Wie die Psychologie über das Gelingen von Homeoffice entscheiden kann. Nadja Hirsch

Schwerpunkt


Viele haben die Vorzüge von Homeoffice für sich erkannt, andere warten schon sehnsüchtig auf den Tag, an dem sie wieder in das Büro gehen können. Sicherlich tragen verschiedene Faktoren wie die Belastung durch Homeschooling, eine beengte Wohnsituation etc. dazu bei, ob Homeoffice positiv oder negativ erlebt wird.

Die ersten Fragen, die in Verbindung mit Homeoffice auftauchen, sind: „Funktioniert die Technik?“, „Wie sieht es mit dem Datenschutz aus?“ und „Funktioniert die Internetverbindung?”

Im zweiten Schritt spielt dann oft schon das Thema Usability eine große Rolle. Denn gibt es etwas Nervigeres als ein System, das nicht nutzerfreundlich ist? Also wird hier investiert und die Schnittstellen werden optimiert, um das Homeoffice-Erlebnis nicht traumatisch werden zu lassen.

Einen blinden Fleck stellen aber häufig die psychologischen Aspekte im Homeoffice dar. Ebenfalls wird wenig darauf geachtet, dass Führungskräften eine besondere Aufgabe zukommt, da sie entscheidend zum langfristigen Erfolg von Homeoffice beitragen.

Weitläufig wird noch von der Notwendigkeit eines „richtigen” Mindsets gesprochen. Dass inzwischen so viele Menschen im Homeoffice arbeiten, liegt aber bekannterweise weniger daran, dass sich das Mindset bei allen plötzlich verändert hat, sondern in der Notwendigkeit durch COVID. Diese Veränderung war weder vorhersehbar, noch freiwillig, noch positiv. Es sind also diese drei Kriterien einer Krise, die zu dieser Veränderung geführt haben. Manche Mitarbeiter*innen und Chef*innen sind unvorbereitet und unfreiwillig in das Homeoffice gedrängt worden.

Um langfristig ein positives Arbeitserleben im Homeoffice zu haben, müssen die drei universellen psychologischen Grundbedürfnisse aufrechterhalten werden: soziale Eingebundenheit, Kompetenzerleben und Autonomie. Die Aufgabe von Führung ist es, die Rahmenbedingungen im Homeoffice zu schaffen, damit diese Grundbedürfnisse erfüllt werden können. Um diese Grundbedürfnisse im Setting des Homeoffice zufriedenzustellen, müssen Führungskräfte neue Formate für ihre Führung finden.

Eine besondere Herausforderung im Homeoffice – und unter COVID-Bedingungen im Speziellen – stellt das Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit dar. Dazu gehören Angebote an das Team, sich informell auszutauschen. Ebenso auch die Wahl des Kommunikationsmediums. Nicht nur aus datenschutzrechtlichen Gründen ist es schwierig, Mitarbeiter*innen zu Hause zu jeder Uhrzeit vor die Kamera zu „zwingen”, sondern auch die persönlichen Vorlieben und Gegebenheiten müssen dabei berücksichtigt werden. Grundsätzlich empfiehlt es sich, die Rahmenbedingungen für Kommunikationskanäle und Prozesse neu auszuhandeln, sodass individuelle Bedürfnisse berücksichtigt werden, ohne die Leistungsfähigkeit des Teams zu gefährden. Aus der agilen Arbeitswelt ist das “Daily” bekannt. In (wirklich nur) 15 Minuten zu Beginn des Arbeitstages tauschen sich die Teammitglieder darüber aus, was an diesem Tag ansteht. So ist jeder darüber im Bilde, was bei den anderen auf der Agenda steht bzw. wo es auch gerade nicht so gut läuft.

Das zweite Grundbedürfnis „Kompetenzerleben” bedeutet, dass wir erleben, wie wir mit unseren Fähigkeiten dazu beitragen, die Herausforderungen des Jobs zu meistern. Wenn Menschen sich als kompetent wahrnehmen, erfahren sie Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit wiederum ist ein Konzept, das entscheidend für die Arbeit im Homeoffice ist. Es bildet die Basis für eine erfolgreiche Selbstorganisation und Selbstmotivation.

Das Erleben der eigenen Kompetenz kann durch das Arbeiten im Homeoffice deutlich beschnitten sein. Hierzu gehört einerseits, selbst die eigene Kompetenz positiv wahrzunehmen, aber ebenso auch die Möglichkeit, die eigene Kompetenz und Leistung zu zeigen und dafür Rückmeldung und Anerkennung zu bekommen. In Abhängigkeit davon, wie diese Kommunikationsprozesse im analogen Arbeitsalltag organisiert waren, müssen nun teilweise komplett neue Prozesse aufgesetzt werden.

Oft wurde die Rückmeldung bisher fast schon „nebenbei“ in kurzen Gesprächen auf dem Flur gegeben. Da dies nun wegfällt, müssen neue „Gelegenheiten“ geplant und umgesetzt werden. Erste Tendenzen zeigen, dass sich dabei introvertierte Führungskräfte teilweise leichter tun, die notwendigen Treffen zu organisieren als extrovertierte Personen. Dieses Phänomen könnte dadurch erklärt werden, dass diese Personen schon zuvor ihre sozialen Kontakte stärker geplant haben, wohingegen Extrovertierte die zufälligen Begegnungen spontan genutzt haben. Nachdem aber diese spontanen Begegnungen wegfallen, müssen diese Gespräche nun systematisch geplant werden. Es gilt also für Führungskräfte, den Mitarbeiter*innen ausreichend die Möglichkeit zu geben, sich und ihre Leistung zu kommunizieren und zu präsentieren. Hierfür sind gegebenenfalls unterschiedliche Kanäle und ausreichend Moderationsgeschick notwendig.

Selbstbestimmt zu handeln, also Autonomie zu erleben, führt zu der erforderlichen Motivation, die Dinge des Jobs und des Alltags zu bewältigen. So gelangen wir zu mehr Zuversicht und Motivation. Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Autonomie wird durch die vielen Einschränkungen aktuell massiv beschnitten. Dies gilt sowohl für das private als auch für das berufliche Leben. Aber auch nach COVID kann das Homeoffice Fluch und Segen für die Autonomie der Mitarbeiter*innen sein. Fehlende Regeln und Dauererreichbarkeit können schnell das Gefühl von Grenzüberschreitung mit sich bringen, was zu Stress führen kann. Der Zusammenhang zwischen Kontrollverlust und Stress ist gut belegt und damit wichtig für die Burnout-Prävention im eigenen Team.

Die wohl größte Herausforderung stellt für alle Beteiligten das Thema Vertrauen dar. Hat die Misstrauenskultur schon im Präsenzbetrieb vorgeherrscht, wird diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Homeoffice weitergeführt. Hier muss nicht nur Personalentwicklung gezielt eingesetzt, sondern die Struktur der Verantwortlichkeiten neu aufgebaut werden. Kurzfristig können regelmäßige Reflexionsrunden im Team und eine aktive Feedbackkultur die Basis für ein gemeinsames Wachsen als Team im Homeoffice schaffen.

freiraum #69