Drei Geschichten, drei Blickwinkel, drei Menschen: Risiko als Sucht, als Hobby und als Teil des Berufs. Von Maximilian Sepp

Interview

 


»Ich habe 23 Jahre lang jeden Tag gespielt.«

Interview mit Volker Brümmer

 

freiraum: Welche Bedeutung hat das Wort Risiko heute für Sie?

Volker Brümmer: Ich bin generell ein sehr risikobereiter Mensch. Meine Neugier und mein Mut treiben mich voran: »Wie weit kann ich gehen? Wozu bin ich bereit? Gehe ich das Risiko ein?«. Ich konnte lange Zeit sehr nieder- schwellig abschätzen, ob mir dieses Risiko guttut oder nicht, ich habe es dann einfach probiert.

War diese Neugier und Risikobereitschaft die Ursache für Ihre Sucht?

Anfänglich hatte ich schon eine sehr große Neugier. Den ersten Kontakt mit Glücksspiel hatte ich im Alter von zehn Jahren, als ich zwei Mark Taschengeld in einen Automaten an einer Autobahnraststätte geworfen habe. Mit 13 habe ich 150 Mark gewonnen als ich das Wechselgeld in der Imbissbude in den Automaten geschmissen habe. Wenn meine Freunde dann mit 16 oder 17 abends in die Disko gegangen sind, saß ich vorm Automaten.

Ab welchem Alter wurde aus dem Spaß eine Sucht?

Am Anfang war es eine reine Freizeitgestaltung. Zum Entspannen, zum Spaßhaben, zum Riskieren. Ich wollte den Automaten besiegen, indem ich die Risiko-Taste immer wieder drückte. Zu dieser Zeit stand auch noch das Geld im Vordergrund. Während meiner Ausbildung, mit 18, hatte ich schon einen Dispo-Rahmen von 2.000 Mark. Mit 25 habe ich schon 75.000 Mark Schulden aufnehmen müssen. Danach bin ich immer weiter nach unten gerutscht und die Verluste wurden immer höher.

War Ihnen das finanzielle Risiko damals überhaupt bewusst?

Nein, gar nicht. Es war schon immer Geld da und wenn das nicht gereicht hat, hatte die Bank ja was. Damals haben die Banker ja gefragt wie die Metzger: »Darf ’s noch ein bisschen mehr sein?«. Ich konnte mich allerdings auch gut verkaufen. Es gibt keinen besseren Lügner als einen Spieler. Und durch den Realitätsverlust, den man als Süchtiger erleidet, habe ich mir dann irgendwann auch selber geglaubt.

Wie hat sich ihr Verhältnis zum Risiko in dieser Zeit verändert?

Natürlich wurde die Risikobereitschaft mit der Zeit immer höher. Am Anfang war es ein Automat, irgendwann wurden es dann zwei, drei in der Kneipe und am Ende habe ich 20 Automaten in der Spielhalle parallel bedient. Ich war den ganzen Tag total unruhig, bis ich endlich vor dem Automaten saß.

Welche Bedeutung hat der Kick gespielt, den Sie beim Spielen bekommen haben?

Wenn man gewinnt, fühlt man sich in diesem kurzen Moment sehr überlegen. Das verschwindet aber sehr schnell. Irgendwann dienten die Gewinne nur noch dazu, das Geld zu reinvestieren, also die Spielzeit zu verlängern. Zum Teil habe ich mit 30 Euro pro Klick gespielt. So ein Spiel dauert dann etwa zwei Sekunden. Es war aber nur noch Spielgeld für mich. Ab und zu kam dann einmal ein Gedanke, wie: »Damit könnte ich jetzt meine Miete bezahlen«. Der war aber auch innerhalb einer Hundertstelsekunde wieder verflogen und der nächste Gedanke war: »Wunderbar, jetzt kann ich wieder eine Woche spielen«.

Wenn das Geld keine Rolle mehr gespielt hat, hätten Sie nicht auch einfach mit weniger Geld oder ohne Einsatz spielen können?

Manche Leute stellen sich einen Automaten in den Keller und spielen zum Spaß. Mich hat das aber nie interessiert. Für mich war es wichtig, echtes Geld zu setzen und gleichzeitig hatte es keinen Wert mehr für mich. Ich habe total die Relation zum Geld verloren. Der Reiz lag im Risiko. Ein Symptom der Glücksspielsucht sind auch Depressionen. Mit jedem Drücken auf die Risiko-Taste bin ich meinem Lebensende ein Stück nähergekommen. Als ich alles verspielt habe, stand ich am Bahngleis. Aber diesen einen Schritt bin ich zum Glück nicht nach vorne, sondern nach hinten gegangen, weil mir meine Tochter in den Sinn kam.

Wie viel Geld haben Sie insgesamt durch Ihre Spielsucht verloren?

