Geschlechterungerechtigkeit der unbezahlten Fürsorgearbeit. Von Mitsy Barriga Ramos

Forschung


Der Begriff der Fürsorge wurde in den letzten Jahren aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Ethisch betrachtet ist Fürsorge eines der fundamentalen Konzepte, mit dem sich Motivationen zu moralischen Handlungen verstehen lassen. Aus soziologischer Perspektive beschreibt Fürsorge, wie unsere persönlichen und sozialen Beziehungen in soziale Organisationsformen eingebettet sind. Aus ökonomischer Perspektive ist es wichtig, Fürsorge als eine Form von Arbeit zu betrachten, die bezahlt oder unbezahlt stattfinden kann. Beide sind ökonomisch betrachtet nicht nur wertvoll für einen funktionierenden Haushalt, sondern auch für die Steigerung des gesellschaftlichen Werts.

Eine der zentralen Fragen in aktuellen gesellschaftlichen Debatten ist, wie unbezahlte Fürsorge innerhalb eines Privathaushalts sowie zwischen den verschiedenen Akteuren der Gesellschaft, des Staates und dessen Institutionen gerecht verteilt werden kann. Im Folgenden gehe ich auf die spezifische Dimension der Geschlechtergerechtigkeit der unbezahlten Fürsorgearbeit ein. Denn unbezahlte Fürsorgearbeit hat unbestritten einen intrinsischen Wert für unsere Gesellschaft und ist unverzichtbarer Teil unserer sozialen, moralischen und wirtschaftlichen Beziehungen. Sie ist aber gegenwärtig geschlechterabhängig verteilt.

Geschlechterabhängige Arbeitsteilung und Ungleichheit gehen Hand in Hand, wenn es um die Gewohnheiten in der Fürsorge geht. So wird bezahlte und unbezahlte Fürsorgearbeit meist mit Geschlechterrollen im privaten und öffentlichen Raum assoziiert. Das traditionelle Rollenbild beinhaltet, dass die öffentliche Sphäre, besonders das Arbeitsleben, eher Männern vorbehalten ist, wohingegen die private Sphäre, insbesondere der Haushalt, der Ort für Frauen ist (Parsons, 1955). Diese Unterscheidung der Geschlechterrollen basiert auf der tradierten, zum Beispiel von Rousseau vertretenen Vorstellung, dass Frauen zum Regieren untauglich seien. Ihre „natürliche“ Rolle sei die der Hüterinnen und Bewahrerinnen des Sentimentalen, des Begehrens und des Haushaltes. Frauen aus der Öffentlichkeit auszuschließen schien gerechtfertigt und wurde als natürlich angesehen. Die Etablierung dieser ungleichen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern bedeutete, dass die Fürsorge eine exklusive Aufgabe der Frauen wurde.

Obgleich die Geschlechterrollen einen deutlichen Wandel erfahren haben, wird Fürsorgearbeit dennoch weiterhin implizit mit Frauen in Verbindung gebracht. Das spanische Instituto Nacional de Estadística (INE) zeigte 2018, dass Frauen im Vergleich zu Männern fast doppelt so viel Zeit für unbezahlte Fürsorgearbeit aufwendeten, etwa Kindererziehung, pflegebedürftige Familienangehörige und Hausarbeiten. Damit entsteht eine viel stärkere Doppelbelastung von Lohnarbeit und Fürsorge für Frauen. Männer fühlen sich für Aufgaben der Fürsorge nicht im gleichen Maß verantwortlich, sondern nehmen Fürsorgetätigkeiten eher als frei gewählte Aktivität wahr. Die Situation unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht wesentlich von anderen Ländern Europas (ILO Report of Care Work and Care Jobs, 2018). Selbst wenn Männer und Frauen in gleichem Ausmaß erwerbstätig sind, unterscheidet sich ihre Zeiteinteilung jenseits der Lohnarbeit, wenn sie in einem Haushalt mit Fürsorgebedürftigen – Senioren, Kindern, Menschen mit Behinderung – leben. Zudem sind es hauptsächlich Frauen, die unter solchen Umständen ihre Lohnarbeitszeit reduzieren und Teilzeitarbeit annehmen. Im Jahr 2014 gaben 27 Prozent der europäischen Frauen mit einer Teilzeitstelle an, dies getan zu haben, weil sie sich um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern mussten, im Vergleich zu 4,2 Prozent der Männer in Teilzeit (Schmid und Wagner, 2016). 2019 zeigte der Oxfam Report of Women and Unpaid Work, dass die ungleiche Verteilung der Haushaltsarbeit – bezahlt und unbezahlt – sich global nicht nur zwischen Mann und Frau, sondern auch zwischen sozioökonomischen Gruppen von Frauen unterscheidet. Frauen höherer Einkommensklassen mit Zugang zu höher entwickelter Infrastruktur sind weniger anfällig, unbezahlte Arbeit übernehmen zu müssen, als jene aus ärmeren, unterprivilegierten Schichten. Besonders Frauen am Rand der Gesellschaft, darunter Migrantinnen und Angehörige ethnischer oder sozial benachteiligter Gruppen, sind einem deutlich höheren Risiko einer Doppelbelastung durch Erwerbstätigkeit und Fürsorge im Haushalt ausgesetzt. So wirken also verschiedene Arten der Benachteiligung von Frauen bei der ungleichen Verteilung von unbezahlter Fürsorgearbeit zusammen.

