Ein Wortwechsel mit Alumnus PD Dr. Christoph Spinner. Von Romina Schweikert
Wortwechsel
Romina Schweikert: Hallo Christoph, umreiße doch einmal kurz deinen Werdegang, damit die Leser:innen dich kennenlernen können.
Christoph Spinner: Ich war bis 2010 Stipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung. Dann habe ich hier in München meine erste Stelle angetreten und den Weg vom Assistenz- zum Oberarzt beschritten. Inzwischen verantworte ich die Infektiologie am Klinikum Rechts der Isar (MRI) der TU München. Seit der Covid-19 Pandemie bin ich Pandemiebeauftragter. In diesem Zusammenhang hatten wir als universitäre Klinik von Anfang an einen starken Fokus in der öffentlichen Medienkommunikation. Wir haben zahlreiche Formate vor allem mit dem bayrischen Rundfunk für Fernsehen und Radio produziert und seit der letzten Woche sendet der bayrische Rundfunk auch einen wöchentlichen Podcast.
Romina: Kannst du dich in wenigen Worten selbst beschreiben?
Christoph: (lacht) Wunderbare Frage! Ja kann ich. Eigentlich habe ich aus Überzeugung zur Medizin gefunden. Ich fand schon immer spannend, wie die komplexe Funktionsweise des menschlichen Lebens mit Erkrankungen zusammenhängen. Mich hat es schon sehr früh fasziniert, biochemische Reaktionen zu verstehen und ich würde mich durchaus als ausdauernd und neugierig beschreiben. Außerdem arbeite ich sehr gerne mit Menschen und genieße Gesellschaft.
Heute ist ja ziemlich genau Einjähriges von Corona in Deutschland. Am 27.01.2020 trat der erste Fall in München auf. Schon davor, also in der ersten Januarwoche, hatten wir am Klinikum begonnen, uns vorzubereiten und ich bin im Nachhinein auch ganz froh, dass wir das so gemacht haben.
Romina: Interessant. Für mich als zunächst Außenstehende war das ganze Thema erst viel später in seinem Ausmaß greifbar.
Christoph: Ja, das verstehe ich natürlich. Ich erinnere mich gut, wie ich in der ersten Januarwoche die ersten Berichte über diese neuartige respiratorische Erkrankung aus China wahrgenommen hatte. Ich bin bereits einige Jahre Infektiologe und hatte auch schon die Gelegenheit zum Training auf Sonderisolierstationen, wo hoch kontagiöse Infektionen wie beispielsweise Ebola behandelt werden. Als ich die ersten Berichte aus China gelesen hatte, wusste ich, dass wir uns vorbereiten müssen.
Romina: Womit verbringst du in der Pandemie die meiste Zeit?
Christoph: Tatsächlich verbringe ich im Moment die allermeiste Zeit mit Arbeit. Die Schwierigkeit liegt für mich schon darin, dass ich auf der einen Seite Pandemiebeauftragter bin und ein Expertenteam in einem Krisenstab koordiniere. Dabei müssen wir ständig die gegebene Situation analysieren und schließlich reagieren. Wir sind ein Universitätsklinikum mit über 1000 Betten. Es ist demnach fast selbstverständlich, dass wir jeden Tag mit neuen Herausforderungen wie zum Beispiel mit Ausbruchsituationen, Impfzentren und Ähnlichem zu kämpfen haben.
Zusätzlich leite ich das infektiologische Studienzentrum, das neue Therapien für Covid-19 untersucht. Dort arbeiten wir derzeit aber auch an der Entwicklung von Impfstoffen. Und natürlich gehört auch die Patientenversorgung zu meinen Aufgaben, sodass ich eine unserer Covid-19 Stationen oberärztlich mitbetreue. Und natürlich sind wir auch an der Erarbeitung lokaler und nationaler Therapie-Empfehlungen beteiligt. Theoretisch bin ich allerdings nur noch zur Hälfte als Infektiologe beschäftigt, weil ich zu 50% als Chief Medical Information Officer (CMIO) am MRI tätig bin. Digitalisierung und die Pandemie gehen derzeit zum Glück Hand in Hand und die beiden Bereiche überschneiden sich oft.
