Von Laura J. Klimecki
Kolumne
Laura ist seit neustem unsere Kolumnistin, seit 2019 in der Promotionsförderung und außerdem Leiterin des Fachkreises Consulting im VSA e.V. – Da muss man die Zeit schon sinnvoll nutzen und z.B. für den freiraum der Frage nachgehen: Alles digital – alles optimal? Wir sind gespannt, wie es euch gefällt! Teilt eure Meinung mit uns.
„Im Schnitt denken Frauen täglich 17 Minuten lang über ihr Outfit nach. Das sind 2,7 Tage im Jahr“, lese ich in einer Frauenzeitschrift und sage laut: „Say what now? Ein ganzes Wochenende lang denkt die Durschnittsfrau über ‚Was-soll-ich-anziehen?‘ nach, oder was? Haben wir denn nichts Besseres zu tun?“ Doch! Ich werfe die Zeitschrift zur Seite, um aufzuspringen und genau diesen Artikel hier zu schreiben.
Wer übrigens jetzt mal kurz nachdenkt und meint: „Ach, diese 17 Minuten am Tag nehme ich mir eigentlich ganz gerne Zeit, um über mein Outfit nachzudenken“, der blättert bitte ganz schnell weiter zur nächsten Seite. Ja, wirklich! Weil ich dem Leser, der das denkt, keine einzige wertvolle Minute seiner Zeit stehlen und stattdessen dem Weiterlesenden Folgendes mitteilen möchte: Ein Workout von Freeletics dauert im Durchschnitt 20 Minuten. Eine Buchzusammenfassung von Blinkist beansprucht 15 Minuten und selbst ein semi-trainierter Mensch wie ich schafft in unter 17 Minuten mindestens 3 Kilometer weit durch den Englischen Garten zu laufen.
Wer also die Welle der Digitalisierung nutzt, um darauf zu surfen und sein eigenes Leben zu optimieren, der wird jetzt auch nicht mehr geschockt vom Sofa fallen, wenn er erfährt, dass ich bei jedem Freeleticstraining eine psychologisch sinnvoll zusammengestellte Get-your-bud-out-of-bed-Playlist und bei jeder Zahnreinigung mindestens eine Buchzusammenfassung von Blinkist höre, während mir – wortwörtlich – die Fresse poliert wird.
A New Standard in Business Education
Die Gründer von Netflix, Shazam, Tesla und co. haben einen sogenannten PowerMBA ins Leben gerufen, bei dem man täglich in weniger als 20 Minuten (und das nebenbei bemerkt zu einem erstaunlichen Preis-Leitungs-Verhältnis) einen MBA komplett online absolvieren kann. Forbes hat das Ganze als einen „New Standard in Business Education“ bezeichnet. Ein ganzer MBA in 20 Minuten pro Tag? Spannend!
Ja, okay, keine Kolumne, nicht mal diese hier, wäre gut, wenn wir nicht auch einen kritischen Blick auf das ganze Thema werfen würden. Ich kann die Kritiker förmlich schon in meinem inneren Ohr aufstöhnen hören: “Aber Laura, muss man denn alles optimieren?”, „Muss wirklich alles im Alltag digitalisiert werden?“, „Ist alles automatisch optimal, sobald es digital ist?“. Nein, und dennoch kennt man den Spruch: Wer den Penny nicht ehrt, ist den Dollar nicht wert. Ja, genau, ich werde jetzt mal frech und behaupte: Wer die Minute nicht ehrt, ist die Stunde nicht wert. Und verliert sie. Tagtäglich.
Mir fällt es ehrlich gesagt schwer, Menschen zu verstehen, denen ihre eigene Zeit total egal ist. Zeit ist das Einzige, was wir nie wieder zurückbekommen. Die Minute, in der ich jetzt diesen Absatz schreibe, kommt nie wieder zurück. Die Sekunde, der Gedanke, die Idee: Vergangenheit. Ich kann nur dafür plädieren, dass wir in Zukunft unsere Zeit deutlich sinnvoller nutzen als mit der morgendlichen Frage: „Mh, was ziehe ich denn heute an?“ In einem Podcast habe ich neulich ein wunderbares Gedicht von Dr. Benjamin E. Mays vorgelesen bekommen:
I have only just a minute, only sixty seconds in it. Forced upon me, can’t refuse it. Didn’t seek it, didn’t choose it. But it’s up to me to use it. I must suffer if I lose it. Give account if I abuse it. Just a tiny little minute, but eternity is in it.
Jede Minute, die wir sinnlos verstreichen lassen, in der wir jeden Morgen länger als nötig Gedanken über unser Outfit machen, ist m. E. eine verlorene Minute. Gründer, CEOs, Visionäre wie Elon Musk oder Mark Zuckerberg laufen deshalb mit exakt den gleichen T-Shirts, Hoodies, Hosen und Sneakern herum, weil sie keine Zeit verschwenden wollen für die Frage: „Was ziehe ich heute an?“
Und wer meinen Kleiderschrank öffnet, sieht die Ordnung eines Minimalisten, farblich und kleidungstechnisch absolut durchsortiert: Dunkelblau, Schwarz, Grau, Camel, Beige, Cremeweiß, Weiß (v. l. n. r.). Pullover, T-Shirts, Blusen / Anzughosen, Jeans (v. o. n. u.). Morgens brauche ich exakt eine Minute, um zu entscheiden, was ich anziehe. Nach einer weiteren bin ich angezogen. Ich bin pragmatisch-minimalistisch und dabei wirklich total gerne klassisch-elegant (und damit hoffentlich auch gut) angezogen. Deshalb wähle ich meist den Monochrome-Look. Erstens, weil man damit wirklich selten absolut unpassend angezogen ist und zweitens, weil ich die 15 Minuten, die ich täglich dadurch gewinne, einfach sinnvoller nutzen möchte. Wie, was ich heute trage? Top, Pulli, Jeans, Gürtel, Socken – alles in Dunkelblau. Keep it short and simple! Damit habe ich hoffentlich weniger als 5 volle Minuten gebraucht, um dem Weiterlesenden jetzt mindestens drei gute Idee mitzugeben, wie man die restlichen 12 gewonnenen Minuten nun deutlich sinnvoller nutzen kann als mit der Frage: „Cool, danke Laura, und was ziehe ich jetzt morgen an?“
PS: Und weil wir euch auch eine digital-optimal gestaltete Version dieser Kolumne bieten wollen, könnt ihr euch den Artikel direkt vorlesen lassen; nebenbei ein paar Sit-ups machen – zum Beispiel – und reinhören.
freiraum #69