Du (ja, du!) kannst viel Gutes in der Welt bewirken.

Kommt dir das bekannt vor: Du willst etwas verändern, hast aber das Gefühl, dass du nie wirklich etwas erreichen könntest? Effektiver Altruismus kann dir dabei helfen: Dieser Denkansatz stützt sich auf wissenschaftliche Methoden, um möglichst viele positive Auswirkungen für Menschen, Tiere und den Planeten zu erzielen.

Von Patricia Stainer

freiraum #76

Was ist die effektivste Maßnahme, um dafür zu sorgen, dass in Kenia mehr Kinder zur Schule gehen können? Vielleicht mehr Lehrer:innen einstellen? Vielleicht Bücher oder Schulinformen kaufen? Oder vielleicht Stipendien für besonders begabte Schüler:innen? Diverse wohltätige Organisationen haben all diese Maßnahmen finanziert. Doch dann überprüfte ein Forscherteam einmal die Effektivität dieser und weiterer Aktivitäten in der Entwicklungshilfe - also ob und wie gut sie ihr Ziel (nämlcih Schulbesuche zu steigern) überhaupt erreichen. Das Ergebnis: Die genannten Maßnahmen helfen - aber nur in sehr geringem Ausmaß. Und es gibt ein Instrument, das um ein Vielfaches effektiver ist als die Genannten: Entwurmungen. Denn parasitäre Würmer machen viele kenianische Kinder krank, sodass sie nicht zur Schule gehen können - und dann nützen auch mehr Bücher nichts. Zudem bieten Entwurmungen neben höheren Bildungschancen auch den Vorteil von besserer Gesundheit - und die beidene Aspekte zusammen sorgen langfristig für höhrere Einkommen und damit wirtschaftliche Unabhängigkeit.

Entwurmungen funktionieren also nicht nur - sie funktionieren außerordentlich gut. Gleichzeitig ist das Medikament dafür extrem günstig. Daraus folgt: Wer gerade einmal 100 US-Dollar an entsprechende Gesundheitsprogramme spendet, ermöglicht kenianischen Kinder insgesamt 13,9 Jahre zusätzlichen Schulbesuch. Da Entwurmungen so kosteneffizient sind, kann für das gleiche Geld ein bis zu 50-mal höherer Outcome erzielt werden als mit anderen Maßnahmen: Was du gerade gelesen hast, hat einen Namen: Effektiver Altruismus.

Effektiver Altruismus: Was ist das?

Effektiver Altruismus, abgekürzt EA, ist eine Denkweise, ein Forschungsfeld und eine Community. Das Ziel: Das Leben von anderen Lebewesen verbessern - und zwar so stark wie möglich mit den verfügbaren Ressourcen. Denn gut gemeint ist noch nicht gut gemacht, wie das Beispiel Kenia zeigt. Das heißt: Nicht nur gute Absichten walten lassen, sondern auch Vernunft, wissenschaftliche Methoden und Evaluation der Ergebnisse. Dabei richtet EA ein besonderes Augenmerk auf Problemfelder, die sehr umfangreich und relevant sind, aber trotzdem bislang stark vernachlässigt werden. Zum Beispiel Massentierhaltung: Milliarden von Tieren müssen jedes Jahr unter unwürdigen Bedingungen leben und sterben – oft können sie sich ihr ganzes Leben lang nicht einmal umdrehen und werden ohne Betäubung kastriert. Doch so groß das Leid ist, so sehr wird es aktuell ignoriert: In den USA (wie auch in Deutschland) leben viel mehr Tiere in Massenhaltung (türkis) als in Tierheimen (rot) – dennoch wird viel mehr Geld für Heime ausgegeben als für die Beendigung der industriellen Haltung: Das heißt nicht, dass Tierheime keine Spenden mehr erhalten sollten. Aber es zeigt, dass es massive Probleme gibt, denen wenig Aufmerksamkeit zukommt – obwohl man mit relativ wenig Ressourcen sehr viel erreichen könnte: Die „Open Wing Alliance“ beispielsweise bewegt große Unternehmen dazu, keine Eier aus Käfighaltung zu kaufen; bis heute wurden über 2.200 Zusagen erreicht, wodurch mehr als 100 Millionen Hühner vor Käfigen bewahrt werden konnten.

Ein zweites Beispiel für ein weitreichendes Problemfeld: Wir aktuell lebenden Menschen haben es ganz entscheidend in der Hand, für potenziell Billionen von zukünftigen Menschen und Tieren einen sicheren und lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Und es gibt im Hier und Jetzt sogenannte existenzielle Risiken, die das Überleben aller Lebewesen gefährden – wie extremen Klimawandel, natürliche oder menschengemachte Pandemien und transformative Künstliche Intelligenz (also eine KI, die massive Umwälzungen in praktisch allen Lebensbereichen bewirkt). Trotz ihrer womöglich verheerenden Folgen werden diese Risiken stark vernachlässigt. Daher unterstützt der EA auch Bestrebungen wie KI-Sicherheit und Pandemie-Vorsorge. Diese Perspektive heißt „Longtermism“.

