Von der Trainierbarkeit der Intelligenz Von Vanessa Pallentin

Höher, schneller, weiter, besser. Gerade in unserer Zeit fällt der kontinuierlichen Verbesserung seiner selbst eine bedeutende Rolle zu. „Selbst-Optimierung“ nennt sich das Ganze. Auf dem Weg zu mehr Produktivität, mehr Leistung, besseren Ergebnissen. Sei es im Sport, im Beruf, an der Universität, bei den Hobbys oder auch im Bereich der Selbstfürsorge. Im Internet wimmelt es von Anleitungen zur „productive morning routine“, „how to improve your life“, „how to achieve self-growth” und vielem mehr. Abgesehen von Produktivität, besseren Gewohnheiten, guten Morgen- oder Abendroutinen und der richtigen Mischung aus Disziplin und Selbstfürsorge wird oftmals noch ein weiterer Punkt auf dem Wege zur Selbstoptimierung angesprochen: Intelligenz. Gibt man „Wie werde ich intelligenter?“ bei Google ein, erhält man sofort eine Reihe von Angeboten, die mit entsprechendem Training eine Steigerung des Intelligenzquotienten (IQ) versprechen. Auch Apps wie Lumosity, Peak oder Elevate versprechen eine Steigerung der Gehirnfunktion, ein besseres Gedächtnis, eine bessere Verarbeitungsgeschwindigkeit und bessere Problemlösefähigkeiten. Doch funktionieren diese Trainings? Können wir unsere Intelligenz tatsächlich steigern? Und wenn ja, wie viel?

Zunächst müssen wir definieren, was wir eigentlich unter dem Begriff „Intelligenz“ verstehen. Würde man sich einmal im Freundes- und Bekanntenkreis umhören, erhielte man sicherlich genau so viele unterschiedliche Antworten, wie Personen, die man zu dem Thema befragt hätte. Im Alltag werden mit Intelligenz häufig auch Begriffe wie soziale Kompetenz, Erfolg, Wissen, gute Noten, Bildung und bestimmte Persönlichkeitsfacetten assoziiert. Auch in der Wissenschaft gebe es laut Sternberg (1998) annähernd so viele Definitionen wie Experten, die man um eine Definition gebeten habe. Allerdings konnte gezeigt werden, dass es einen Konsens über bestimmte Kernbereiche und -fähigkeiten gibt, die das wissenschaftliche Verständnis von Intelligenz auch weiterhin prägen. Abstraktes Denken, Problemlösefähigkeit, Mustererkennung, logisches Schlussfolgern und die Wissensaneignungskapazität gelten mitunter als jene Kernbereiche, über die in Wissenschaftskreisen am meisten Einigkeit herrscht. Eine bis heute verbreitete Definition beschreibt Intelligenz als „die zusammengesetzte oder globale Fähigkeit des Individuums, zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken und sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll auseinander zu setzen“ (Wechsler, 1944). Intelligenz kann somit auch verstanden werden als die Fähigkeit, Regeln und Muster zu erkennen und sich schnell an neue Situationen anzupassen. Der IQ, wenn auch im normalen Sprachgebrauch oftmals synonym verwendet, beschreibt hingegen einen relativen Wert, der die Leistung in einem Intelligenztest wiedergibt. Ursprünglich wurde der IQ eingeführt, um die Leistung von Kindern in Intelligenztestungen besser vergleichen zu können. Die Formel hierfür lautete: IQ = 100 x (Intelligenzalter / Lebensalter). Konnte ein 8-jähriges Kind beispielsweise einen Test, der für 10- Jährige konzipiert war, lösen, so wurde ihm ein IQ von 125 (entsprechend 100 x (10 / 8)) zugeschrieben. Konnte ein 8-jähriges Kind genau die Aufgaben lösen, die für die eigene Altersgruppe zugeschnitten waren, so erreichte es einen IQ von 100, welcher bis heute als Durchschnittswert gilt. Die Formel wurde mittlerweile selbstverständlich angepasst, da die Leistung in Intelligenztests nicht kontinuierlich mit dem Alter ansteigt. Der IQ folgt einer Normalverteilung mit einem Mittelwert von 100 und einer Standardabweichung von 15. Dies bedeutet, dass sich rund 68 Prozent der Personen zwischen einem Wert von 85 und 115 befinden. Nur circa zwei Prozent der Bevölkerung erreichen einen IQ von über 130 und gelten damit als hochbegabt. Wie bereits erwähnt gibt der IQ immer das relative Abschneiden in einem Test im Vergleich zu anderen Personen desselben Alters im gleichen Test an: IQ = 100 + 15 × (Rohwert – Mittelwert) / Standardabweichung. Es wird also der eigene erreichte Wert (der Rohwert) zum Mittelwert und der Standardabweichung, also der Streuung, aller anderen Personen in Relation gesetzt. Anerkannte und bisher verwendete Intelligenztests wie der Berliner Intelligenzstruktur-Test beispielsweise sind bereits normiert, sodass man anhand einer Tabelle der Rohwerte direkt den korrespondierenden IQ herauslesen kann.

