Ein Gespräch mit Martin Thoma aus der aktuellen Ausgabe unseres Mitgliedermagazins Freiraum.

Star Trek feierte im vergangenen Jahr seinen 55. Geburtstag, doch noch immer ist es unserer Zeit weit voraus. Die Reihe erzählt die Zukunft einer Menschheit, die bemerkenswerte Fortschritte errungen hat – technische wie soziale. Immer wieder scheint sie dabei Entwicklungen zu antizipieren, die wir Jahre später tatsächlich durchleben.

Matilda März:
Was kann Star Trek uns über unsere Zukunft sagen?

Martin Thoma:
Star Trek sagt hoffentlich unsere Zukunft nicht voraus. Wäre dem so, würde 2026 der dritte Weltkrieg beginnen und 2053 mit einem massiven atomaren Schlag enden. Anschließend wäre die Atmosphäre mit radioaktiven Isotopen verseucht, ein nuklearer Winter würde einsetzen und bis 2079 würden wir von der postatomaren Schreckenszeit sprechen, in der Chaos und Anarchie herrscht. Aber eine Utopie muss ja schließlich auch aus einer Dystopie entstehen.

Die Frage geht aber vermutlich mehr in die Richtung, was wir aus Star Trek für unsere Zukunft lesen und vielleicht sogar lernen können. Star Trek ist meiner Meinung nach in diesem Punkt sehr interpretationsfähig. Man wird daher je nachdem, welchen Aspekten mehr und welchen weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird, zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Der gemeinsame Nenner liegt aber meiner Auffassung nach in dem Wunsch nach einer generell besseren Zukunft im direkten Vergleich zum Status quo. Dort ist sich Star Trek, wie ich finde, in all den Jahren treu geblieben.

Wir beschäftigen uns in diesen Tagen mit Konflikten, Bedrohungen und Krisen in der Ukraine, im Nahen Osten, in Afrika und Myanmar. Die Menschheit wird von den Auswirkungen des selbstverschuldeten Klimawandels bedroht und die Coronapandemie hat uns nun schon zwei Jahre lang im Griff. Für die Zukunft haben die Autoren von Star Trek also genug Stoff. Star Trek greift vor allem immer die vergangenen Krisen und Konflikte auf, um uns eine Option für eine bessere Zukunft zu zeigen. Manchmal beschreibt Star Trek dann auch einen Weg oder eine gewisse Lösung. Nicht umsonst beschäftigen sich Wissenschaftler:innen verschiedenster Professionen mit Star Trek.

Zugegeben wird in Star Trek so manch planetares Problem mittels hochentwickelter Technologien etwas naiv und technikverliebt gelöst. Dafür ist es eine Science-Fiction Fernsehserie. Und dennoch wurden und werden Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen heute noch von den Ideen und fantastischen Vorstellungen inspiriert, die Star Trek beschrieben hat. Das klassischste Beispiel ist das Tablet, welches Captain Jean-Luc Picard schon Ende der 80er in den Händen hielt und heute Realität im Alltag ist. Interessant ist aber auch, dass heutzutage ernsthafte Überlegungen zum Warp-Antrieb im Rahmen der theoretischen Physik betrieben werden. Im großen Maßstab werden Star Treks technische Wunderwerke wohl Fiktion bleiben. Im Kleinen kann jedoch damit gerechnet werden, dass sich das eine oder andere Gadget in Zukunft in unserem Alltag wiederfindet.

Wenn man über den technischen Fortschritt hinausgeht, stellt sich Star Trek aber auch als gesellschaftspolitisches Laboratorium dar. Allein schon die Vorstellung, dass alle Länder auf der Erde wesentlich an Bedeutung verlieren, weil man nicht mehr in nationalen Grenzen, sondern in Sternensystemen denken muss, ist aufregend und erfrischend. Star Trek spielt in der Gesellschaftspolitik natürlich mit bestimmten Archetypen, die etwas eindimensional wirken, besonders mit Blick auf die Cardassianer, die Klingonen und die Romulaner, fiktive Spezies im Star Trek-Universum. Genau diese Konstruktion lässt aber das Spiel mit Zukunftsszenarien der internationalen Politik auf der Erde zu und ermöglicht Inspirationen, die über unser enges Vorstellungsvermögen hinausgehen.

