Unser Körper ist das Einzige, was wir eigentlich wirklich besitzen. Trotzdem ist der eigene gesundheitliche Zustand in Zeiten von Corona zum alltäglichen Gesprächsthema geworden, als ob es um nicht weniger als unsere eigenen Körper ginge.

Schwerpunkt


In Deutschland wird ums Wahlgeheimnis ein großes Ding gemacht – sogar innerhalb der Familie. Natürlich habe ich Verständnis und Respekt dafür, wenn mir jemand nicht verraten möchte, für welche Partei er/sie gestimmt hat, persönlich bin ich damit aber sehr offen. Glücklicherweise leben wir in einer Demokratie und haben das Wahlrecht und ein Recht auf Meinungsfreiheit. Einer echten Freundschaft oder Beziehung sollten unterschiedliche politische Meinungen auch nicht im Wege stehen, sondern Diskussionen und Toleranz anregen. Was mir viel näher tritt, sind Fragen, die sich um meinen eigenen Körper drehen. Welche medizinischen Leistungen ich in Anspruch nehme, ob ich zur Therapie gehe, eine Spirale in meiner Gebärmutter trage oder geimpft bin, sind Entscheidungen, die ich als freier Mensch treffe. Diese medizinischen Freiheiten aufrechtzuerhalten, ist meiner Meinung nach ein wichtiger Punkt, der in letzter Zeit zu kurz gekommen ist.

Freiheitseinschränkungen haben während der Pandemie alle mitgemacht, darüber sind wir uns wahrscheinlich einig, allerdings spalten sich die Interpretationen und Wahrnehmungen dieser Einschränkungen. Zum Beispiel bin ich der Meinung, dass der digitale Fortschritt, den Deutschland momentan erlebt, längst überfällig war, während ich eine mögliche Impfpflicht – direkt oder indirekt – für eine Verletzung der Freiheit von Bürger*innen halte. Ob Impfpflicht oder Organspende: darf der Staat zum Wohle aller über unsere Körper bestimmen?

Aus einer philosophischen Sicht würde ich an dieser Stelle gerne auf Michel Foucaults Idee der Biopolitik (1977) eingehen, die ich für passend halte. Der Begriff Biopolitik beschreibt einen Modus der Politik, in dem das Leben der Bevölkerung und der menschliche Individualkörper im Zentrum stehen. Ergänzend steht der Begriff der Biomacht für autoritäre und kontrollierende Machttechniken über eine gesamte Bevölkerung, anstatt über das Individuum. Das Ziel der Biomacht ist das Beschützen der Bevölkerung; allerdings wirft Foucault auch ein, dass sich dieser "Schutz" häufig als Unterdrückung der nicht-normativen Bevölkerung erweist. Foucault bewertet diesen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie wir regiert werden, als möglicherweise gefährliche Ausbreitung von Machtmechanismen, wobei er Macht nicht als inhärent gut oder schlecht sieht. Ein wichtiger Punkt in Foucaults Theorie ist, dass es weniger um das Individuum, sondern um die kollektive Zusammenschließung der Individuen, die "Bevölkerung" geht, welche "eine Geburtenrate, eine Alterskurve und einen Gesundheitszustand hat".

Meiner Meinung nach lässt sich dieses Konzept wunderbar an unsere heutige Situation anpassen. Der Gesundheitszustand der Bevölkerung, gemessen an der Inzidenz, steht im Zentrum der Politik und ist ausschlaggebend dafür, was wir (die Bevölkerung) machen dürfen: ob Restaurants und Theater geöffnet bleiben können, ob Unterricht in Präsenz stattfinden kann oder ob wir verreisen dürfen. Die Macht des Staates breitet sich vor dem Hintergrund, seine Bevölkerung schützen zu wollen, aus. In Deutschland gelten für Geimpfte, Genesene und Getestete die gleichen Rechte und Regeln. Da Tests momentan umsonst angeboten werden, bleibt in meinen Augen die Freiheit des Individuums erhalten. Allerdings ist für die kostenlosen Tests voraussichtlich bald ein Ende in Sicht, während stark diskutiert wird, wie man die Impfquoten erhöhen kann. Normatives Verhalten bedeutet: sich impfen zu lassen. Ich bin dankbar, dass wir in Deutschland Zugang zu genügend Impfdosen haben und dass unsere Politik für das Beschützen unserer Bevölkerung arbeitet (um es in Foucaults Worten auszudrücken); dennoch fürchte ich mich vor einer Unterdrückung oder Benachteiligung Ungeimpfter ("nicht-normativer") Personen, was unsere Freiheit stark einschränken würde.

Zusammenfassend bin ich der Ansicht, dass Freiheit über unseren Körper nicht ausgelassen werden darf, wenn es um Freiheit geht. Eine direkte oder indirekte Impfpflicht würde das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper verletzen. Damit sich die Coronapolitik der Bundesrepublik nicht als autoritäre und kontrollierende Machttechnik à la Foucault manifestiert, braucht es mehr Aufmerksamkeit für die Bedeutung von medizinischer Freiheit während der Pandemie. Eine Frage, mit der sich die Politik in dieser Zeit beschäftigen sollte, ist, wie man einer Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken könnte.

  • Name: Neele Charlotte Kinkel

Neele Charlotte Kinkel studiert Cognitive Systems an der Universität Potsdam und ist seit April 2020 Stipendiatin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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