Evidenzbasierte Forschung zur Stressreduktion, verbesserten Anpassung und psychischem Wohlbefinden von Immigranten. Von Moujan Tofighi

Forschung


Seit 2019 sind mehr als 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland eingewandert (UNHCR, 2019). Die meisten Studien auf dem Feld der Migration und psychischen Gesundheit konzentrierten sich nur auf Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und lebensbedrohliche Traumata wie Kriegserfahrungen und körperliche Gewalt. Viele Kliniker sind jedoch immer noch nicht zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Behandlung, da die Erfolgsraten gering und die Abbrecherraten hoch sind. Die bisherige Herangehensweise berücksichtigte nicht die Rolle chronischer sozialer Stressoren wie Ungerechtigkeit und Diskriminierung, die häufig die wichtigste Rolle bei Migrationsentscheidungen und der Entwicklung psychischer Störungen spielen. Daher ist es das Ziel unseres Teams in der psychosomatischen Forschungsgruppe der Charité unter der Leitung von Prof. Michael Linden und Prof. Meryam Schouler Ocack, ein innovatives Licht auf die Wirkung sozialer Stressoren auf die psychische Gesundheit von Immigranten zu richten sowie ein Weisheitstrainingshandbuch für diese Zielgruppe zu entwickeln und die Effizienz dieses Ansatzes für Anpassungsstörungen unter ihnen zu überprüfen. Im Rahmen dieses Projekts soll die Frage beantwortet werden, ob die neue psychologische Intervention (Weisheitstraining), die auf kognitiver Verhaltenstherapie und Weisheitspsychologie aufbaut, die mit migrationsbezogenen Stressoren verbundene Belastung reduzieren und die Anpassung verbessern kann.

Noch nie war unsere Gesellschaft so stark mit Migrationsbewegungen konfrontiert. Der Umgang mit der damit verbundenen Belastung durch lang anhaltende Stressfaktoren ist jedoch nicht leichter geworden. Migrationsbedingte Stressoren (Migration Related Stressors, MRS) entstehen zunächst in der Vor-Migrationsphase, da sich Auswanderer, insbesondere Flüchtlinge, oft aufgrund von Gewalt, Konflikten, Menschenrechtsverletzungen, ethnischer und religiöser Verfolgung, Fehlverhalten von Institutionen, fehlender sozialer Sicherheit und allgemein aufgrund von Diskriminierung und Ungerechtigkeit zur Migration entschließen. Dann gibt es auch Stressfaktoren auf dem Weg in ihr Zielland. Auch hier kann es zu Gewalt, lebensbedrohlichen Erfahrungen, Diskriminierung und Erniedrigung kommen. In der Phase nach der Migration besteht Anpassungsbedarf im Gastland, es gibt Akkulturationsstressoren, finanzielle Schwierigkeiten, herausfordernde persönliche Beziehungen, Familientrennung, Verlust, Isolation, eingeschränkte Freizügigkeit, Stigmatisierung und Marginalisierung. Diese Arten von Stressfaktoren werden in unterschiedlichem Ausmaß von allen Einwanderern erlebt, insbesondere von Flüchtlingen, die unter Umständen auch mit Verhaftungen oder sogar dem Mord an einem Familienmitglied, Verbrechen, schweren Verletzungen, Krankheit, Übergriffen und Vergewaltigungen zu kämpfen haben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Migranten in der Phase vor, während und nach der Einwanderung oft mit schweren und oft chronischen Stressoren zu kämpfen haben.

Neben PTBS infolge lebensbedrohlicher Erfahrungen sind Ungerechtigkeit und Erniedrigung eine weitere Art schwerer psychosozialer Stressoren. Menschen sind sehr empfindlich gegenüber Ungerechtigkeit, Demütigung und Diskriminierung. Selbst das Erinnern einer ungerechten Situation ist mit einem hohen Maß an psychischem Stress, Angst und sogar physischem Schmerz verbunden. Solche Gefühle beeinflussen auf negative Weise das Leben, das Verhalten, die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die persönlichen Beziehungen der Einwanderer. In einem Teufelskreis beeinträchtigen Gefühle ungerechter Behandlung am Rande der Gesellschaft und der Verbitterung das tägliche Leben und die Anpassung der Einwanderer, was wiederum ein Grund für weitere Erfahrungen von Versagen und Abgeschiedenheit ist.

