Viele, gerade junge Menschen, sind motiviert, in ihrem Leben Gutes zu tun – zum Beispiel anderen helfen, Tierschutz vorantreiben oder das Klima retten. Häufig finden diese Bestrebungen ehrenamtlich in der Freizeit statt. Aber warum eigentlich nicht auch den Beruf einem guten Zweck widmen? Es gibt gute Argumente dafür… Von Patricia Stainer
Wie könntest du ein ethisches Leben führen und Gutes für Menschen, Tiere und den Planeten bewirken? Nachhaltig leben, also Recyceln, Fairtrade-Produkte kaufen und Kohlenstoffdioxid einsparen vielleicht? Oder dich ehrenamtlich für die Umwelt engagieren? Das sind natürlich sehr respektable Bestrebungen – aber es gibt noch eine viel einflussreichere Möglichkeit: Es spricht einiges dafür, dass deine Berufswahl die wichtigste ethische Entscheidung ist, die du in deinem Leben treffen wirst. Denn erstens geht es dabei um enorm viel Zeit: Du wirst etwa 80.000 Stunden deines Lebens mit Arbeiten verbringen – circa 40 Stunden pro Woche, 50 Wochen im Jahr, 40 Jahre lang. Das ist mehr Zeit, als du für Essen, soziale Kontakte und Netflix zusammen verwenden wirst. Darum ist deine Arbeitszeit wahrscheinlich deine größte Ressource, um etwas in der Welt zu verändern.
Zweitens bieten manche Karrieren die Möglichkeit, deutlich mehr Gutes zu bewirken als andere. Dies hängt einerseits vom Berufsfeld, andererseits von deinen persönlichen Qualifikationen ab. Es gibt riesige und doch stark vernachlässigte Problembereiche, in denen du als zusätzliche Arbeitskraft sehr viel bewirken könntest: Zum Beispiel sterben jeden Tag 15.000 Kinder unter fünf Jahren an leicht vermeidbaren Krankheiten und wir Menschen töten jedes Jahr 70 Milliarden Landtiere in Massentierhaltung, obwohl es Alternativen gäbe. Entscheidend ist aber auch, wie viel du individuell zur Lösung eines Problems beitragen kannst, und wo deine Leidenschaften liegen.
Nachdenken über eine wirkungsvolle Karriere
Aus diesen Gründen lohnt es sich, deine Berufswahl sehr überlegt zu treffen. Wenn Menschen den Wunsch haben, in ihrem Beruf anderen zu helfen, denken viele zuerst an eine Tätigkeit als Ärztin oder Lehrer – sie wollen also „direkt“ Gutes tun. Und natürlich sind das fantastische Karrieren. Aber wenn du offen für indirekte Wege bist, kannst du oft einen noch größeren positiven Beitrag leisten: Wenn du beispielsweise die Politik oder Gesetzgebung ändern könntest, würdest du hundertmal mehr Ressourcen beeinflussen als in den meisten anderen Berufen. Wenn du in die medizinische Forschung gehen würdest, könntest du nicht nur einzelne Patienten behandeln, sondern Medikamente für viele tausende Menschen entwickeln oder gar künftige Pandemien verhindern.
Vielleicht hast du den Eindruck, es sei ethisch verwerflich bei altruistischen Bestrebungen rationale Überlegungen anzuwenden – doch das Gegenteil ist der Fall. Denn eine effektivere Berufswahl bedeutet, dass du mit deiner Arbeit zum Beispiel mehr Menschenleben verbessern, mehr Kohlenstoffdioxid reduzieren oder mehr Tierleid verhindern könntest. Manche Überlegungen sind dabei kontra-intuitiv: Beispielsweise kann es für dich persönlich sinnvoller sein, einen hochbezahlten Job in der Unternehmensberatung anzustreben und dann einen Teil deines Einkommens an effektive Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden. Außerdem musst du nicht zwingend Forscher oder Politikerin sein, um an positiven Veränderungen mitzuwirken – denn in jedem wohltätigen Feld braucht es auch Fachkräfte für Marketing, IT und vieles mehr.