Für mich ist das persönlich auch sehr spannend, aber zeitlich ist es manchmal eine Zumutung. Meine Tage beginnen meist um sieben Uhr in der Klinik und zwischen 19 und 21 Uhr komme ich nach Hause, 300 E-Mails pro Tag sind die Regel. Leider meist auch sieben Tage die Woche.
Romina: Was ist dein persönlicher Auftrag als Infektiologe in dieser Pandemie?
Christoph: Ich bin Mediziner, schon aus Leidenschaft. Ich nehme meine Verantwortung in diese Stelle sehr ernst. Was ich an der Infektiologie davor schon so spannend fand, ist der klare Zusammenhang zwischen erregerbedingten Veränderungen des Körpers und der Möglichkeit durch Antibiotika und antivirale Substanzen kausale und sichtbare Heilung zu erreichen.
Romina: Was ist deine Aufgabe als Chief Medical Information Officer (CMIO)?
Christoph: Mich hat schon sehr früh in meiner Berufslaufbahn gestört, dass die Medizin in Deutschland vor der Pandemie wenig spürbare Fortschritte im Bereich der Digitalisierung erzielt hat. Meine Begeisterung galt auch schon vor der Pandemie der IT-Entwicklung und der Konsolidierung von organisatorischen Prozessen im Krankenhaus. Chief Medical Information Officer funktionieren im Prinzip als Bindeglied zwischen den technischen Ansprechpartnern der IT auf der einen und den Medizinern auf der anderen Seite und sind im englischsprachigen Raum eine etablierte Rolle. Die Wichtigkeit der Erhebung strukturierter Daten und die applikationsübergreifende Verarbeitung zeigt sich gerade im Kontext mit Covid-19 und dem Austausch der Daten, zum Beispiel mit den Gesundheitsämtern. Auch im Jahr 2020 erfolgt die Meldung nach Infektionsschutzgesetz per FAX! Als CMIO koordiniere ich die Konsolidierung von klinischen Prozessen auf Grundlage unserer IT-Strategie.
Romina: Wie hast du die Qualifikation für die Digitalisierung erworben?
Christoph: Ich habe ich mir sehr viel selbst beigebracht, beziehungsweise in der curricularen Fortbildung Qualifikationen über Digitalisierung im Gesundheitswesen erworben. Im Sommersemester 2020 habe ich einen Executive Master of Business Administration an der TU München und der Hochschule St. Gallen mit dem Schwerpunkt Business & IT begonnen. Den Crashkurs in Sachen „Einführung in die Digitalisierung im Gesundheitswesen“ bieten wir in Kooperation mit der Fachhochschule Dortmund als auf das MRI angepasstes Format gerade als Einstieg ausgewählten Kolleg:innen an, damit wir rasch die notwendigen Strukturen bei uns aufbauen können. Covid-19 hat schonungslos alle Stärken und Schwächen des Systems und der Digitalisierung identifiziert. Es hat mir geholfen, die pandemische Situation gut mit meinen Organisierungs- und Digitalisierungskenntnissen zu verbinden. Es gibt übrigens Untersuchungen, dass ein Monat Lockdown circa ein bis zwei Jahre Digitalisierungsfortschritt bringt.
Ich glaube, Mediziner müssen sich einfach mit diesem Thema befassen. Der Punkt ist doch ganz klar: Wir sind die fachlichen Prozessexperten. Nur Mediziner können ihre Prozesse konsolidieren und beschreiben, damit sie dann IT-gestützt werden können. Ansonsten wird unsere Arbeit durch andere festgelegt. Das Gesundheitswesen tut gut daran die Notwendigkeit zu multiprofessionellen Teams mit weniger Hierarchie klar erkennbar werden zu lassen. Die Pandemie hat uns geholfen verschiedene Hürden und Bedenken aus dem Weg zu räumen und alle Beteiligten, von der Medizinischen Fachangestellten über den IT-Betreuer bis zur Klinikdirektion zusammen zu bringen und es anzugehen.
