Im ersten Teil der Freiraum-Reihe "Zukunftsforum Freiheit" votiert unser Vorstandsmitglied Henri Kirner für Aufstellungsverfahren, bei denen nicht nur Parteimitglieder und vor allem nicht nur Delegierte, sondern auch interessierte Bürgerinnen und Bürger über die Kandidierenden einer Partei mitentscheiden können.
Unter den Stipendiatinnen und Stipendiaten und den Alumni der FNF erleben wir regelmäßig, dass es viele engagierte, kompetente und politisch interessierte Menschen gibt, die sich mit den Grundwerten des Liberalismus identifizieren. Viele finden dennoch keinen Zugang zur FDP. Sie wollen gestalten, mitreden, Verantwortung übernehmen. Doch sie bleiben außen vor, weil der Weg in politische Ämter meist über langjährige interne Parteiarbeit und vor allem über einen Weg führt: interne Netzwerke.
Entkoppelt in internen Debatten – Die Lage der FDP
Diese parteiinternen Netzwerke, die für die FDP zwar zum Erfolg in Aufstellungsversammlungen, aber (offensichtlich) nicht bei Wahlen führen, erarbeiten sich Kandidatinnen und Kandidaten häufig über viele Jahre. Dazu gehören unzählige Abende auf Stammtischen und Kreismitgliederversammlungen, Grußwörter bei Events der JuLis usw. Mit einer ambitionierten Karriere außerhalb der Politik und mit Familie lässt sich das häufig kaum vereinbaren. Unser traditionelles Aufstellungsverfahren belohnt daher vor allem diejenigen, die die Ochsentour durch die Ortsverbände gegangen sind. Und lässt viele außen vor, die ein großer Gewinn für die Partei wären.
Die FDP befindet sich aktuell in einer tiefen Vertrauens- und Orientierungskrise. Die Regierungsbeteiligung hat – die Schuldfrage ausdrücklich außen vor gelassen – der Partei nicht nur das (hoffentlich vorläufige) Ende im Bundestag beschert. Die Ampel hat die FDP auch gespalten zurückgelassen. Während intern der traditionelle Konflikt zwischen vermeintlich Konservativ- und Sozialliberalen ausgefochten wird, sinken die Zustimmungswerte und die öffentliche Aufmerksamkeit. Wo soll das hinführen? Was bringen solche Debatten, für die sich außerhalb der Partei niemand mehr interessiert? Gleichzeitig wirken viele parteiinternen Prozesse wenig einladend und kaum anschlussfähig für die moderne Bürgergesellschaft. In dieser Lage reicht es nicht, nur Programme zu überarbeiten oder Kampagnen zu fahren – es braucht strukturelle Öffnung. Dazu gehören möglicherweise auch Open Primaries.
Mehr Partizipation
Open Primaries sind Verfahren, bei denen nicht nur Parteimitglieder und vor allem nicht nur Delegierte, sondern auch interessierte Bürgerinnen und Bürger über die Kandidierenden einer Partei mitentscheiden können. Je nach Modell können alle Wahlberechtigten oder zumindest registrierte Unterstützer – also nicht nur Mitglieder – an Vorwahlen teilnehmen, bei denen zum Beispiel Spitzen- oder Direktkandidierende bestimmt werden. Solche Prozesse schaffen Transparenz, fördern Beteiligung und eröffnen neue Zugänge zur Politik – gerade für bislang Ungehörte.
Mit Open Primaries kann die FDP zeigen, dass sie ihre liberalen Prinzipien ernst nimmt – auch nach innen. Wer offenen Wettbewerb, Transparenz und Freiheit predigt, muss sie in den eigenen Entscheidungsprozessen leben. Wenn Kandidaturen nicht länger am Telefon oder in WhatsApp-Gruppen von Delegierten, sondern durch ein offenes Verfahren entstehen, stärkt das nicht nur die demokratische Legitimation, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Partei insgesamt. Natürlich heißt das, dass Verantwortungsträger die Geschicke ein Stück weit aus der Hand geben. Der status quo ist aber kaum ein Argument gegen neue Strukturen, oder?
Zugleich können neue Köpfe und Ideen sichtbar werden. Menschen mit Expertise, Integrität und Innovationsgeist, die aber nicht Teil etablierter Parteistrukturen sind, hätten eine reale Chance, sich Gehör zu verschaffen. Dem durchschnittlichen Wähler ist – anders als dem durchschnittlichen Delegierten bei der Aufstellungsversammlung – egal, wie viel ein Kandidat oder eine Kandidatin vorher parteiintern geackert hat. Das würde die FDP nicht schwächen, sondern beleben. Vor allem aber würde es Aufmerksamkeit erzeugen – und das brauchen wir in den kommenden vier Jahren mehr als alles andere.
Blick ins Ausland
In den USA sind Open Primaries weit verbreitet – mit Licht und Schatten. Zwar ermöglichen sie eine hohe Beteiligung und bringen teils überraschende, dynamische Kandidaturen hervor (wie etwa Barack Obama), doch es kommt auch zu strategischen Stimmabgaben durch Anhänger anderer Parteien und einer wachsenden Polarisierung. Diese Effekte müssten sich in einem deutschen Kontext aber durch kluge Regelungen abmildern lassen. Und was haben wir zu verlieren?
Frankreich hat mit den offenen Vorwahlen der damals in einer (innerparteilichen) Krise gefangenen Parti Socialiste bewiesen, dass auch europäische Parteien durch transparente Auswahlprozesse neue Dynamik entfalten können. Aus den offenen Vorwahlen hervor ging ein gewisser François Hollande – und gewann die Präsidentschaftswahlen. Diese Beispiele zeigen: Wer offen wählt, schafft Aufmerksamkeit, Legitimität und ein neues Verhältnis zur politischen Öffentlichkeit.
Ein Plädoyer für liberale Erneuerung
Natürlich erfordert die Umsetzung von Open Primaries sorgfältige Planung, klare Regeln und organisatorische Investitionen. Aber der politische Ertrag könnte den Aufwand rechtfertigen. Die FDP könnte sich so als moderne, offene Partei neu positionieren – vor allem strukturell. Die aktuellen Herausforderungen könnten eine Chance sein, nicht nur über Innovation zu sprechen, sondern selbst innovativ zu handeln. Dabei dürfen wir Vertrauen in die Freiheit und die Verantwortung des Einzelnen haben. Das gilt auch bei der Frage, wer für uns antreten und sprechen darf. Ich bin mir sicher: Die Stipendiatinnen und Stipendiaten und die Alumni der FNF könnten auf dem Weg zu Open Primaries mit klugen Konzepten unterstützen – und nach der Umsetzung erfolgreiche Kandidatinnen und Kandidaten liefern.
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