Ein Interview mit Kati Schmidt. Von Franca Bergunde
Interview
Mehr als ein Jahr hat das Corona-Virus die Welt nun fest im Griff. Auch wenn sich dieser Griff allmählich lockert, sind die Auswirkungen doch deutlich zu spüren. Viele Unternehmen haben mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu kämpfen, unter ihnen zahlreiche Start-ups. Mit Kati Schmidt, Start-up-Mentorin und Unternehmerin, spreche ich über die Chancen und Herausforderungen der Krise für junge Unternehmen.
Inwiefern unterscheiden sich die Herausforderungen der Pandemie für Start-ups verglichen mit denen für bereits etablierte Unternehmen?
Kati Schmidt: Ich glaube, die größte Herausforderung ist die Liquidität. Start-ups sind ja immer abhängig von Wachstum und Finanzierungsrunden. Meine Beobachtung war, dass viele Investoren zu Beginn der Krise die Gespräche erst einmal abgebrochen haben, um einschätzen zu können, wie sich die Krise auf die Wirtschaft auswirkt. Das ist dann schwierig für Start-ups, die die Finanzierung in dem Moment gebraucht hätten, weil sie sich nicht mehr lange über Wasser halten konnten. Was ich jetzt sehe, wo wir langsam aus der Krise herauskommen, ist, dass das Geld weiter da ist und es zum Teil einfacher geworden ist, dieses einzusammeln. Das sehe ich auf der Seite der Herausforderungen, ich bin aber auch gerne optimistisch.
Ich bin der Ansicht, dass diese Krise im Übrigen ganz viele Vorteile mit sich bringt. Start-ups sind per se meist flexibler und konnten schneller auf die Krise reagieren. Es gehört einfach zur Art eines Start-ups dazu, sich immer wieder neu zu erfinden und neue Richtungen einzuschlagen. Die Mitarbeiter sind darüber hinaus vom Mindset her viel flexibler und unternehmerischer. Zum Beispiel mussten eine Vielzahl von Start-ups in der Event-Branche umschwenken; sie helfen jetzt in den Corona-Testzentren aus, bieten virtuelle Events an oder helfen anderen Unternehmen beim digitalen Arbeiten.
Natürlich ist auch der Druck da, zu überleben. Größere Unternehmen können die Krise einfach aussitzen. Bei Start-ups herrscht dieser Existenzkampf, der aber ebenfalls Kreativität fördert. Was ich außerdem noch beobachte, betrifft das Recruiting. Letztes Jahr, als es der Wirtschaft noch gut ging, da wollten immer mehr Menschen in Start-ups arbeiten. Aber jetzt in Zeiten dieser Krise wird das Denken eher wieder konservativer, was es schwieriger macht, neue Mitarbeiter zu finden oder aber auch zu halten. Die Frage ist, wie schnell sich das wieder erholt.
Welche Unterstützungsmöglichkeiten halten Sie aktuell für sinnvoll, um jungen Unternehmen in der momentanen Situation unter die Arme zu greifen?
Kati Schmidt: Diese Krise ist eine ziemliche Ausnahme. Die Politik und viele Menschen aus der Wirtschaft waren anfangs überfordert. Keiner konnte letzten März genau sagen, wie lange das dauern wird. Deshalb ist es schwierig, den Start-ups da besonders zu helfen. Falls sowas nochmal passiert, kann man den Start-ups sagen, dass in der Krise auch Chancen liegen und es Möglichkeiten wie Kurzarbeit oder Brückenfinanzierungen gibt. Ich glaube, dass immer ein bisschen Mut und Zuversicht wichtig ist, aber das kommt meistens erst, wenn man die Erfahrungen schon gemacht hat.
Trotz der aktuellen Umstände bleibt der Wunsch nach Internationalisierung bei Start-ups konstant. Wie der Deutsche Start-up Monitor berichtet, äußerten 2020 66,1 Prozent der befragten Unternehmen dieses Vorhaben, ein Rückgang von nur 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wie können junge Unternehmen diesen Optimismus nutzen, um auch von der Krise zu profitieren?
Kati Schmidt: Die Krise hat ja generell gezeigt, dass es keine deutsche oder chinesische Pandemie ist, sondern eine globale. Das gilt auch in der Wirtschaft. Was ich heute in Europa merke, ist Folgendes: Wenn ein Franzose ein Start-up in Paris gründet, definiert er Frankreich als seinen Markt und macht alles auf Französisch. Eine Pandemie hilft vielleicht dabei, größer zu denken, weil sie nochmal verdeutlicht, wie sehr alles zusammenhängt. Wenn man gleich internationalisiert und das Produkt auf Englisch anbietet, hat man einen viel größeren Markt, auch was die Finanzierung angeht. Hier im Silicon Valley, wo ich arbeite, sitzt eben das Geld und da sind die Investoren vielleicht auch ein bisschen mutiger und sagen: „Ich habe sowieso mehr Geld, jetzt ist genau die Chance für mich, in Start-ups zu investieren. Wenn da gerade keiner etwas macht, habe ich keine Konkurrenten und kriege die besten Deals.“ Es gibt Leute mit so einer Voraussicht, die jetzt in Krisen investieren und sie als Chance sehen. Wenn man dann internationale Geldgeber ansprechen und internationale Kunden gewinnen kann, dann spielt man auf der besten Seite.