Romina: Warum denkst du, dass die Digitalisierung in Deutschland in der Medizin nicht richtig angekommen ist?
Christoph: Aus meiner Sicht ist das ganz klar. Der Föderalismus ist hier hinderlich. Die großen IT-Fortschritte sind heute durch cloudbasierte Service-Plattformen erreicht worden. Zentrale Systeme (idealerweise mit offenen Standards und festgelegten Regeln) geben den Korridor vor, auf dessen Basis dann Applikationen bereitgestellt werden. Durch Konzentration der Entwicklungskompetenz werden Best-Practice-Beispiele erarbeitet, die dann, ggf. mit lokalen Anpassungen genutzt werden können. Übrigens bekommen die Gesundheitsämter jetzt eine gemeinsame Software-Infrastruktur, das SORMAS (Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System). Es soll eine einheitliche Datengrundlage für die Gesundheitsämter darstellen und endlich Fax und Excel-Listen durch digitalen Datenaustausch ablösen. Es hat eine Pandemie gebraucht, um das umzusetzen. Das zweite ist falsch verstandener Datenschutz. Der heutige Versand von Gesundheitsdaten per E-Mail oder Fax (offen wie eine Postkarte!) ist unverschlüsselt und eigentlich katastrophal. Gleichzeitig gibt es große Sorge medizinische Daten auf verschlüsselten Servern mit Zugriffschutz bereit zu stellen. Dabei setzt sich doch am Ende immer der Mehrwert durch: Patientendatenversand per Mail erfolgt heute vor allem, weil es einfach geht. Digitalisierung muss Mehrwerte bringen und ist unaufhaltsam. An den Regeln und der Sicherheit müssen alle gemeinsam arbeiten – Verbote waren noch nie eine gute Lösung.
Romina: Was hättest du dir von der Politik für die Impfstrategie gewünscht?
Christoph: Zunächst finde ich es sehr beeindruckend, dass ein Impfstoff in unter einem Jahr entwickelt und zugelassen wurde. Natürlich kann man jetzt viel darüber streiten, dass aktuell nicht genug Impfstoff zu Verfügung steht, aber wer konnte beim Einkauf im Sommer schon wirklich wissen, welche Hersteller das Rennen machen würde? Dass wir jetzt gerne eine höhere Impfstoffverfügbarkeit hätten, ist keine Frage. Über die Priorisierung kann man sachlich streiten. Vom medizinischen Standpunkt her finde ich es sinnvoll, diejenige zu schützen, die das größte Risiko haben, also vor allem ältere Menschen. In Israel gibt es bereits die ersten Hinweise, dass bereits 14 Tage nach der 2. Impfung die Häufigkeit von Covid-19 um über 33% bei älteren Menschen zurückgegangen ist. Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg. Dass in Deutschland bisher keine 2% der Menschen geimpft sind, ist natürlich enttäuschend und daran muss gearbeitet werden. Dennoch dürfen wir jetzt nicht in Aktionismus bzw. in Impfstoff-Nationalismus verfallen.
Romina: Wie gehst du mit Leuten um, die Impfskeptiker sind oder gar das Corona-Virus negieren? Wie ist das für jemanden, der hautnah am Geschehen dran ist?
Christoph: Mir ist es wichtig transparent zu informieren. Deshalb habe ich versucht den Wissenstand auch der Öffentlichkeit verständlich in den Medien zu transportieren. Am Anfang der Pandemie haben wir fast tägliche Sondersendungen ermöglicht. Im Verlauf haben wir auch feste Formate produziert. Mir war z.B. wichtig, dass ein Fernsehteam initial einmal wöchentlich auf der Covid-19 Station dabei war, damit die Öffentlichkeit sehen kann, wie die Lage bei uns in der Klinik ist. Ich weiß, dass Menschen in der ersten Welle häufig keinen persönlichen Bezug zu Corona-Fällen hatten, insbesondere weil diese regional so unterschiedlich verteilt waren. Das ist heute anders. Auch in Bezug auf die Impfung haben alle die gleichen Fragen, Sorgen und Ängste. Dem muss man aus meiner Sicht vor allem mit transparenter und zielgruppenspezifischer Information begegnen.