Fallstudie: Berufswahl versus Reduzierung des CO2-Fußabdrucks
Laut Bundesumweltministerium beträgt der durchschnittliche CO₂-Fußabdruck pro Kopf in Deutschland 10,8 Tonnen im Jahr. Selbst wenn es dir gelingen würde, dein Leben komplett umzustellen und deinen eigenen Fußabdruck auf null zu senken, könnest du im besten Fall also etwa 10,8 Tonnen jährlich einsparen. Wenn du dagegen für die wirksamsten Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels spendest – wie gezielte Lobbyarbeit oder die Entwicklung umweltfreundlicher Technologien –, könntest du für etwa neun Euro pro Tonne schädliche Emissionen reduzieren. Eine Spende von etwa 900 Euro pro Jahr könnte demnach 100 Tonnen einsparen, hätte also etwa die zehnfache Wirkung im Vergleich zur Reduzierung deines Fußabdrucks – und wäre für dich (mit einem guten Gehalt) wohl deutlich einfacher umzusetzen.
Und wenn du nicht nur für diese effizienten Lösungen spenden, sondern direkt an ihnen arbeiten würdest, wäre das noch viel wertvoller als 900 Euro pro Jahr. Es könnte also möglich sein, durch eine bewusst gewählte berufliche Laufbahn Emissionen um das Hundert- oder gar Tausendfache einer Änderung deines Lebensstils zu reduzieren. Denn im Beruf könntest du dich auf die wirksamsten Lösungsansätze fokussieren, anstatt dich auf das zu beschränken, was im Rahmen deiner alltäglichen Gewohnheiten möglich ist.
Die Entscheidung für eine wohltätige Karriere
Mit deiner Karriere kannst du also vermutlich viel mehr positive Effekte erzielen als mit jedweder Änderung in anderen Lebensbereichen. Wenn man positive Veränderungen in der Welt bewirken möchte, ist die Berufswahl daher die wichtigste Entscheidung – gefolgt von der Frage, wo man spendet, und wiederum gefolgt von der Freiwilligenarbeit und dem täglichen Konsum. Viele Diskussionen darüber, wie man Gutes tun kann, verlaufen jedoch genau umgekehrt: Sie beginnen mit dem Gedanken, dass "jedes Bisschen hilft", während in Wirklichkeit jedes kleine Bisschen eben nur ein bisschen hilft – und jedes große Bisschen sehr viel. Es ist also eigentlich wichtiger, sich auf die großen Lebensentscheidungen zu konzentrieren.
Die Entscheidung für einen Beruf oder auch einen späteren Karrierewechsel ist aber natürlich sehr herausfordernd. Doch du bist vermutlich bereit, sechs Minuten darüber zu diskutieren, wohin du mit deiner Clique später zu einem zweistündigen Abendessen gehst, oder? Im Verhältnis dazu solltest du eigentlich willens sein, bis zu 4.000 Stunden mit der Planung deiner Karriere zu verbringen. Ganz so lange ist wohl nicht nötig – aber es lohnt sich, großzügig Zeit in deine Recherche und Entscheidung zu investieren. Immerhin stehen 80.000 Stunden auf dem Spiel, in denen du extrem viel Gutes erreichen könntest.
Die gemeinnützige Organisation 80,000 Hours bietet daher kostenlose Einzelberatung und Ressourcen für die wirkungsorientierte Karriereplanung; dieser Text basiert zum Beispiel auf ihrem Artikel „This is your most important decision“. Weitere Anbieter sind Animal Advocacy Careers und Probably Good.
Patricia Stainer promoviert in Theaterwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit April 2021 ist sie in der Promotionsförderung der FNF.
Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des VSA-Mitgliedermagazins "freiraum", die in Kooperation mit der Medienakademie der Begabtenförderung der FNF entstanden ist. Mehr über die liberale Medienakademie könnt ihr über diesen LINK erfahren.