Geschichte und Popularität des Fußballs von Alt-China bis E-Sports. Von Marius Luszek

Debatte

 


Fußball ist nicht nur der beliebteste Sport der Welt, gefolgt von Basketball und Cricket, sondern in seinen unzähligen Variationen auch der älteste. Die FIFA erkennt als früheste Form das chinesische Spiel Cuju an, das wohl aus dem 2. Jahrhundert vor Christus stammt. Das Ballspiel, in verschiedenen Eigenarten auf allen Kontinenten praktiziert, entwickelte sich in England vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert vom fast regellosen »Mobball« weiter bis zum modernen Fußball. Rugby und American Football gingen ihren Weg und entfernten sich vom Fußball.

Woher kommt aber die heutige Begeisterung für Fußball? Warum sind nicht Rugby oder American Football dermaßen beliebt geworden? Die Fußball-Forschung, die gerade mit der WM in Russland wieder Hochkonjunktur hat, bietet verschiedene Ansätze und Perspektiven.

Historisch betrachtet half dem Fußball wohl, dass er zur Hochzeit des britischen Empire seine heutige Form annahm und durch den Kolonialismus, aber auch die Orientierung an der damals modernsten Nation Europas verbreitet wurde. Fußball war zunächst ein bürgerliches Spiel der Jungen an den prestigeträchtigen Public Schools, die zu den wenigen gehörten, die damals Freizeitbeschäftigungen nachgehen konnten. Regeln verboten bereits den übermäßigen Körpereinsatz, Schiedsrichter wurden eingeführt. Diese verfeinerten Regeln machten den Fußball zu einem Spiel der Oberschicht. Das hinzukommende Leistungsprinzip im Wettstreit sich professionalisierender Teams eröffnete auch Spielern niederer Schichten die Möglichkeit mitzuspielen. Vor allem der positive Ausgang des Streits um die Bezahlung von Fußballspielern im ausgehenden 19. Jahrhundert sorgte für die Professionalisierung in diesem Sport.

Einzigartig ist an Fußball auch die hohe Spannung und Unvorhersehbarkeit, die etwa Handball, Basketball oder auch American Football eher fehlen, weil dort einzelne Punkte und Tore längst nicht so stark ins Gewicht fallen. Durch einen Fehler, einen genialen Konter oder auch einfach einen Schuss aus der Laune heraus kann sich meist noch eine Wendung ergeben.

Neben der Konkurrenz einzelner Spieler ermöglicht Fußball auch eine starke Gruppenidentifikation und daraus folgende Dynamiken, vom eigenen Team über den Verein bis hin zur Nation. Im Mittelalter spielten noch ganze Dörfer oder Stadtteile als Mobs, die mit zunehmender Reglementierung kleinen Teams wichen, mit denen man sich trotzdem identifizieren konnte und kann. Fußballverbote aus dem Mittelalter, die vor allem die öffentliche Ordnung wahren sollten, konnten entfallen. Verletzungen wurden durch die neu einziehende Ordnung seltener und milder. Die menschliche Lust an Kampf und Konkurrenz floss in harmlosere Bahnen. Damit erklären manche Forscher auch, dass Fußball in Kulturen mit hoher Harmonieorientierung (z.B. in Ostasien) erst kürzlich beliebt geworden ist.

In dem Maße, in dem andere Wege, sich als Gemeinschaft zusammenzufinden und zu begreifen, an Bedeutung verloren, gewann der Fußball an Einfluss. Beispiele dafür sind der Bedeutungsverlust von Religion oder auch der Nationalität, die in der Hingabe zum Verein, der Abneigung gegenüber »Erfolgsfans« oder auch die Retablierung der deutschen Flagge als Garten- und Autoaccessoire 2006 wiedergeboren wurden.

Auch als »Dopplung« der Arbeitswelt kann Fußball verstanden werden. Hierarchien, Teamarbeit oder auch Disziplin werden dort reproduziert, während gleichzeitig auch der einzelne Spieler sowohl Fehler machen als auch Momente der Eigenständigkeit und Selbstwirksamkeit erleben kann, in denen er Spektakuläres leistet. In Deutschland wurde Fußball beispielsweise erst im Kaiserreich wirklich beliebt und schaffte es 1910 gar in die militärische Ausbildung. Das vorher im Kontrast zum Turnen unästhetische Gewusel trainierte die späteren Soldaten, als Team in einem chaotischen Umfeld zusammenzuarbeiten. Mit der Vereinsstruktur, Jugendarbeit und Vorbildfunktion bekannter Spieler prägte der Fußball ganze Generationen – prägnant veranschaulicht beispielsweise im (nicht Fußball-exklusiven) Begriff »locker room talk«.

Abseits des eigentlichen Spiels sorgen auch die Medien dafür, dass Spiele aus Stadien in Kneipen und Wohnzimmer kommen, dass Fußballspieler zu ausgeleuchteten Stars werden und 24 Stunden am Tag Transfers, Spiele in aller Herren Länder und Meinungen von Fußballern über Fußball und die Welt konsumiert werden können. Der Schritt zur wirtschaftlichen Ausnutzung der Popularität des Fußballs ist dann nicht mehr weit, die wiederum etwa über Werbung auch die anspricht, die sich anderweitig nicht für das Spiel interessieren.

Während die Regeln komplizierter wurden, wie auch der Ball zur Wissenschaft an sich, ist Fußball doch noch immer der einfachst-mögliche Sport geblieben. Es braucht keinen Korb wie für Basketball, nicht einmal einen Ball wie im Handball – Fußball kann mit nahezu jedem tretbaren Objekt gespielt werden.

Der Grund der Popularität des Fußballs ist vermutlich in einem Mix aller oben genannten Faktoren zu finden. Als Frage ließe sich abschließend vielleicht aufwerfen, ob nicht E-Sports bzw. Videospiele dabei sind, den Fußball abzulösen. Allerdings ist die Barriere höher (ein Spielgerät wird benötigt). Auch die körperliche Dimension fehlt völlig und die Ortsungebundenheit der nur wenige Spieler umfassenden Teams lässt vermutlich keine starke Identifikation zu. Trotzdem zeigen sich auch dort Tendenzen zur Konzentration auf bestimmte Spieltypen, die maßgebend sind und die längst in nur noch leicht abgewandelten Serien (z.B. Counter Strike) produziert werden. Sie sind neuen Spielern leicht zugänglich und gewinnen immer mehr Spieler, wie auch Zuschauer. Hier wäre sicher ein Ansatzpunkt, an dem sich der scheinbar »am Ende der Geschichte« angelangte heutige, hochkommerzialisierte Fußball reiben und profilieren könnte – verdeutlicht in Reinhard Grindels (DFB-Präsident) Statement, dass E-Sport kein Sport sein könne, denn »Fußball gehört auf den grünen Rasen«.

 

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