Maximilian Sepp im Gespräch mit dem Korea-Experten Dr. Lars-André Richter

Interview

 


freiraum: Herr Richter, warum haben Sie sich entschieden, im Auftrag der FNF nach Korea zu gehen?

Richter: Eines meiner Stammgefühle war immer das Fernweh. Ich reise viel und lebe gerne im Ausland. Korea hat mich wegen der besonderen politischen Geschichte und der leider immer noch anhaltenden Situation der Teilung besonders interessiert. Was meine Rollenwahrnehmung hier anbelangt: Die hiesige Einwanderungsbehörde war so freundlich, mir ein sogenanntes Missionarsvisum auszustellen. Das klang zunächst befremdlich. Wenn man aber einen Moment drüber nachdenkt, trifft dieser Begriff eigentlich ins Schwarze: Wir sind politische Missionare und tragen die Botschaft der Freiheit in die Welt. Gerade Nordkorea kann davon noch eine Menge gebrauchen.

Wie lebt es sich in einem geteilten Land, auf einer Halbinsel mit schwer bewachter Grenze?

Ich fühle mich manchmal wie im Filmklassiker »Die Feuerzangenbowle«: Dort geht es ja um jemanden, der als Kind in keine reguläre Schule gegangen ist und dann im Erwachsenenalter noch einmal aufs Gymnasium geht. So fühle ich mich auch manchmal. Als die Berliner Mauer fiel, war ich fast noch ein Kind. Politisch sozialisiert worden bin ich in der Nachwendezeit. Nun erlebe ich den Kalten Krieg noch einmal am eigenen Leib.

Wie gehen die Südkoreaner mit dem Zustand um, dass sich ihr Land seit dem Ende des Korea-Kriegs vor 65 Jahren offiziell im Kriegszustand mit seinem nördlichen Bruder befindet?

Es gibt in der Tat immer noch keinen Friedensvertrag zwischen Nord und Süd, lediglich einen Waffenstillstand. In Seoul hat man sich an diese Situation gewöhnt – genauso wie an die regelmäßigen Provokationen des Nordens. Die Südkoreaner machen keine Hamsterkäufe mehr, wenn der Norden wieder eine Rakete testet. Das ist nicht schön, aber die Leute hier schlafen ruhig. Seit Anfang des Jahres stehen die Zeichen ohnehin wieder auf Entspannung. Moon Jae-in, seit Mai vergangenen Jahres Präsident des Südens, verfolgt eine dialogorientierte Politik dem Norden gegenüber. Kim Jong-un, Pjöngjangs starker Mann, hat die Gesprächsofferte im Januar angenommen, rechtzeitig vor den Olympischen Winterspielen in Südkorea. Viele Menschen hier haben mit Euphorie reagiert. Das zeigt, dass sich doch viel Frust angestaut hatte im Laufe der Jahre und Jahrzehnte.

Bleiben wir kurz bei den Winterspielen im Februar und März: Dort liefen die Athleten beider koreanischer Länder gemeinsam bei der Eröffnungsfeier ein und stellten eine vereinte Frauen-Eishockey- mannschaft. Wie schätzen sie diese Entscheidungen ein?

Das war eher Symbolpolitik. Rein sportlich gesehen war die kurzfristige Zusammenstellung eines neuen Eishockeyteams sogar kontraproduktiv. Man hatte sich eine Disziplin ausgesucht, die über keine wirklich große Fangemeinde verfügt, wo sich der Frust über eine frühe Niederlage in Grenzen hält. Insgesamt war die Teilnahme des Nordens an den Winterspielen ein Baustein in den friedensbildenden Maßnahmen, mehr aber auch nicht.

Sie sind im wahrsten Sinne einer der wenigen Grenzgänger an der wahrscheinlich schwierigsten Grenze der Welt. Vor einer Woche sind sie aus Nordkorea wiedergekommen. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Nordkorea und was genau sind ihre Aufgaben dort?

