Die Berichterstattung über Terrorismus verwirklicht den Informationsauftrag der Medien. Es muss aber verhindert werden, dass die Berichterstattung den Terrorismus stärkt. Was ist dafür zu beachten? Von Julius Arnold
freiraum #74
Die Enthauptung eines Lehrers in Paris im Oktober 2020. Das Selbstmordattentat auf einem ArianaGrande-Konzert in Manchester im Mai 2017. Der Anschlag am Berliner Breitscheidplatz im Jahre 2016 – allesamt Ereignisse, die vielen von uns schmerzlich in Erinnerung geblieben sein dürften. Es sind unvorhergesehene Taten, gezielte Normbrüche, die vor allem ein Ziel haben: Angst und Verwirrung innerhalb der Bevölkerung zu stiften, um das System zu destabilisieren. In einem Wort: Terrorismus. Im Kontext der oben genannten Beispiele wurde eine Frage immer wieder aufs Neue diskutiert: Sollten Medien über Terrorismus berichten?
Um diese Frage zu beantworten, lohnt es sich, zunächst einen Blick auf die Erkenntnisse der Terrorismusforschung über das Verhältnis von Terroristen und Medien zu werfen. In der Theorie erscheint die Beziehung zwischen Medien und Terrorismus in gewisser Weise als ein symbiotisches Verhältnis: Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen sind nicht nur dazu verpflichtet, über die Geschehnisse in der Welt zu berichten – sie suchen aktiv nach Inhalten, die sie verwerten können. Genau diese liefern ihnen Terroristen durch ihre jeweiligen Aktionen. Einzelne Terroristen beziehungsweise terroristische Organisationen erhalten eine Möglichkeit, Aufmerksamkeit auf ihre Anliegen zu lenken und ihre Vorstellungen der breiten Masse zu vermitteln: Die Bevölkerung soll erkennen, dass es Personen gibt, die zur Durchsetzung ihrer Ziele vor nichts zurückschrecken. Gleichzeitig können durch die mediale Präsenz Sympathisanten und Unterstützer für die eigene Sache gewonnen werden – so jedenfalls die Theorie.
Terrorismus braucht Aufmerksamkeit.
Und in der Praxis? In der Realität profitieren, so manche Terrorismusforscher, die Medien wesentlich mehr von der Berichterstattung über Attentate und Anschläge als die Terroristen: Die Botschaften derer werden oftmals nur unvollständig und nicht in ihrer ursprünglichen Komplexität wiedergegeben, wodurch der Nachrichtenwert sinkt. Die Tat selbst wird zum Gegenstand der Aufmerksamkeit gemacht, während die zugrundeliegende Motivation in den Hintergrund rückt. Außerdem ist die Abhängigkeit von der medialen Berichterstattung für eine Terrororganisation nicht unproblematisch: Terrorismus braucht Aufmerksamkeit. Um weiterhin beachtet zu werden, gilt es, die Anschlagsmuster zu variieren und/oder die Aggressivität der Taten zu steigern. Die Folge der zunehmenden Brutalisierung des Vorgehens, um weiterhin öffentlich wahrgenommen zu werden: eine zunehmende Entfremdung von der eigentlichen Unterstützerbasis, eine wachsende Diskrepanz zwischen der Organisation selbst und der Gesellschaft, in der sie agiert. Dieses Phänomen wird auch als Militanzfalle bezeichnet. So delegitimieren sich Terroristen nach und nach, mit jeder Aktion, selbst – ein Prozess, der bis zur Spaltung oder Auflösung der Organisation führen kann.
Vom Lebenszyklus terroristischer Organisationen zurück zur Ausgangsfrage: Sollten Medien über Terrorismus berichten? Diese Frage lässt sich mit einem klaren Ja beantworten. Medien haben in unserer Gesellschaft die Aufgabe, dem Informationsbedürfnis der Bevölkerung nachzukommen, objektiv über Geschehnisse zu berichten und diese für die Allgemeinheit einzuordnen. Entscheidend ist jedoch, wie die Berichterstattung erfolgt: Um den Terrorismus nicht größer erscheinen zu lassen, als er ist, sollte von allzu stark dramatisierenden Darstellungen der Geschehnisse Abstand genommen werden. Diese schüren lediglich Wut und Angst: Zu viele Sendungen und Artikel zu einem Terrorakt erhöhen erwiesenermaßen die Sorge, bei einem Anschlag ums Leben zu kommen, obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintritt, verschwindend gering ist. Eine überzogene Berichterstattung kann aber auch in Rufen nach einem starken Staat mit entsprechend rigorosen Sicherheitsmaßnahmen als Reaktion auf die vermeintliche Bedrohungslage resultieren.
„Unabhängig und authentisch“ berichten, ohne „zum Werkzeug von Verbrechern“ zu werden.
Das Problem der Thematisierung von Terror und den möglichen damit verbundenen Folgen ist auch bei den Medien selbst angekommen: So ruft der Pressekodex des Deutschen Presserats dazu auf, bei der Berichterstattung über Gewalttaten (Richtlinie 11.2) „unabhängig und authentisch“ zu berichten, ohne „zum Werkzeug von Verbrechern“ zu werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Journalisten, die sich diese Richtlinien auferlegt haben, beim nächsten Anschlag – ohne ihn heraufbeschwören zu wollen – an die entsprechenden Vorgaben erinnern – und dass sich diejenigen Verlage, die sich nicht zum Pressekodex bekennen, dennoch in Zurückhaltung üben, anstelle zu versuchen, auf jede erdenkliche Art und Weise, sei es mittels Bildern der Opfer oder Mutmaßungen über die Täter und deren Motive die eigene Auflage erhöhen zu wollen.
Julius Arnold studiert an der Universität Regensburg Deutsch, Geschichte, Sozialkunde und Erziehungswissenschaften. Seit April 2022 befindet er sich in der Grundförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des VSA-Mitgliedermagazins "freiraum", die in Kooperation mit der Medienakademie der Begabtenförderung der FNF entstanden ist. Mehr über die liberale Medienakademie könnt ihr über diesen LINK erfahren.