Ein inspirierendes Zitat von Captain Picard in Star Trek lautet: „Der Erwerb von Reichtum ist nicht mehr die treibende Kraft in unserem Leben. Wir arbeiten, um uns selbst zu verbessern – und den Rest der Menschheit.“ Viele nehmen dieses Zitat in einer sozialistischen bis kommunistischen Lesart war und sprechen von einer Zukunftsvorstellung, die sich kein Liberaler wünschen würde. Ich glaube aber, dass dieses Zitat einen starken liberalen Kern hat, der Star Trek seit Jahrzehnten prägt. Hier wird deutlich, dass die individuelle Verwirklichung und persönliche Entwicklung absoluten Vorrang hat. Diese Vorstellung ist in Star Trek für alle Lebewesen in der Föderation jedoch nur universell anwendbar, weil man sich um die grundlegenden Fragen der Existenz – Wohnung, Nahrung, Mobilität, Bildung – keine organisatorischen Sorgen machen muss.

Letztendlich macht Star Trek meiner Meinung nach keine konkreten Aussagen über die Zukunft oder weist auf ein Idealbild der Zukunft hin, welches wir unter allen Umständen erreichen sollen. Star Trek lädt uns eher ein, unseren Horizont zu erweitern, unsere klassischen Denkmuster zu durchbrechen und anschließend über die Gestaltung einer fernen Zukunft nachzudenken und zu diskutieren. Am Ende gestaltet auch nicht eine Generation allein die Zukunft.

Wie utopisch ist die dargestellte Zukunft?

Star Trek wurde als Utopie von Gene Roddenberry erdacht. Ein Universum ohne ökonomische Dimension. Mit Hilfsmitteln, die schwerwiegendes Leid in Kürze heilen können und Technologien, die Reisen durch Raum und Zeit ermöglichen. Roddenberry entwarf Star Trek als einen traumhaften Ort der fast unbegrenzten Möglichkeiten. Das liegt aber jeder Utopie inne. Für die Anfangszeit von Star Trek war schon der integrierte Cast eine Utopie. Die Besatzung des Kommandostabs, bestehend u.a. aus Pavel Andreievich Chekov, Hikaru Sulu, Spock und Nyota Uhura, wäre für die Zeit undenkbar gewesen.

Über die Jahrzehnte hinweg hat sich Star Trek meiner Meinung nach aber entwickelt. Fans und Zuschauende suchten in den Storys und Plots nach Erklärungen und Details. Sie wollten Lösungen und Zusammenhänge beschrieben wissen. Nicht nur auf technischer Ebene, sondern auch in den gesellschaftspolitischen Facetten.

Daraufhin hat sich Star Trek zunächst zu einem Spiegel der US-amerikanischen Gesellschaft entwickelt. Im weiteren Verlauf nahm Star Trek auch globale Krisen und Themen auf und verarbeitete Probleme, Herausforderungen und gesellschaftliche Veränderungen. Hierzu gibt es einige interessante Bespiele, wie das der Ferengi. Die Ferengi sind eine humanoide Spezies. Die Grundlage ihrer Gesellschaft bildet das Streben nach Profit. Klassische Charaktereigenschaften sind Gier, Raffsucht und Gewinnorientiertheit. Das Auftreten der Ferengi hat dazu geführt, dass sich die Utopie nur noch auf die Planeten der Föderation begrenzte. Denn mit den handelsorientierten Ferengi trat auch das Latinum auf, welches bei den Ferengi als Zahlungsmittel diente. Und wo Zahlungsmittel auftauchen, wird eine Diskussion um Mangel, materielle Bedürfnisse, Knappheit sowie Angebot und Nachfrage losgetreten. In der Utopie sollte es aber nie Mangel oder gar Ressourcenkämpfe geben. Der Beleg, dass Star Trek selbst nicht mehr nur die Zukunft beschreibt und eher der Gegenwart Rechnung trägt, zeigte sich in Deep Space Nine und Raumschiff Voyager. Mit Kathryn Janeway als Captain der Voyager und Vice Admiral der Sternenflotte trat erstmals eine Frau in die Hauptrolle und Kommandogewalt, mit noch nie dagewesener Screentime. Auch mit Benjamin Sisko, dem Commander der Raumstation Deep Space Nine, bekam eine Person of Color die Hauptrolle. Kritiker:innen äußern, dass diese Entwicklung hätte früher einsetzen sollen, denn zu diesem Zeitpunkt waren Frauen oder People of Color in Führungsfunktionen schon gesellschaftliche Realität. Andererseits gab Star Trek Themen wie Feminismus und Rassismus durch die Arbeit mit ihnen eine wichtige Plattform, da der Aspekt der Führungsfunktion in der US-amerikanischen Realität immer noch von weißen Männern dominiert war und leider bis heute ist.

