Das Problem der internationalen Autorität. Von Umer Bilal Khan

Forschung


Autorität ist ein zentrales Konzept in Politik und Recht, dem in den letzten Jahren im globalen Kontext große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die globalisierte Welt von heute verlangt nach effektiven, internationalen Autoritätsstrukturen. Denken Sie an Klimawandel, Epidemien, Finanzmärkte, militärische Sicherheit, Handelsströme und Menschenrechte. All diese offensichtlichen, globalen Herausforderungen und das Fehlen einer globalen Ordnungspolitik (Global Governance) würden zu einer unkoordinierten Klimapolitik, sich ungehindert ausbreitenden Epidemien, die sich zu Pandemien entwickeln (COVID-19), wiederkehrenden Finanzkrisen, unkontrollierter Aufrüstung, Protektionismus und Menschenrechtsverletzungen führen. Die Bewältigung dieser globalen Herausforderungen und die Sicherstellung des globalen Gemeinwohls allein mit nationalen und lokalen Autoritätsstrukturen ist im besten Fall unzureichend und im schlimmsten Fall nachteilig.

„Autorität in der Global Governance ist mehr als die Fähigkeit, Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, was sie sonst nicht tun würden; Autorität beinhaltet oft, Menschen zu sagen, was das Richtige zu tun ist“ (Michael N. Barnett). Diese Forschungsstudie zielt darauf ab, tiefgründig zu erforschen, was Autorität ist und wie sie in der Global Governance etabliert wird. Sie konzentriert sich auf die Vervielfältigung von Autoritäten unter der Hypothese, dass sich Autorität, ihr Wesen, ihre Funktionen und ihre Legitimationsgrundlagen im Laufe der Zeit verändert und weiterentwickelt haben. So sind in der globalen Ordnungspolitik multiple und neue Autoritäten im Spiel, die über den Staat, die Trennung in öffentliche und private Autorität und die einfache Befehlsgeber-Empfänger-Struktur einer feststehenden Autorität hinausgehen. Diese Studie untersucht daher Autorität speziell entlang Funktions- und Legitimationslinien angesichts der Vervielfältigung von Autoritäten in der globalen Ordnungspolitik mit dem Ziel, die folgende Frage zu beantworten: Wie hat sich Autorität im Laufe der Zeit verlagert und inwiefern ist sie wirksam (consequential), nicht wirksam (not consequential) oder anders wirksam (different consequential) im Umgang mit transnationalen Themen und wie kann sie rechenschaftspflichtiger gemacht werden?