Einer meiner Vorgänger, Ulrich Niemann, der seit langem den Bereich Internationales in der Stiftung leitet, hat in den frühen 2000er Jahren mit der Projektarbeit in Pjöngjang begonnen. Die Nordkoreaner kamen auf die Stiftung zu, waren auf der Suche nach Know-how für eine moderate wirtschaftliche Öffnung. Nach zwei sehr fatalen Hungersnöten im Land, Mitte der 1990er und Anfang der 2000er Jahre, war der damalige Machthaber Kim Jong-il dazu bereit, sich von auswärtigen Organisationen beraten zu lassen. Die Naumann-Stiftung war so mutig, darauf einzugehen und – als erste deutsche politische Stiftung – in Nordkorea aktiv zu werden. Seitdem sind wir etwa dreimal im Jahr dort, für eine knappe Woche, um Seminare und Workshops zu Themen zu veranstalten, die für die Nordkoreaner relevant sind und die zu unserem politischen Profil passen. Wir bringen in der Regel Experten aus Deutschland ins Land, treffen uns zunächst in Peking, fliegen dann gemeinsam nach Pjöngjang. Direkt von Seoul in die nördliche Hauptstadt – das geht leider nicht. Ein wirkliches Grenzgängertum ist also gar nicht möglich. Obwohl Seoul und Pjöngjang nur rund 200 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt sind, braucht man knapp zwei Tage, bis man nach China geflogen ist, dort sein Visum bekommt und nach Nordkorea einreist. Eigentlich ein absurder Zeitaufwand – immer noch Kalter Krieg eben.

Wo liegen die größten Schwierigkeiten bei ihrer Arbeit in und mit Nordkorea?

Nordkorea ist natürlich kein Land wie jedes andere. Der Reiseaufwand ist dabei sicherlich das kleinste Problem. Wir können vor Ort nur eingeschränkt das machen, was wir in vielen anderen Ländern tun: Demokratieförderung, Parteienberatung und in einen Dialog über die Themen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte eintreten. All das ist in Nordkorea gegenwärtig gar nicht vorstellbar. Unser Gastgeber ist das Zentralkomitee der staatstrageden Partei der Arbeit Koreas, die Teilnehmer an den Workshops indes kommen aus Ministerien und staatlichen Forschungseinrichtungen. Was dieThemenwahl anbelangt: Wir sehen zu, dass wir solche identifizieren, in deren Fall wir davon ausgehen können, dass sie den Menschen im Land helfen, auch wenn wir sie nicht direkt erreichen können.

Eine Persönlichkeit, die man in der heutigen Weltpolitik sicherlich als Querdenker bezeichnen könnte, ist Donald Trump. Hat es so einen wie Trump gebraucht, um Kim zu beeindrucken?

Ganz klar: ja. Ich halte Trump einerseits natürlich für ein großes politisches Unglück. Trotzdem hat er dank seiner Unberechenbarkeit zunächst Bewegung gebracht in den Konflikt hier auf der Halbinsel. Über Obama hat man in Pjöngjang nur gelacht. Er hat in seiner Außenpolitik rote Linien gezogen und deren Verletzung nicht geahndet. Die Nordkoreaner konnten acht Jahre davon ausgehen: »Der tut uns nichts, mit dem können wir machen, was wir wollen.« Die Elite in Nordkorea beobachtet das politische Weltgeschehen sehr genau und weiß, was in der Welt vor sich geht.

Wie bewerten Sie das erste Treffen zwischen Trump und Kim im Juni in Singapur?

Trump hat es, salopp formuliert, verbockt. Bis zum Singapur-Gipfel schien er die meisten Fäden in der Hand zu haben. Die Pressekonferenz im Anschluss an das Treffen mit Kim indes brachte die Wende. Sie hat der Welt einmal mehr vor Augen geführt, dass der vermeintlich mächtigste Mann der Welt die Komplexität des Korea-Konfliktes auch nicht annähernd durchdrungen hat. Er ist letztlich mit leeren Händen aus Singapur abgereist. Und hat es nicht einmal gemerkt.