Was du tun kannst? Eine ganze Menge!

In der Geschichte gab es immer wieder einzelne Menschen, die riesige und enorm positive Effekte erzielt haben: Norman Borlaug forschte an der Weizen-Züchtung und trug damit entscheidend zur „Grünen Revolution“ bei, die Millionen Menschen vor dem Hungertod bewahrte. Die Forscher:innen hinter Impfstoffen für Pocken, Keuchhusten und natürlich Covid haben ebenfalls Millionen Leben gerettet. Diese Menschen mögen wie unerreichbare Held:innen erscheinen, die außergewöhnlich mutig, schlau oder einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Aber: Wenn du überlegt handelst, kannst auch du viel mehr Gutes tun als du vermutlich denkst.

Stell dir vor, du siehst eines Tages ein Kleinkind in einem Teich ertrinken und springst hinein, um es zu retten. Das wäre eine großartige Tat! Nun stell dir vor, dass dir das jedes Jahr passiert und du im Laufe deines Lebens Dutzende Kinder rettest. Das klingt eigentlich zu gut, um wahr zu sein – entspricht aber ziemlich genau der Welt, in der wir leben. Denn: Aufgrund der global stark ungleich verteilten ökonomischen Ressourcen zählt man auch mit einem mittleren deutschen (oder anderen „westlichen“) Einkommen zu den circa fünf reichsten Prozent der Welt (!). Gleichzeitig ist es viel günstiger, in armen Ländern Leben zu retten oder signifikant zu verbessern, als in reichen. Einige Hilfsmaßnahmen wie Moskito-Netze gegen Malaria können für nur etwa 5.500 Dollar das Leben eines Kindes retten. Aus diesen Gründen hatten nur wenige Menschen jemals so viel Macht, anderen zu helfen, wie wir heute in den Industrieländern. Auch du kannst also tatsächlich viel Gutes erreichen. Nachfolgend seien drei sehr wirksame Möglichkeiten vorgestellt, wie du deine Ressourcen für effektive Zwecke einsetzen kannst:

1) Spende effektiv

Angenommen, du möchtest einen neuen Laptop kaufen – wie würdest du vorgehen? Vielleicht schaust du auf Vergleichsportale, liest Kunden-Bewertungen oder fragst einen technikaffinen Bekannten. Wenn wir in anderen Kontexten Geld investieren, prüfen wir meist genau, was die beste Option ist. Aber sobald es darum geht, Geld zu spenden, sind viele Menschen erstaunlich unkritisch. Die meisten Spender:innen überprüfen nicht, wie effektiv die wohltätigen Organisationen das Geld einsetzen – und ob ihre Maßnahmen überhaupt tatsächlich Gutes tun. Die Folge davon sind oft ineffektive Projekte (vergleiche das Eingangsbeispiel in Kenia).

Und manche „wohltätigen" Projekte sind sogar aktiv schädlich - wie die sogenannten PlayPumps. Die Idee klang genial: Anstelle der Handpumpe, die in Entwicklungsländern oft zur Wasserversorgung verwendet wird, sollten Spielplatz-Karussells installiert werden (also Drehscheiben, die man anschieben muss). Die Karussells würden Wasser aus der Tiefe pumpen, während die Kinder darauf spielen. Schon bald erntete PlayPump Auszeichnungen, internationale Medien-Aufmerksamkeit (inklusive eines Besuchs vor Ort von Jay-Z) und Millionen an Spenden. Das einzige Problem: Die PlayPumps funktionierten nicht so, wie beabsichtigt. Denn im Gegensatz zu normalen Spielplatz-Karussells, die sich mit genügend Schwung von allein drehen, müssen die PlayPumps konstant angeschoben werden. Die Kinder wurden daher schnell müde und oft mussten die Frauen des Dorfes die Aufgabe übernehmen, die sie als entwürdigend und kräfteraubend empfanden. Außerdem: Eine PlayPump kostet viermal so viel wie eine Handpumpe – aber Handpumpen fördern drei- bis fünfmal so viel Wasser. Die Spender:innen zahlten also ein Vielfaches für ein schlechteres Produkt. Ein Paradebeispiel für „Ineffektiven Altruismus“.

Wenn man genau hinsieht, stellt man fest: Die effektivsten wohltätigen Organisationen bewirken mehr als 100-mal so viel Gutes wie die am wenigsten effektiven. Das wäre so, also würdest du ein Sandwich für 1.000 Euro kaufen, während es nebenan ein genauso gutes für zehn Euro gibt. Verschiedene Hilfsmaßnahmen zu vergleichen ist natürlich nicht so einfach. Wie sehr die Lebensqualität eines Individuums tatsächlich durch eine Spende steigt, lässt sich oft nur schwer messen. Dennoch können wissenschaftliche Verfahren wie randomisierte Kontrollstudien Anhaltspunkte liefern. Und es gibt Organisationen, die basierend darauf nach den besten Möglichkeiten suchen – zum Beispiel eine deutsche namens „Effektiv Spenden“. Spenden sind in Deutschland übrigens von der Steuer absetzbar.