Diese Verteilung hat Auswirkungen auf die Geschlechtergerechtigkeit, nicht nur im Haushalt, sondern auch in Bezug auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die politisch-rechtliche Integration von Frauen in die Arbeitswelt allein führt nicht automatisch auch zu einer Veränderung der Geschlechterverhältnisse bei der unbezahlten Fürsorgearbeit. „Über Regionen und Einkommensgruppen hinweg ist der Arbeitstag für Frauen durchschnittlich länger (7 Stunden 28 Minuten) als für Männer (6 Stunden 44 Minuten), wenn Lohnarbeit und Hausarbeit zusammen auftreten“ (ILO, 2018). Darüber hinaus zeigen neue Studien, dass Frauen weltweit während des COVID-19-Lockdowns signifikant mehr Zeit für die Betreuung von Kindern und Senioren aufwendeten (UNDP Report, 2020). Homeschooling wurde zu einer neuen häuslichen Aufgabe für viele Familien und wurde überwiegend als eine mütterliche Pflicht aufgefasst. Selbst wenn die arbeitenden Mütter mehr verdienten, übernahmen sie einen größeren Teil der Kinderbetreuung als arbeitende Väter.

Erst wenn man diese ungleiche Verteilung der unbezahlten Fürsorgearbeit mit berücksichtigt, lassen sich Geschlechterungerechtigkeiten sowohl im privaten Haushalt als auch in ökonomischen Zusammenhängen angemessener analysieren. Die Pandemie hat in allen Ländern gezeigt, dass sowohl bezahlte als auch unbezahlte Fürsorgearbeit einen substantiellen Beitrag zur Wirtschaft, aber auch zum individuellen und kollektiven Wohlbefinden leistet. Das ist ein gewisser Fortschritt. Trotzdem bleibt ein Punkt unübersehbar: das bemerkenswerte Ausmaß und Gewicht der unbezahlten Fürsorgearbeit, das auf den Schultern von Frauen in allen Gesellschaften lastet. Unbezahlte Fürsorgearbeit konnte als einer der Hauptgründe für die Ungleichheit der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt belegt werden. Es kann kein wirklicher Fortschritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung erzielt werden, solange diese bisher unsichtbare Leistung der Frauen keine Anerkennung erhält und keine Neuverteilung der Fürsorgearbeit zwischen Männern und Frauen, im Privaten wie in der Öffentlichkeit stattfindet. Solange die ungleiche Verteilung der unbezahlten Fürsorgearbeit nicht mit einer adäquaten Fürsorge-Politik angegangen wird, wird ihre überproportionale Beschäftigung mit Fürsorgearbeit Frauen weiterhin davon abhalten, am gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt teilzuhaben.

  • Fachbereich: Praktische Philosophie
  • Universität: Freie Universität Berlin

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