Ein Interview mit Daniel Kraft – Bundespressesprecher der bpb. Von Matilda März

Interview


Politische Bildung ist die Brücke zwischen Politik und Gesellschaft. Sie soll den Abstand zwischen Bürger*innen und „denen da oben“ verringern, sie soll zu politischer Partizipation und kritischem Hinterfragen anleiten. Sie ist für den Fortbestand eines Staates unerlässlich, und doch kommt sie oft zu kurz. Mit Daniel Kraft, Bundespressesprecher der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb) spricht Matilda März über alte Aufgaben, allgegenwärtige Probleme und jüngste Herausforderungen politischer Bildung.

Die Corona-Pandemie als Vorwand, die Bürgerrechte abzuschaffen, § 28a IfSG als „Ermächtigungsgesetz“ – Wie steht es Ihrer Meinung nach um die politische Bildung in der Bundesrepublik?

Für den überwiegenden Teil der Bevölkerung steht es sehr gut um die politische Bildung und das Verständnis für politische Zusammenhänge. Daher sehen sie beispielsweise den Unterschied zwischen temporären Maßnahmen zum Zwecke des Infektionsschutzes einerseits und tatsächlichen Eingriffen in unser demokratisches System andererseits. Letztere finden schlicht nicht statt, und wer so etwas behauptet, der macht das mit dem Vorwand, unser demokratisches System zu desavouieren und hat in Politik und Geschichte nicht aufgepasst. Das ist zwar nur eine kleine Minderheit, aber sie ist sehr laut und schrill, daher erscheint sie uns so präsent.

Wie geht man politisch, aber auch privat mit dieser Lautstärke um?

Michelle Obama hat es mit „When they go low, we go high” ganz gut getroffen. Einen ruhigen Ton beizubehalten, die historischen Kontexte aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass die Diskussion um „wahr“ oder „falsch“ vollkommen unangemessen ist, wenn es sich um Tatsachen handelt – das ist die richtige Richtung. Schwierig wird es bei der kleinen Gruppe derer, die in Verschwörungstheorien abdriften. Hier müssen wir uns über eine Sache im Klaren sein: Wir werden sie mit Fakten und Hintergrundwissen nicht erreichen, die argumentative Ebene wird hier keinen Anklang finden. Daher ist es umso wichtiger, zum mindestens auf der emotionalen Ebene an den Menschen dran zu bleiben und Zweifel zu sähen, zum Beispiel durch das Aufzeigen von Absurditäten, möglicherweise auch auf humoreske Weise. Unabhängig davon müssen wir uns bewusst sein, dass der Umgang mit abdriftenden Weltbildern immer ein Langstreckenlauf ist – das ist keine Sache, die sich mal ebenso so lösen lässt.

Wie viel haben das Maß an politischer Aufklärung und radikale politische Ansichten miteinander zu tun? Oder anders gefragt – ist politischer Radikalismus zwangsläufig verbunden mit wenige politischer Bildung?

Ein geringes Maß an politischer Bildung ist in jedem Fall eine zentrale Ursache für radikales Verhalten. Aber es wäre ein Trugschluss zu denken, dass alles besser wird, wenn wir die politische Bildung erhöhen. Ebenso bedeutend sind zum Beispiel die ökonomischen Chancen im eigenen Leben, der soziale Status, die Gesundheit, das Umfeld. Politische Bildung befördert die Legitimität demokratischer Systeme, aber sie ist nicht der einzige Baustein für eine homogene Gesellschaft.

Laut einer aktuellen Befragung des Digitalverbandes Bitkom beziehen 82% der Deutschen ihre Informationen zum Coronavirus aus dem Internet. Es stellt den Nutzer vor die Herausforderung, aus einer unüberschaubaren Menge von Meinungen verlässliche Informationen zu filtern. Welche Auswirkungen hat das Internet auf die politische Bildung der Gesellschaft genommen?

Es ist Fluch und Segen zugleich. Wir als bpb können dank der digitalen Vernetzungsmöglichkeiten mehr Menschen erreichen, direkt mit dem Endverbraucher in Kontakt treten und somit Bürger politisch aktivieren. Aber diese Möglichkeiten bestehen auch für die extremen, unsachlichen Stimmen, und ich denke, dadurch leistet das Internet einen großen Beitrag dazu, dass sich bestimmte Themen radikalisieren. Es bietet einen Raum hemmungsloser Kritik, weil man sich – anders als in der „Wirklichkeit“ – nicht persönlich gegenüberstehen muss. Das zeigt sich insbesondere am Hass gegen Amtsträger, der durch das Internet nicht nur sichtbarer, sondern auch aggressiver geworden ist. Hinzu kommt die Gefahr, bewusst oder unbewusst in die falschen Gruppen und Chatforen zu gelangen – der falsche Freundeskreis ist nicht mehr nur eine Problematik im realen Umfeld, sondern in viel größerem Ausmaß auch im digitalen Bereich.

