Untersuchungen zu autobiographischen Schriften früherer Partei- und Kulturfunktionäre von NSDAP und SED. Von Hans-Ulrich Danner.

Forschung


Die Aufarbeitung der deutschen Diktaturerfahrung steht seit der Wiedervereinigung besonders im Fokus, da mit dem Untergang der DDR die Phase der „doppelten Vergangenheitsbewältigung“ einsetzte. Mein Dissertationsprojekt fokussiert eine eher ungewöhnliche Form der Aufarbeitung, nämlich den Blick der ehemaligen Partei- und Kulturfunktionäre der NSDAP bzw. SED auf ihr gescheitertes Regime. Die autobiographischen Schriften dieser Personengruppe bilden die zentralen Quellen der Arbeit. Obwohl zahlreiche Memoiren des 20. Jahrhunderts, wie die von bürgerlichen und sozialdemokratischen Politikern, Historikern und Literaten, Opfern des Holocausts, Generälen der Wehrmacht, Geisteswissenschaftlern, Schriftstellern oder Naturwissenschaftlern und Technikern der DDR bereits analysiert wurden, blieben die Texte der führenden politischen Beteiligten bisher außen vor.

Ziel der Studie ist es, die Formen der Verarbeitung und Bewältigung politischen Scheiterns herauszuarbeiten und sowohl untereinander als auch systemübergreifend zu vergleichen. Neben allgemeinen Kriterien für politische Memoiren werden inhaltliche und vergleichende Fragen an die Autobiographien gestellt. Zuerst werden die Motivation der Memoirenschreiber und die Wahl des Verlages näher betrachtet. Anschließend steht die Darstellung der politischen Sozialisation und die Beschreibung des Weges in die Staatspartei im Mittelpunkt, wobei die biographische Trennlinie der Verfasserschaft – der Erste bzw. der Zweite Weltkrieg – nicht übersehen werden darf. Die ehemaligen Funktionsträger nutzten eine Reihe an Rechtfertigungsstrategien, die anhand von Fallbeispielen untersucht werden. Neben den erwartbaren Relativierungen und Leugnungen betonten zahlreiche Autoren ihr vermeintliches Nicht-Wissen, ihren scheinbaren positiven Einsatz oder (angeblich) erfahrenes Leid. Außerdem verwiesen viele Verfasser auf die vermeintlichen Erfolge der gescheiterten Diktatur, verschoben die Schuld nach oben oder rechtfertigten mehrere Verbrechen mittels Vergleich. Eine weitere Verarbeitungsmethode besteht im Schuldbekenntnis, wobei genau zwischen der moralischen und juristischen Version differenziert werden muss. Die zweite Variante muss dabei nicht einer strafrechtlich relevanten Selbstbelastung gleichkommen, sondern kann auch in der Akzeptanz eines Urteils liegen.
Der nächste Aspekt, der analysiert wird, ist die Kritik, die in den Autobiographien zur Sprache gebracht wurde. An dieser Stelle ist besonders von Interesse, ob sich die einzelnen Memoirenschreiber nur auf Mängel in der Praxis des Regimes beschränkten oder auch Angriffe auf das grundsätzliche System und die maßgebliche Ideologie formulierten. Die Brandmarkung gewisser Einzelpersonen, wie Martin Bormann (Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP) oder Günter Mittag (ZK-Sekretär der SED für Wirtschaftsfragen), durch zahlreiche Autoren wird hier ebenfalls untersucht.