Romina: Ich möchte gerne auf den Begriff „Freiheit“ zu sprechen kommen. Was vermittelt dir das Gefühl von Freiheit?
Christoph: Freiheit bedeutet für mich, dass ich mich mit meinen Bedürfnissen entfalten kann.
Romina: Was ist deine Lebensphilosophie?
Chritsoph: (lacht) „Carpe diem.“ Man sollte sich über jeden einzelnen Tag bewusst sein und das ist mir gerade als Mediziner in den letzten Wochen bewusster denn je geworden. So viele Sterbende wie in den letzten Wochen mussten wir in meiner beruflichen Zeit auf der Station niemals beklagen. In den letzten Wochen sind jeden Tag zwei bis vier von 40-100 Covid-19 Patient:innen verstorben. Das war insbesondere für die jüngeren Kolleg:innen eine belastende Zeit. Es hat mir aber auch einiges vor Augen geführt. Als im April ein 36-jähriger Patient, so alt wie ich, an der Herz-Lungen-Maschine auf der Intensivstation vor mir lag, habe ich konkret realisiert, wie schnell das Leben zu Ende sein kann. Deswegen ist mir wichtig trotz aller Freude, die ich an meinem Beruf habe und aller Verantwortung, die ich auch annehme, mir genug Zeit für das eigene Leben zu lassen. Im Moment bleibt davon leider zu wenig Zeit für mich – aber wir hoffen, die Pandemie findet auch wieder ein Ende.
Romina: Was hast du durch das Stipendium der FNF mitnehmen können?
Christoph: Einer der positivsten Aspekte meiner Zeit in der Stiftung war die Gelegenheit Menschen aus verschiedenen Bereichen, Branchen und Herkunft kennenzulernen. Als Stipendiat bin ich mit vielen wertvollen Menschen zusammengekommen und habe zu einigen von ihnen bis heute Kontakt.
Romina: Wie war es als deien Stipendiatenzeit zu Ende war? Wie bist du weiterhin in der Stiftung aktiv geblieben?
Christoph: Ehrlich gesagt habe ich den Übergang fast gar nicht wahrgenommen. Es fiel mir sehr leicht, den Kontakt zu den anderen Stipendiat:innen weiterzuhalten. Die Beziehungen hatten sich auch während der Stipendiatenzeit schnell außerhalb der Stiftungsaktivitäten gefestigt.
Romina: Zum Schluss bitte ich dich, auf die folgenden Sätze zu beenden.
Am liebsten verbringe ich meine Zeit mit
… Arbeit.
Neben der Medizin sind meine größte Leidenschaft
…die Berge.
Für mein persönliches Glück benötige ich
… meine Freunde.
Meine nächste Reise nach/mit Corona
… sollte im Februar nach Südtirol führen, was nicht stattfinden wird.
Die wiedergewonnene Freiheit, auf die ich mich am allermeisten freue ist
…das Reisen und die Freizügigkeit.
Das Gesetz, das ich als erstes abschaffen würde, ist
… die 15 km-Corona-Regel und die öffentliche FFP2-Maskenpflicht in Bayern.
Das erste Gesetz, das ich aufstellen würde, ist
… noch mehr ökonomische Anreize für die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu schaffen.
Was ich den Stipendiatnen der FNF und jungen Leuten auf den Weg geben möchte ist
… wie wertvoll das Netzwerk innerhalb der FNF gerade im Bereich der Vernetzung ist. Bis heute denke ich daran zurück und möchte in diesem Sinne auch im Rahmen dieses Gesprächs etwas zurückgeben.
freiraum #69