Heute bespielt Star Trek meines Erachtens eine Mischung zwischen Realität und Utopie. Die Utopie wird im großen Rahmen in Star Trek: Discovery und Star Trek: Picard aufgenommen, jedoch immer mit gesellschaftspolitischer Aktualität unterfüttert. Diese Verbindung ist wichtig, um uns nicht nur mit Star Trek, sondern auch mit uns selbst zu beschäftigen.

Wie werden Probleme und Herausforderungen in Star Trek behandelt?

Star Trek ist in der Bewältigung von Problemen und Herausforderungen etwas geteilt, was vermutlich auf den jeweiligen Autor oder die jeweilige Autorin zurückzuführen ist. So behandeln manche Episoden bestimmte Herausforderungen sehr gut, beleuchten viele Facetten und hinterfragen Lösungsvorschläge kritisch. In anderen Episoden wird (etwas platt) ein planetarer Staubsauger erfunden, um klimaschädliches CO2 aus der Atmosphäre eines Planeten zu entfernen und somit die klimatische Situation zu stabilisieren.

Herausragend empfand ich immer die Episode „Wem gehört Data?“ in Star Trek: The Next Generation. Hier wird sehr intensiv und emotional darüber diskutiert, wie wir in Zukunft mit empfindungsfähiger Künstlicher Intelligenz und „starker KI“ umgehen sollen. Welche Rechte eine KI haben soll und haben muss, um beispielweise den Aspekt der Sklaverei auszuschließen. Am Ende der Episode gibt es kein wirkliches Ergebnis, weil die Zeit wohl noch nicht so weit war und die Episode nur 45 Minuten hatte. Dennoch hat der Austausch der Argumente das Thema präsent gemacht – und das im Jahre 1989!

Es gibt somit zahlreiche Beispiele aus den Bereichen der Medizinethik, der Moralphilosophie oder der internationalen Politik, die je nach Plot und Crew entweder sehr wertvoll diskutiert oder eben etwas flach bearbeitet werden. Bei aller Liebe und Hingabe zu Star Trek darf man als Fan nicht vergessen, dass Star Trek auch ein Unterhaltungsmedium ist, welches für eine breite Masse erarbeitet wird und auf kommerziellen Erfolg ausgerichtet ist.

Sie haben einen mehrteiligen Webcast rund um Star Trek und die Politik erarbeitet. Warum lohnt es sich, eine Verbindung zwischen Star Trek und der Politik herzustellen?

Star Trek ist äußerst facettenreich und biete viele Ansatzpunkte für politische Diskussionen. Mit Star Trek haben sich zahlreiche Wissenschaftler:innen in den USA, aber auch hierzulande intensiv beschäftigt und tun es auch weiterhin. „Star Trek und die Politik“ entstand damals aus dem Wunsch heraus, den politischen Bildungsauftrag mit etwas zu verknüpfen, was bei vielen Menschen gewisse Emotionen weckt. Wir wollten mit diesem Angebot Personen erreichen, die vor unserem Projekt noch nie etwas von der Stiftung gehört und möglicherweise die gesellschaftswissenschaftliche Debatte um Star Trek in dieser Form noch nie wahrgenommen haben. In der Erarbeitung der ersten Staffel haben wir frühzeitig festgestellt, dass elf Episoden und eine Sendedauer von 60 Minuten im Grunde zu wenig sind. Daher folgt ab Oktober 2022 die zweite Staffel mit vielen neuen Themen und spannenden Gästen.

Wie oben erwähnt, ist Star Trek für die Wissenschaften ein sehr spannendes Labor und bietet sehr viele Ansatzpunkte, um sich auch nach 55 Jahren damit zu beschäftigen. Es gibt immer etwas Neues zu entdecken und immer wieder eine neue oder andere Lesart zu diskutieren. Star Trek nimmt bis heute aktuelle reale Probleme auf, entwickelt sich mit seiner Zeit und versucht dabei einen positiven Zukunftsentwurf zu erzählen.


Martin Thoma ist seit 2017 Themengebietsleiter „Liberale Positionen und Kooperationen“ in der Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und organisiert hauptsächlich mehrtätige Seminare der politischen Bildung. Daneben konzipiert er seit 2020 Webcasts in Serienformaten wie die „Gesundheitspolitische Videosprechstunde“, die „Ordnung der Krise(n)“ oder zuletzt „STAR TREK und die Politik“. Das Interview führte Matilda März

freiraum #73