Sie nannten den Gipfel in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk am Tag seiner Durchführung einen „Etappenerfolg“ für Pjöngjang und Peking.

Richtig. Dennoch bleibe ich dabei: Er hätte eine Chance sein können. Man musste den Korea-Konflikt nach Jahren der Provokationen, Drohungen und Sanktionen endlich einmal anders angehen. Wenn sich allerdings zwei Staatsführer zusammensetzen, dann muss klar sein, worüber sie reden und wie genau sie weitermachen wollen. Das war bei Kim und Trump nicht der Fall. Denuklearisierung und ein Friedensvertrag: Schon über diese Kernbegriffe herrscht kein Konsens. Was hat der Gipfel gebracht? Freundliche Worte, freundliche Bilder, freundliche Gesten. Mehr konnte man zunächst auch nicht erwarten. Danach aber hätte ein klar definierter Mechanismus auf den Weg gebracht werden müssen. Aber was macht Trump? Er bezeichnet die jährlichen gemeinsamen Militärmanöver der USA mit ihrem Verbündeten Südkorea als »Wargames«. Damit bedient er sich der Sprache Chinas und Nordkoreas.

Halten Sie eine Denuklearisierung auf der koreanischen Halbinsel in absehbarer Zeit für möglich?

Die Geschichte hat schon manche positive Überraschung bereitgehalten, für das Europa der Jahre1989/90 allemal. Dennoch: Bei mir überwiegt beimThema Denuklearisierung eher die Skepsis. Solange man sich nicht auf eine gemeinsame, widerspruchsfreie Definition der oben genannten Kernbegriffe verständigen kann, wird eine Einigung, mit der alle Beteiligten zufrieden sind, sehr schwer. Die geforderte Denuklearisierung verbindet sich in der Regel mit drei Adjektiven: vollständig, überprüfbar und irreversibel. Dazu kommt die zeitliche Perspektive, die gern aus den Augen verloren wird: Wann soll der Norden mit der Abrüstung beginnen? Wann soll sie abgeschlossen sein?

Besteht aktuell die größte Chance auf Frieden in Korea seit jeher?

Es ist in diesem Jahr etwas in Bewegung geraten, ohne jeden Zweifel. Die Frage bleibt nur, wohin es führt. Alle Seiten sind wahrscheinlich an einem Erhalt des Status quo interessiert. Niemand aber weiß, welchen Plan die einzelnen politischen Akteure darüber hinaus verfolgen. Klar ist nur: Niemand will Krieg. Ich halte es mit David Ben-Gurion: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. Ich habe meinen Glauben an Wunder noch nicht verloren. 

 

Zur Person

Lars-André Richter hat u.a. Germanistik und Philosophie in Tübingen, Leipzig, Paris und Berlin auf Magister studiert. Während seiner Promotion wurde Richter Stipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung, der er bis heute erhalten geblieben ist. Als Chefredakteur des freiraum sammelte Richter wichtige journalistische Erfahrungen, die er nach seiner Promotion im Jahr 2007 als Mitarbeiter in der Online- Redaktion der WELT einsetzen konnte. Danach führte ihn sein Weg zurück in die Stiftung, wo er zunächst für gut drei Jahre das Amt des Pressereferenten bekleidete. Seit 2012 ist Lars-André Richter Büroleiter der Friedrich-Naumann- Stiftung in Korea mit Sitz in Seoul. Dort betreut er unter anderem das größte Altstipendiaten-Netzwerk außerhalb Deutschlands mit gut 60 Alumni. Die Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel kommentiert er regelmäßig auch in den deutschen Medien. Im Herbst dieses Jahres übernimmt Richter das Stiftungsbüro in Buenos Aires.

 

freiraum #59