Wie eine bessere Typografie die Kommunikation schärft und beschleunigt. Von Ivo Gabrowitsch

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Der Wahlkampf um das Amt des US-Präsidenten ist kostspielig, laut und schmutzig. Stilistisch können die deutschen Parteien wenig von Uncle Sam lernen. Außer bei der visuellen Kommunikation: Die ist vorbildlich.

Als der US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden am 11. August seine Running Mate, Kamala Harris, bekannt gab, hatte er sofort das Biden/Harris-Logo für die Medien parat. Was wie eine Nebensächlichkeit klingt, war tatsächlich ein cleverer Marketing-Schachzug und eine logistische Meisterleistung, denn das Logo wurde gemeinsam mit der Nachricht millionenfach verbreitet und geteilt: ein kostenloser, breit gestreuter Frühstart der Biden-Wahlkampagne, die offiziell erst eine Woche später mit dem Parteitag der Demokraten begann.

Das Logo und die Kampagnenschrift stammen aus der Feder des New Yorker Designers Jonathan Hoefler, der bereits 2008 für Barack Obama den Wahlkampf-Slogan „Yes We Can“ typografisch inszenierte, mit der markanten Schrift Gotham. Auf seiner Website gewährt Hoefler einen Blick hinter die Kulissen seiner Arbeit für Biden. „Wie baut man ein Logo, ohne die zweite Hälfte des Texts zu kennen?“, fragt er seine Leserinnen und Leser. Die Antwort: „Mit Gewalt: Du entwirfst und testest alle nur denkbaren Kombinationen auf Basis der öffentlich gehandelten Namen.“

Auch wenn die „Mechanik“ der US-Wahlkampagnen nur schwer mit der Parteienwerbung in Deutschland zu vergleichen ist, kann man sich einiges abschauen. Zum Beispiel, wie erfolgreich das Netz für die Mobilisierung von Mitgliedern und Parteifreundinnen und -freunden eingesetzt wird. Obama war vor zwölf Jahren ein Vorreiter auf diesem Gebiet und damit sehr erfolgreich. Des Weiteren bedienen sich die US-Wahlkampagnen auf vorbildliche Weise der wichtigsten Markenbausteine: Farbe und Schrift.

Tatsächlich wird hierzulande die Rolle der Schrift seit Jahrzehnten unterschätzt – egal, ob es um die Hausschrift einer Partei oder eine Kampagnenschrift geht. Wahlkampf ist Marketing, und die Partei ist die Marke. Die visuelle Identität einer Marke besteht aus nur vier Elementen: Farbe, Form, Bild und Schrift. Vor dem Hintergrund, dass Bilder wechseln, Farben subjektiv wahrgenommen werden und mit der Form gespielt wird, ist die Schrift die einzig echte Konstante in der visuellen Identität einer Marke. Ist diese gut gewählt, trägt sie eine Marke auch ganz alleine, ohne Bild, Farbe und Form … man denke nur an die reinen Text-Kampagnen von Mercedes, Fritz Kola oder Nivea.

Doch wie wählt man die richtige Schrift für eine Marke oder eine Kampagne? Indem man sich von Typografie-Expertinnen oder -Experten beraten lässt. Die werden Fragen stellen wie:

  • Welches sind die Markenwerte? (zum Beispiel sozial, fortschrittlich, liberal, etc.)
  • Wo kommt die Schrift zum Einsatz? (zum Beispiel Plakate, Website, Newsletter, etc.)
  • Wie wichtig sind fremdsprachige Zeichen? (für die Namen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, für Zielgruppenwerbung, etc.)
  • Sollen Logos in die Schrift eingebaut werden? (für leichte Zugänglichkeit, fehlerfreien Einsatz, Konsistenz, etc.)

Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass sich mit den richtigen Fragen die passende Schrift sehr schnell von einer Auswahl aus Tausenden auf ein Dutzend reduziert. Aus diesem Dutzend wählt man nun eine optisch und technisch passende Schriftfamilie aus. Je jünger und unbekannter sie ist, um so mehr Identität verleiht sie einer Marke. Wer mit Helvetica, Futura oder Times eine wiedererkennbare Marke aufbauen möchte, wird es schwer haben, weil schon Tausende anderer Unternehmen ihre Bekanntheit mit diesen Klassikern aufgebaut haben. Aus demselben Grund verbieten sich Systemschriften (beispielsweise Arial oder Verdana) und Google-Fonts wie Roboto, Open Sans, Lato oder Noto denn sie sind millionenfach im Einsatz.

Politischen Parteien würde ich die Entwicklung einer Exklusivschrift empfehlen. Wenn man bedenkt, wie intensiv politische Organe schriftlich kommunizieren, ist das eine gute Investition in die Basis einer visuellen Identität. Im Vergleich zu Industrieschriften schützt eine Exklusivschrift auch vor Parodien und Fälschungen. Oder habt ihr gemerkt, dass ich in der Abbildung oben rechts den Text ausgetauscht habe? Eigentlich heißt der Claim aus dem 2017er Wahlkampf im Original: „Digitalisierung als Chance“. Da die verwendete Schrift DIN Bold Condensed aber weit verbreitet ist, fiel mir der Austausch des Textes nicht schwer.

Schließlich noch ein Wort zur Verwendung von Schrift auf Plakaten. Auch da sollte man Typografie-Experten zu Rate ziehen. Die wissen zum Beispiel, dass ein Text aus Großbuchstaben rund 15 Prozent langsamer erfasst wird als ein gemischt geschriebener Text. Das ist nicht unwichtig im öffentlichen Raum, in dem Betrachtende keine Zeit haben und die Botschaft mit vielen anderen konkurriert. Zudem erlaubt die gemischte Schreibweise, einen Text etwas größer zu setzen.
Das dritte Beispiel in Abbildung 3 macht deutlich, dass eine humanistische Sans-Schrift – im Vergleich zur geometrischen Futura – enger läuft und deutlich besser lesbar ist. Das Motiv ganz rechts erinnert an die Flexibilität einer gut gewählten Schriftfamilie, die nicht nur verschiedene Strichstärken anbieten sollte (zum Beispiel Regular, Medium, Bold oder Black) sondern auch verschiedene Breiten (Condensed oder Extended). Erfahrungsgemäß gibt es auf Wahlplakaten immer zu wenig Platz für Slogans oder den Namen einer Kandidatin oder eines Kandidaten. Die Lösung ist eine Condensed-Schrift, die erlaubt, viel Text unterzubringen und wenig Text größer zu setzen.

Fazit: Wer groß denken und kommunizieren möchte, beginnt im Kleinen, nämlich bei den Buchstaben, den Bausteinen der Botschaften. Ist die Mikroebene stimmig, wird auch das Große und Ganze sicher transportiert.

Ivo Gabrowitsch, Gründer und Geschäftsführer Fontwerk, Berlin (in der Grundförderung von 2005 bis 2008). Gabrowitsch ist Dipl.-Ing. (FH) Druck- und Medientechnik sowie Mediengestalter für Digital- und Printmedien. Zehn Jahre war er in leitender Position bei FontShop und Monotype für die Entwicklung und das Marketing führender Schriftmarken verantwortlich, darunter FontFont, MyFonts und Linotype. Als international angesehener Typografie-Experte hielt er unter anderem Vorträge in London, Boston, San Francisco, Istanbul, Oslo, Hongkong und Delhi. Er war Mitglied im Normungsausschuss DIN 1450 (Schriften – Leserlichkeit) und ist Gründer des Typostammtisch Berlin. Sein Büro Fontwerk begleitet Agenturen, Marken und Designer bei der (typo)grafischen Transformation: strategisch, gestalterisch und technologisch.

Kontakt: ivo@fontwerk.com

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