Die Auswirkungen eines Traumas für den Betroffenenen können sehr unterschiedlich sein, von persönlichem Wachstum bis hin zur Posttraumatischen Verbitterungsstörung (PTED). Die Art der Reaktion wird durch Resilienzfaktoren vermittelt. Von allgemeiner Bedeutung sind Weisheitskapazitäten, die helfen können, positiv mit einer Lebenskrise umzugehen und eine Transformation zu posttraumatischem Wachstum zu entwickeln: Fakten- und Strategiewissen, Kontextualisierung, Wertrelativismus, Perspektivenwechsel, Empathie, Selbstdistanz, Selbstrelativierung, Unsicherheitsakzeptanz, Gelassenheit, eine langfristige Perspektive, Vergebung und Zukunftsorientierung. Die Forschung über Weisheitskapazitäten hat gezeigt, dass sie dazu beitragen, einen Weg zum Umgang mit krisenhaften Problemlagen zu finden. Der Tod eines geliebten Menschen, die Vertreibung aus dem Heimatland, die Beleidigung und Schande durch andere sind Lebensereignisse, die nicht rückgängig gemacht werden können. Weisheit kann daher als eine psychologische Ressource angesehen werden, die für Einwanderer und noch mehr für Flüchtlinge von besonderer Hilfe sein kann.

Weisheit ist eine Fähigkeit, die mit anderen psychologischen Fähigkeiten, wie z.B. sozialer Kompetenz, vergleichbar ist und trainiert werden kann. Es hat sich gezeigt, dass selbst kurze Interventionen die Weisheitskompetenzen stärken können. Eine besondere therapeutische Intervention ist in diesem Zusammenhang die Methode der unlösbaren Lebensprobleme. Weisheitstraining ist eine neuartige psychologische Intervention auf der Grundlage der kognitiven Verhaltenstherapie und der Weisheitspsychologie, die das Level der Belastbarkeit und der Bewältigungsfähigkeiten erhöht.

In diesem Projekt verwenden wir eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT), um Teilnehmer einer Weisheitstrainingsgruppe mit Personen auf einer Warteliste zu vergleichen. Das Weisheitstraining in dieser Studie besteht aus sechs Modulen, wobei die Reihenfolge je nach den Teilnehmern flexibel ist. Die sechs Module werden in zehn bis zwölf wöchentlichen Sitzungen durchgeführt, die eine Stunde dauern. Die gesamte Intervention dauert 3 Monate. Jede Behandlungsgruppe besteht aus einem Trainer und einer Kleingruppe aus vier bis sieben Teilnehmern.

Die Erkenntnisse unseres Projekts können dazu verwendet werden, gezielte Interventionen für migrationsbezogene Stressoren und Integrationsprogramme zu entwickeln, die darauf abzielen, Anpassungsstörungen vorzubeugen, insbesondere die mit Verbitterung assoziierten.
Das Ergebnis der aktuellen Studie könnte unmittelbar im klinischen Umfeld angewendet werden, um Anpassungsstörungen zu behandeln, das Wohlbefinden zu fördern und störende Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Verbitterung bei Immigranten zu verhindern. Wir erwarten, dass die vorgeschlagene Gruppenweisheitsschulung die weiteren direkten und indirekten Kosten für das deutsche Gesundheitssystem (einschließlich stationärer Behandlungen) und das Sozialfürsorgesystem reduzieren wird.

  • Literaturempfehlung: Linden, M. (2017). Verbitterung und Posttraumatische Verbitterungsstörung. Fortschritte der Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe Verlag.
  • Fachbereich: Psychologie
  • Institut: Charité - Universitätsmedizin Berlin

freiraum #67