttersprachlern die Sprache aktiv zu üben?

Seit 2014, als ich meinen Job als Projektmanagerin gewechselt hatte, hatte ich keinen Kontakt mehr zu Chinesen. Auch andere Muttersprachler meiner Lernsprachen habe ich nicht in meinem Umfeld. Ich habe deshalb dieses Jahr wieder angefangen, mit Tandempartnern Chinesisch zu schreiben und zu sprechen und Koreanisch, meine neue Sprache, zu üben. Eine Tandem-Session zum Beispiel läuft so ab, wie die beiden Tandempartner sich darüber vorher verständigt haben. Das kann zum Beispiel sein, dass jeder der beiden in seiner Lernsprache spricht, also ich auf Chinesisch und meine chinesischen Tandempartner auf Deutsch. Es kann aber auch entschieden werden, dass zeitlich getrennt wird und jeweils eine Stunde ausschließlich in einer der Sprachen geredet wird und anschließend die Sprache von beiden gewechselt wird. Mit manchen Tandempartnern spreche ich jedoch einfach ein buntes Gemisch aller verfügbaren Sprachen, je nachdem, wie gut man seine jeweiligen Gedanken ausdrücken kann.

Was hältst du von (kommerziellen) Sprachlern-Apps und was macht für dich den Erfolg einer solchen App aus?

Ich lerne fast ausschließlich mit Sprachlern-Apps und habe bereits gute und weniger gute ausprobiert. Eine gute App bietet Folgendes:

  • Ein motivierendes Lernsystem (das ist vielleicht auch subjektiv einzuschätzen)
  • Eine Mischung aus Schreib-, Lese-, Hör-, und Sprechübungen
  • Vokabeltraining
  • Grammatikerklärungen
  • Realitätsnahe Lerninhalte, die direkt angewendet werden können
  • Wiederholungsmöglichkeiten von bereits Erlerntem

Ich persönlich lerne sehr gern asiatische Sprachen mit der App Lingodeer und kann für alle anderen Sprachen Mango Languages empfehlen. Beide Apps erfüllen die oben genannten Punkte weitestgehend. Das Schöne an der Verwendung solcher Apps sind auch die geringen Kosten: Ich persönlich gebe generell kein oder nur wenig Geld zum Sprachen lernen aus, da ich eben keine Sprachkurse besuche und auch wenige kostenpflichtige Materialien nutze. Heutzutage kann man alle notwendigen Materialien kostenlos online oder als App finden.

Welche Herangehensweise sollte jemand verfolgen, der absolut kein Sprachtalent ist?

Auch jemand, der „kein Sprachtalent“ hat, kann eine Sprache erfolgreich erlernen. Das Wichtigste ist, dass man eine Sprache lernt, die man auch einsetzen kann. Dann bieten sich einem genug Möglichkeiten, die Sprache immer weiter zu nutzen, bis man sie schließlich richtig beherrscht. Auf dem Weg dahin darf man sich nicht von der Angst vor Fehlern aufhalten lassen – die meisten Fehler beeinträchtigen nicht das, was an Sprache am wichtigsten ist, nämlich das erfolgreiche Kommunizieren seiner Gedanken an sein Gegenüber.

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