Sie sind selbst 2015 in die USA ausgewandert und haben sich dort zwei Jahre später mit einem eigenen Start-up selbstständig gemacht. Stellen wir uns vor, Sie würden dieses Vorhaben heute realisieren. Inwiefern würde sich Ihr Handeln unterscheiden? Welche neuen Bedenken hätten Sie heute?
Kati Schmidt: In der Krise auszuwandern ist natürlich besonders schwierig. Die Kontakte und das Netzwerken sind ja sehr eingeschränkt. Aber trotzdem halte ich beides für eine gute Idee: Auswandern und Gründen.
Ich denke, je jünger, desto besser. Ich bin damals ausgewandert, bevor ich 30 Jahre alt war. Mit Anfang oder Mitte 20 wäre es eventuell noch einfacher gewesen. In Deutschland haben wir eine wahnsinnig gute Ausbildung. Ich beobachte manchmal, dass viele sagen, sie studieren hier erstmal zu Ende. Das Problem ist, dass die USA so arrogant sind, dass sie mit deutschen Uniabschlüssen oder deutscher Joberfahrung wenig anfangen können. Teilweise muss man erstmal einen Rückschritt machen und sich seine Reputation von vorne aufbauen. Das war in meiner Karriere auch so. Je früher man rüberkommt, desto besser ist es. Dann hat man die Chance, noch eine amerikanische Universität oder ein amerikanisches Praktikum auf dem Lebenslauf stehen zu haben. Das sehe ich zumindest in den USA, in Europa sind sich die Unis und Unternehmen untereinander meist vertrauter.
Welche Anreize kann der Staat jetzt zusätzlich schaffen, um den Unternehmergeist auch in Zukunft aufrechtzuerhalten und mit Innovation aus dieser Krise herauszugehen?
Kati Schmidt: Eine Sache betrifft die Rahmenbedingungen, also die Gründung einfacher zu machen. Ich nehme an, dass viele Start-ups mit der Bürokratie überfordert sind, also wie gründe ich und was gehört alles dazu. In den USA läuft vieles auch so gut, weil es weniger Bürokratie gibt. Hier in Kalifornien ist das autonome Fahren zum Beispiel viel weiter, dadurch dass es weniger Regulierungen gibt und sich die Regierung da ein bisschen zurückzieht, um eben diese Innovation zu fördern. Was ich allerdings noch wichtiger finde, ist dieses Mindset und dass die Regierung den Gründergeist weckt, vorlebt und lobt. In Deutschland gibt es keine gesunde Schalterkultur, sondern Angst vor einem Loch oder einem Knick im Lebenslauf. Dass man etwas macht, was nicht funktioniert, ist in den USA schon viel anerkannter. Da steht dann im Vordergrund, dass man etwas ausprobiert und Erfahrungen gesammelt hat.
Also würden Sie sagen, dass die USA Start-up-freundlicher als Deutschland sind?
Kati Schmidt: Ja, absolut. Viele Sachen bedingen sich auch gegenseitig. Junge Tech-Unternehmen sind meist Uni-Ausgründungen. Wenn die erfolgreich sind, verdienen sie Geld, das sie anschließend in ihre Nachfolger investieren. Das befruchtet sich dann alles gegenseitig. Ein guter Ruf wird aufgebaut, die besten Talente aus der Welt kommen dahin und dann wird das immer größer. Das kann man in Deutschland über Nacht nicht alles so nachmachen. Aber ich fühle mich in dieser Gründerszene wohl und wollte einfach hier sein, quasi da, wo die meiste Innovation und die meisten Gründungen stattfinden.
Zum Schluss noch einmal ein Blick auf die Entrepreneure von morgen: Sie sind selbst auch als Start-up-Mentorin beim German Accelerator tätig. Welchen Tipp würden Sie jungen Unternehmern aktuell mit an die Hand geben?
Kati Schmidt: Wenn man jung ist und eine Idee hat, würde ich es immer ausprobieren. Später hat man ein gewisses Level erreicht, hat vielleicht eine Familie oder muss eine Hypothek abbezahlen. Dann wird eine Gründung immer schwieriger. Aber wenn man jung ist, muss man sich fragen, wie weit man fallen kann. Die meisten von uns fallen relativ weich, können wieder bei den Eltern anklopfen und in ihr ehemaliges Kinderzimmer einziehen. Da werden sie unterstützt und können jegliche Erfahrungen, die sie gesammelt haben, gut verkaufen. Eigentlich kann nichts schiefgehen. Hier in Amerika ist dieses Storytelling sehr wichtig, also dass man mit Selbstbewusstsein über seine Erfahrungen spricht.
Gerade jetzt kann man durch die Energie der Krise auf ganz neue Ideen kommen. Auf einmal merkt man, dass mehr Leute von zuhause aus arbeiten und wir dafür neue Produkte und Services brauchen. Wie kann man da ansetzen? Welche Nachwirkungen wird diese Krise vielleicht auch in der Zukunft haben? Da kann man einer der ersten Anbieter sein und den Menschen helfen. Es entstehen so neue Ideen, die einfach genutzt werden sollten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Franca Bergunde.
Kati Schmidt leitet seit Dezember 2019 Growth & Campus Operations bei Course Hero und lebt seit sechs Jahren in San Francisco. Sie war eine der ersten Mitarbeiterinnen bei Airbnb, ist Start-up-Mentorin beim German Accelerator und organisiert ehrenamtlich Changemaker Chats für Frauen in der Techindustrie.
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