In der Psychologie wird zwischen zwei Arten von Intelligenz unterschieden: der fluiden und der kristallinen Intelligenz. Wird in der Wissenschaft von Intelligenz gesprochen, bezieht man sich fast ausschließlich auf die fluide Intelligenz. So entsprechen alle bisher angegeben Definitionen dem aktuellen Verständnis von fluider Intelligenz. Auch in Intelligenztests wird fluide Intelligenz gemessen. Die zweite Art von Intelligenz bezeichnet die kristalline Intelligenz. Diese liegt inhaltlich näher an dem, was im Alltag oftmals mit Intelligenz assoziiert wird, und beschreibt unter anderem Wissen, Bildung, Erfahrungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Auch wenn dies für den einen oder anderen enttäuschend sein mag, wird aktuell davon ausgegangen, dass fluide Intelligenz im Erwachsenenalter nicht trainierbar ist und ab etwa Mitte 30 langsam abnimmt. Auch Trainingsprogramme, Kreuzworträtsel und andere Denksportaufgaben können dies nicht beeinflussen. Es gab zwar einige Studien, die zunächst einen Trainingseffekt zeigen konnten, dieser konnte jedoch in neueren Untersuchungen mit strengerer Methodik nicht repliziert werden. Des Weiteren gibt es viele mitunter privat finanzierte und/oder nicht unabhängige Studien, die eine Steigerung des IQs verzeichnen und somit annehmen oder „belegen“, dass ihre Probandinnen und Probanden durch die Teilnahme am Trainingsprogramm tatsächlich intelligenter geworden sind. Leider muss auch hier kritisch angemerkt werden, dass diese Leistungssteigerung nicht auf einer tatsächlichen Verbesserung der Intelligenz beruht. Wie auch in anderen Leistungstests gibt es mehrere Möglichkeiten, seine Testleistung zu verbessern: 1. echte Leistungszuwächse an Intelligenz, 2. eine Verringerung von Störfaktoren wie Testangst oder Unvertrautheit mit dem Testmaterial und/oder 3. der Erwerb von testspezifischen Fähigkeiten (Test-Wiseness).

Wie bereits erwähnt, geht der aktuelle Forschungsstand davon aus, dass keine echten Leistungszuwächse an Intelligenz zustande kommen (können). Jedoch kann dennoch der IQ, nämlich das Ergebnis in einem Intelligenztest, gesteigert werden. Studien konnten zeigen, dass sich Testpersonen bereits bei einfacher Wiederholung des gleichen Tests signifikant steigern. Dies liegt zum einen an der Vertrautheit mit dem Testmaterial, dem Bekanntsein des Aufgabentyps, des Ablaufs und der allgemeinen Nervosität beim Antreten zu einem Test. Auf der anderen Seite eignen sich Personen testspezifische Fähigkeiten an, die ihnen in der Testsituation weiterhelfen, aber außerhalb oder bei anderen Testungen nicht direkt anwendbar sind. Beispiele hierfür sind bestimmte Strategien im Antwortverhalten, das effizientere Nutzen der vorgegebenen Zeit, nachdem existierende Zeitlimits nach erstmaligem Bearbeiten nun bekannt sind, das Nutzen von Hinweisen in der Aufgabenstellung oder in den gegebenen Antwortalternativen. Muss daher ein Intelligenztest, beispielsweise im Zuge eines Assessmentcenters oder Auswahlverfahrens, bearbeitet werden, hilft es sehr wohl, sich vorab mit den Aufgaben vertraut zu machen, die Testsituation zu üben oder den Test, wenn möglich, mehrmals zu bearbeiten. Umgekehrt ist es natürlich problematisch, dass die Leistung in einem Test, der eigentlich eine angeborene, nicht veränderbare Fähigkeit abbilden soll, trainiert werden kann. Aus diesem Grund arbeiten meine Doktorväter und ich an der Erstellung von Intelligenztests, die weniger trainerbar sind und in denen zumindest Teststrategien keine Anwendung finden können. Am Ende sollten die Tests so fair wie möglich sein und möglichst nah an den „wahren Wert“ der Person herankommen.


Wer nun dennoch frustriert darüber ist, dass fluide Intelligenz nicht gesteigert werden kann, für den gibt es auch positive Nachrichten: Es zeigt sich, dass die kristalline Intelligenz, also die Art von Intelligenz, die mit Bildung, Wissen und Fähigkeiten zusammenhängt, mit dem Alter und dem Sammeln neuer Erfahrungen stetig zunimmt. Die Abnahme der fluiden Intelligenz kann somit in gewisser Weise ausgeglichen werden und es lohnt sich, sich geistig fit zu halten. Sei es mit dem Erlernen einer neuen Sprache, eines Instruments, dem Knüpfen neuer Kontakte, Ausprobieren neuer Dinge, Lesen oder allgemein Neues zu lernen und zu entdecken. Zuletzt soll noch angemerkt werden, dass es natürlich noch viele weitere wichtige Ressourcen wie Empathie, Teamfähigkeit, Durchhaltevermögen, Interessen und Motivation gibt, die für den persönlichen Lebens- und Berufserfolg von großer Wichtigkeit sind und weder von Intelligenz abgebildet noch durch Intelligenztests erfasst werden.

Vanessa Pallentin ist seit April 2020 in der Promotionsförderung der FNF. Sie forscht zu dem Thema „Trainierbarkeit von Intelligenztests“.


Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe des VSA-Mitgliedermagazins "freiraum", die in Kooperation mit der Medienakademie der Begabtenförderung der FNF entstanden ist. Mehr über die liberale Medienakademie könnt ihr über diesen LINK erfahren.