Trotz des Wandels und des Wachstums von Autoritätsstrukturen jenseits der westfälischen Paradigmen des Regierens (als Folge des Dreißigjährigen Krieges entstandene Überzeugungen wie das Souveränitsprinzip der Staaten), stützt sich der konzeptionelle Rahmen der Autorität in der globalen Ordnungspolitik jedoch immer noch überwiegend auf die traditionellen staatszentrierten, vertraglichen und „soliden“ Autoritätsmodelle unter einer simplen öffentlich-privaten Autoritätsaufteilung, die dem innerstaatlichen Bereich entlehnt ist und sich hauptsächlich auf Befehle konzentriert, die von einzelnen Institutionen erteilt werden. Angesichts dieses Forschungsproblems stellt meine Studie die Hypothese auf, dass der konzeptionelle Rahmen der Autorität in der globalen Ordnungspolitik problembehaftet ist, da der Großteil der existierenden Forschung entweder ein enges und irreführendes Verständnis von Autorität bietet oder es versäumt, das breite Spektrum neuer und vielfältiger Autoritäten in der globalen Landschaft zu erfassen, die nicht unter den traditionellen, soliden Befehlsgeber- und Empfängerrahmen, in der Bildsprache der inländischen Autorität, fallen.
Daher widmet sich meine Studie der Analyse des Problems der internationalen Autorität, um die Realitäten der globalen Ordnungspolitik besser zu verstehen und auch den konzeptionellen Rahmen auf die neuen und multiplen Autoritäten auszuweiten. Der konzeptionelle Rahmen von Autorität in der globalen Ordnungspolitik ist in dreierlei Hinsicht grundsätzlich problematisch: Erstens neigen Autorität und globale Ordnungspolitik dazu, sich zu widersprechen, wenn ersteres nicht angepasst wird: Denn ersteres bezieht sich auf die vertikale Autoritätsbeziehung mit der Zentralität des Staates, während es bei letzterem eher um die horizontale Autoritätsbeziehung mit der verminderten Rolle des Staates geht. Zweitens wird das Konzept der Autorität in der globalen Ordnungspolitik kompliziert und schwer fassbar: Es ist schwierig, Autorität im internationalen Kontext zu definieren, eindeutig zu verorten und zu messen, was in klarem Widerspruch zu Macht, Gewalt und Überzeugung steht. Drittens ist Autorität auf traditionelle konzeptionelle Rahmen beschränkt: Dies bezieht sich entweder darauf, dass Autorität auf eine staatszentrierte Global Governance beschränkt ist, in der Autorität ausgeübt und Verpflichtungen indirekt über den Staat durchgesetzt werden, streng nach dem westfälischen Paradigma, oder sie bezieht sich auf ein übermäßiges Vertrauen der Global Governance-Wissenschaft auf einige feste und vordefinierte konzeptionelle Rahmen, die bei der Untersuchung internationaler Autorität von einem bestimmten Standpunkt aus entwickelt wurden. Zum Beispiel neigen Realisten dazu, den UN-Sicherheitsrat als eine Institution für die Großmächte zu analysieren, um ihre konkurrierenden Interessen und Konflikte auszugleichen. Institutionalisten betrachten ihn als einen Mechanismus der Zusammenarbeit für diese Mächte, um globale Angelegenheiten kollektiv zu regeln, und Kontraktualisten sehen ihn als eine delegierte Macht im Rahmen von Befehl und Gehorsam im Austausch für eine Schutzverantwortung (UN’s responsibility to protect, R2P). Diese Rahmenwerke versagen bei der empirischen Erfassung unterschiedlicher und vielfältiger Autoritäten, die sich in unserer globalisierten Welt in einem Ausmaß entwickelt haben, das weder eine Einordnung in staatliche Autoritätsformen, noch eine simple Trennung in öffentlich und privat zulässt, wie beispielweise die Rolle, Autorität und globale Verantwortung von Facebook.
Aufbauend auf einem umfassenderen Verständnis von Autorität, das sich auf die fluiden und reflexiven Charakteristiken von Autorität stützt, verwendet diese Studie eine alternative Konzeption von Autorität, eingebettet in das Ehrerbietungsmodell (Deference-Model) mit seiner soziologischen Ausrichtung. Diese Studie analysiert nicht nur die Vervielfältigung von Autoritäten in der Global Governance jenseits des Staates und der öffentlich-privaten Aufteilung, indem sie die Fallstudien von nicht-staatlichen, privaten Akteuren einbezieht, sondern sie deckt auch ein historisches Phänomen ab, wie die sich verlagernden Formen, Quellen und Funktionen von Autorität von mittelalterlichen zu modernen, globalisierten Gesellschaften.

Diese Studie zielt nicht darauf ab, die neu entstandenen Autoritäten aufzulisten oder zu versuchen, eine andere Konstellation von Autoritäten neben den öffentlichen und privaten Autoritäten zu schaffen. Vielmehr lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die sich verändernde Global Governance- Landschaft mit dem Aufkommen neuer Autoritäten, die unterschiedliche Legitimationsquellen und funktionale Aspekte aufweisen. Denn im Allgemeinen wird die Auffassung vertreten, dass die nicht- staatlichen, privaten Autoritäten, die auf nicht-formalen Legitimationsgrundlagen und unterschiedlichen Verhaltensimplikationen beruhen, schwach sind. Diese Studie fügt daher die dritte Variable „anders wirksam“ (different consequential) zu der bestehenden Binarität von: „wirksam“ oder „nicht wirksam“ bei der Analyse von Autoritäten im internationalen Kontext hinzu. Sie versucht, das eng gefasste Verständnis aufzuheben, dass Autorität, wenn sie nicht gefestigt ist und nicht auf rechtlich formalen, delegierten Befugnissen basiert und keine Befehls- und Gehorsamsordnung umfasst, schwach und nicht wirksam ist. Diese Betrachtungsweise der Studie schafft erstens die Voraussetzungen dafür, dass diese neuen Autoritäten in der Global Governance in Betracht gezogen werden können, und zweitens führt sie zu einem besseren Verständnis dieser neuen und vielfältigen Autoritäten in der Global Governance, indem ihre verschiedenen Konsequenzen oder Verhaltensimplikationen in ihre empirisch bedeutsamen funktionalen Komponenten zerlegt und Fallstudien entwickelt werden, um die Bedeutung und die verschiedenen Auswirkungen dieser Autoritäten zu untersuchen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Ziel meiner Studie darin besteht, die bestehende Global Governance-Forschung in Bezug auf das Konzept der Autorität so zu erweitern, dass ein besseres, umfassenderes und holistisches Verständnis von Autorität in der Global Governance entwickelt werden kann.

  • Name: Umer Bilal Khan, M.A.
  • Fachbereich: Global Governance
  • Universität Rostock

Der Autor ist seit September 2019 in der Promotionsförderung der FNF. In seiner Dissertation forscht er zu dem Thema „Beyond Contractualism: Analysis of the 'Problem of International Authority'.

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