2) Wähle eine Karriere, mit der du möglichst viel Gutes bewirkst

Auch im Beruf kannst du dich effektiv altruistischen Zielen widmen: Zum Beispiel kannst du in die Wissenschaft oder Politik(-beratung) gehen und so Forschung beziehungsweise Gesetze vorantreiben, die vielen Lebewesen helfen. Auch bei einer NGO (Non-Governmental Organisation) könntest du arbeiten und müsstest dabei nicht zwangsläufig unmittelbar die wohltätige Arbeit ausführen – denn jede NGO braucht auch Mitarbeiter:innen in Buchhaltung, IT, Marketing und vielem mehr. Einige Mitglieder der EA-Community (EAler) gründen zudem neue Organisationen, die zur Bewältigung drängender Probleme beitragen – beispielsweise alle in diesem Artikel genannten. Die Organisation „80,000 Hours“ (der Name bezieht sich auf die Anzahl an Stunden, die man in seinem Leben etwa mit Arbeiten verbringt) kann dich bei der Wahl einer geeigneten, effektiven Karriere beraten.

Viele Menschen, die sich beruflich für andere engagieren möchten, wollen Probleme gern „direkt“ angehen. Aber letztlich zählt, dass die Welt besser wird, und nicht, dass wir es unbedingt mit unseren eigenen Händen bewirken. EAler versuchen daher oft, indirekt zu helfen, indem sie andere zum Helfen befähigen. Eine Strategie dafür ist das Konzept „Earning to give“: Das heißt, einen nach Möglichkeit gut bezahlten Job zu ergreifen und einen Anteil des eigenen Einkommens an effektive Organisationen zu spenden. Dementsprechend kann es für dich persönlich sinnvoller sein, beispielsweise einen Job im Finanzwesen auszuüben als direkt im wohltätigen Bereich zu arbeiten.

3) Engagiere dich in der EA-Community

Der Effektive Altruismus wurde an der Universität Oxford begründet, ist inzwischen aber weltweit verbreitet und wird von Zehntausenden Menschen in mehr als 70 Ländern angewandt. Es ist eine sehr diverse und tatkräftige Community, die immer offen für neue Ideen und Perspektiven ist. Also mach doch einfach mit – zum Beispiel in einer der über 25 EA-Lokalgruppen, die es in fast allen größeren Städten und an vielen Unis in Deutschland gibt. Regelmäßig finden auch Vorträge, Konferenzen und gemütliche Treffen statt.

Kritik am Effektiven Altruismus

Keine Herangehensweise ohne Kritiker:innen. An dieser Stelle auf alle, oft berechtigten Kritikpunkte am EA einzugehen, würde den Rahmen sprengen. Wichtig zu wissen ist: Kritik wird in der EA-Community nicht nur toleriert, sondern aktiv gefördert – es gibt sogar spezielle Wettbewerbe dafür. Was es konkret bedeutet „Gutes zu tun“, wird aktiv debattiert und es existieren in der Gemeinschaft viele unterschiedliche Ansichten, Werte und Leidenschaften – denn Effektiver Altruismus ist nicht „Hirn statt Herz“, sondern „Hirn und Herz“.

Eine persönliche Notiz zum Abschluss: Ich dachte immer, dass ich nie wirklich etwas in der Welt bewirken könnte. Und der Effektive Altruismus ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss – aber doch enorm hilfreich für mich. Denn er gibt mir konkrete Ansatzpunkte, was ich tun kann, anstatt mich wie sonst von den vielen Problemen der Welt überwältigen zu lassen und dann gar nichts zu tun. EA hat mir gezeigt, dass auch ich (ja, ich!) helfen kann – obwohl ich keine Ärztin, Politikerin oder Milliardärin bin. Jede Person, die möchte, kann sich im EA einbringen – unabhängig davon, wie viel Zeit oder Geld man geben kann und will und welcher Problembereich einem am Herzen liegt. Jede:r kann dazu beitragen, die Welt ein kleines, aber eben nachweisliches Stückchen besser zu machen. Mehr Infos unter www.effektiveraltruismus.de.

Patricia Stainer promoviert an der Ludwig-Maximilians-Universität München im Fach Theaterwissenschaft und ist seit Januar 2021 in der Promotionsförderung der FNF.


Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des VSA-Mitgliedermagazins "freiraum", die in Kooperation mit der Medienakademie der Begabtenförderung der FNF entstanden ist. Mehr über die liberale Medienakademie könnt ihr über diesen LINK erfahren.