Der Untergang war für die Mehrheit der ehemaligen Partei- und Kulturfunktionäre der Hauptbeweggrund, überhaupt Erinnerungen zu verfassen. Daher muss natürlich unter die Lupe genommen werden, wie die Autoren das Scheitern erläutern. Allgemein lassen sich zwei Gruppen ausmachen, nämlich plausible und unplausible Erklärungsmuster für den Systembruch. Zur ersten gehören beispielsweise die Unterschätzung der Gegner im Zweiten Weltkrieg oder der unnötige Angriff auf die Sowjetunion bzw. das ökonomische Versagen oder der Druck von der Straße im Jahr 1989, während zur letzten die Verratsthese bezüglich der Kriegsniederlage bzw. die verpassten Reformen von Seiten der SED gerechnet werden. Spannend ist auch zu betrachten, wie sich die Verfasser nach dem Untergang ihrer Diktatur selbst politisch verorteten. Manche verzichteten gänzlich auf einen Standpunkt, wohingegen ein Großteil seiner ideologischen Überzeugung – teils in modifizierter Form – treu blieb. Das demokratische System der BRD wurde tatsächlich nur von einer Minderheit explizit anerkannt.

Aus den genannten Einzelpunkten der Studie ergeben sich verschiedene, systemübergreifende Typen der Verarbeitung:
Als erstes ist an dieser Stelle der „reine Apologet“ aufzuzählen, der ein überwiegend positives Bild des Dritten Reiches bzw. der DDR zeichnete und seiner Überzeugung selbstverständlich treu blieb. Kritik ist bei Vertretern dieses Typs eine Ausnahme; der Untergang wird unplausibel oder gar nicht erklärt.
Eine Verteidigung der gescheiterten Diktatur ist auch zentrales Merkmal des „widersprüchlichen Apologeten“, der jedoch deutlich mehr Kritikpunkte vorbrachte. Häufig zentrierten sich die Autoren dieses Typs auf ein mögliches „besseres“ System, welches sie teilweise durch ihr eigenes Wirken vorgelebt hätten. Eine weitere Form des Widerspruchs besteht darin, dass einige Verfasser auf eine Vielzahl an Leid, welches sie erfahren hätten, verwiesen, während sie das Regime als Ganzes glorifizierten.
Der dritte Typ, der als „egoistischer, unaufrichtiger Selbstverteidiger“ bezeichnet wird, versuchte im Gegensatz zu den ersten beiden nicht, das gescheiterte Regime zu schützen. Er verteidigte ausschließlich sich selbst, wofür er alle Mittel einsetzte, auch das gezielte Verfälschen der eigenen Rolle sowie das falsche Vorgeben von Nicht-Wissen.
In diesem Punkt liegt der entscheidende Unterschied zum „glaubwürdigen Renegaten“, der – wie der Name bereits impliziert – seine Vergangenheit ehrlich darstellte und sich wirklich, nicht nur taktisch, von der alten Ideologie abwandte. Um zum letzten Typ zu gehören, reicht allerdings eine Autobiographie alleine nicht aus, weshalb auch das Nachleben der Memoirenschreiber untersucht wird.
Im „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawm) waren die beiden deutschen Diktaturen alles andere als Ausnahmeerscheinungen. Von den 28 europäischen Staaten der Zwischenkriegszeit waren 1920 nur zwei diktatorisch regiert, während es zwanzig Jahre später nur noch fünf demokratische Systeme gab. Ostmitteleuropa und weite Teile Südeuropas wurden außerdem nach 1945 zwangsweise durch die Sowjetunion kommunisiert, wobei es aber auch zu Sonderwegen, wie in Jugoslawien oder Rumänien kam. Diese Entwicklung, die auch außerhalb Europas zu beobachten war, legt nahe, die Forschungsfragen dieses Promotionsprojekts auch auf andere totalitär sowie autoritär geführte Staaten des 20. Jahrhunderts zu übertragen. Hier wäre interessant zu untersuchen, wie Funktionsträger anderer Länder nach dem Ende ihres Systems ihre Vergangenheit schilderten. Gab es überhaupt eine ähnliche „Memoirenflut“, wie sie im deutschen Fall konstatiert wurde? Lassen sich dieselben Verarbeitungsstrategien oder gar Typen wiederfinden?

  • Hans-Ulrich Danner
  • Fachbereich: Neueste Geschichte
  • Universität: Universität Passau

Der Autor ist seit April 2019 in der Promotionsförderung der FNF.

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