Die Aufgabe der bpb ist unter anderem, die kritische Teilnahme am politischen Leben zu ermöglichen, denn ein mündiger Bürger nimmt nicht nur hin, sondern hinterfragt auch. Wie kann politische Bildung das richtige Maß zwischen der Befähigung von Bürgern, mündig und kritisch am politischen Geschehen teilzuhaben, und ausufernder Systemkritik halten?

Politische Bildung ist kein wertfreier Raum. Die Aufgabe der bpb nach der bundesdeutschen Tradition ist es, Demokratie zu stärken, und damit orientiert sie sich an bestimmten Werten. Die Grundidee für die bpb war, mit ihr die bildungspolitische Seite des Verfassungsschutzes zu bilden, daher sind wir auch von den Gründungsvätern im Kontext des Innenministeriums angesiedelt worden und nicht zum Beispiel im Bereich der Wissenschaft oder Bildung. Im Laufe der Jahre haben sich für die Arbeit der bpb drei Grundsätze entwickelt: Was kontrovers ist, muss auch kontrovers diskutiert werden; Jeder Bürger muss in der Lage sein, politische Situationen und die eigenen Interessen analysieren zu können; Es besteht eine Überwältigungsverbot. Diese Punkte zeigen, dass politische Bildung sich klar von Indoktrination abgrenzt. Sie verfolgt das Ziel einer offenen Gesellschaft, indem sie Bürger dazu befähigt, entsprechend der Regeln am demokratischen politischen Prozess teilzuhaben. Sobald jedoch die offene Gesellschaft und damit die Demokratie in Frage gestellt wird, wird auch das Feld der politischen Bildung verlassen.

Also muss politische Bildung zwangsläufig eine Wertentscheidung für die Demokratie treffen? Anders gefragt: Dürfte sich ein Vorgehen nicht mehr politische Bildung nennen, wenn es den Bürgern wertungsfrei die Grundlagen verschiedener Herrschaftsformen vermittelt und ihnen die Entscheidungsfreiheit gelassen wird, für eine dieser Formen politisch einzustehen?

Nein. Das Verständnis von politischer Bildung in Deutschland ist das einer demokratischen politischen Bildung. Im internationalen Kontext hingegen wird nicht von „political education“, sondern von „civic education“ gesprochen. Das liegt daran, dass in vielen östlichen Ländern der Begriff der politischen Bildung negativ konnotiert ist, weil unter ihn früher Maßnahmen gefasst wurden, die die diktatorischen Herrschaftssysteme rechtfertigen und sichern sollten. In Deutschland ist der Begriff hingegen positiv belegt, denn das Fundament für jede Form der politischen Bildung hingegen die Demokratie.

Gemäß der Rahmenlehrpläne vieler Bundesländer wird das Schulfach „Politische Bildung“ mit nur einer Wochenstunde unterrichtet. Zudem ist es den Schülerinnen und Schülern ab der Sek II möglich, dieses Schulfach ganz abzuwählen. Werden junge Erwachsene mit zu wenig politischer Bildung aus der Schule entlassen?

Bildung ist Ländersache, daher steht es mir als Sprecher der Bundeszentrale für politische Bildung nicht zu, die Handhabung der einzelnen Länder zu kommentieren. Ich kann jedoch sagen, dass wir als bpb der Meinung sind, viel bringt viel. Daher freuen wir uns über alle Bundesländer, die der politischen Bildung in den Curricula einen hohen Stellenwert beimessen, und dass möglichst vom Grundschulalter an.

Bleiben wir zum Ende nochmal bei den jungen Menschen: Youtube ist die zweitbeliebteste Informationsquelle der zwölf bis 19-Jährigen. Interaktive Medien zur Informationsbeschaffung werden als interessanter, einfacher und ansprechender wahrgenommen. Sollte der Fokus auch auf Informationswebsites von Text auf Video verschoben werden, um mehr junge Leute anzusprechen?

Auf jeden Fall. Politische Bildung kann nur funktionieren, wenn sie dort eingesetzt wird, wo Menschen ihre Informationen beziehen und unprätentiös auf diese Medien eingeht. Ein gutes Beispiel ist der Wahl-O-Mat, der eines der erfolgreichsten Konzepte seit Entstehung der bpb ist, weil er den Menschen auf einfache und papierfreie Weise dabei helfen kann, ihre politischen Interessen zu verorten. Auch YouTube bietet die Möglichkeit, nochmal mehr und vor allem junge Bürger zu erreichen, wenn man sich auf die dort erfolgreichen Formate einlässt. Die bpb macht immer häufiger Projekte mit YouTubern, weil dadurch Zielgruppen zugänglich werden, zu denen wir vorher nie hinkamen. Die Vermittlung von politischer Bildung muss nach den jeweiligen Adressaten ausgerichtet und für sie interessant werden, um zu gelingen. Das bedeutet, dass zur Vermittlung politischer Inhalte eine Beautybloggerin oder ein Comedian mancherorts viel besser geeignet ist als ein Akademiker, und ein Video viel effektiver sein kann als ein Buch.

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