Am Ende waren es 300.000 Euro und ich musste Privatinsolvenz anmelden. Bis zum Tage meines Outings wusste niemand von meiner Sucht. Weder mein Chef, noch meine damalige Ehefrau, meine Eltern oder meine wenigen Bekannten, die ich aber durch die Sucht auch zum größten Teil verloren hatte. Ich habe 23 Jahre lang jeden Tag gespielt.

Zur Person:

Volker Brümmer, 50, ist gelernter Fliesenleger und war 23 Jahre glücksspielsüchtig. Nach seiner Therapie hat er 2009 eine Selbsthilfegruppe gegründet, eine Suchtkrankenhelferausbildung gemacht und engagiert sich seitdem für Aufklärung zum Thema Spielsucht.

 

»Ich wollte dort sein, wo sonst niemand ist.«

Interview mit Julian*

 

freiraum: Beim Roofing geht oder klettert man ungesichert auf Hausdächer. Das ist nicht nur illegal, sondern auch sehr riskant. War das der Kick, den du brauchst?

Julian*: Es gibt zwei Kategorien von Roofern. Die einen machen es nur wegen irgendwelcher Adrenalin-Kicks oder weil es nicht erlaubt ist. Und es gibt die zweite Kategorie, zu der ich gehörte: Die Fotografen, die nur auf Dächer klettern, um tolle Bilder zu machen. Für mich hatte das nie etwas mit dem Reiz des Verbotenen oder Riskanten zu tun. Aber ich weiß, dass das mit einem gewissen Risiko verbunden ist.

Hattest du nie Angst vor der Höhe oder vor der Polizei?

Menschen gewöhnen sich schnell an so etwas. Man verliert einfach die Relation zu den Dingen. Wenn du fast jeden Tag auf einem Dach bist, das 300 Meter hoch ist, dann gewöhnst du dich daran. Angst würde ich nicht sagen, aber ich hatte Respekt vor der Höhe, und den darf man auch nicht verlieren. In erster Linie hatte ich aber Angst, von der Polizei erwischt zu werden. Die Höhe hat mir nie Angst gemacht.

Wie genau geht man beim Roofing vor?

Im Ausland geht es meistens ganz einfach: Man fährt mit dem Aufzug bis zur obersten Ebene und sucht den leichtesten Weg aufs Dach. Häufig ist sogar die Dachtür offen. Falls nicht, gibt es oft Feuertreppen oder Baugerüste, an denen man außen entlang klettern kann. In Deutschland ist es deutlich schwerer, auf Dächer zu kommen, und so viele Wolkenkratzer gibt es hier ja auch nicht. Deshalb ist das Roofen in Deutschland wenig bekannt.

Illegal ist es aber im Ausland wie in Deutschland, oder?

Ich würde nicht sagen, dass es überall illegal ist. In Hong Kong wurde es lange Zeit einfach toleriert. Die Sicherheitskräfte der Häuser haben meistens weggeschaut und viel durchgehen lassen. Ich wurde auch schon von den Securities und der Polizei von den Dächern geholt. Mehr als eine Verwarnung ist mir dann aber nicht passiert.

Wenn es nicht um den Kick geht, warum benutzt du dann keine Ausrüstung, um dich zu sichern?

Naja, die klassischen Roofer machen es natürlich schon für den Kick. Denen geht es nicht um die Aussicht oder die Perspektive. Ich habe noch niemanden gesehen, der Ausrüstung dabei hatte. Ich habe mich so schnell daran gewöhnt, dass es für mich keinen Unterschied gemacht hat, ob ich auf einem 300 Meter hohen Turm laufe oder auf einer Mauer, die nur einen Meter hoch ist.

Der Kick war nie der Reiz für dich. Das Risiko bist du aber bewusst eingegangen. War es trotzdem Teil des ganzen Spaßes?

So würde ich das nicht sagen. Das Risiko an sich ist kein Spaß für mich. Es ist absolut präsent bei dem, was ich da mache. Ohne geht es eben nicht. Der Grund, warum ich damals mit dem Roofen angefangen habe, war: Ich wollte dort sein, wo sonst niemand ist. Dass es verboten und gefährlich ist, hat mich nicht daran gehindert.

Was bedeutet das Wort Risiko heute für dich?

Im Leben sollte man generell Sachen riskieren. Man sollte sich sehr bewusst sein, was man gerade macht; vor allem wenn das, was man macht, eigentlich nicht besonders klug ist. Ich verbinde viele positive Dinge mit dem Wort Risiko. Wenn man etwas riskiert und dann etwas schafft, kann man stolz sein. Und wenn es nicht klappt, dann lernt man daraus. Für mich ist ein fehlerhafter Versuch tausendmal besser, als zu wissen, dass ich es nie versucht habe.

Zur Person

Julian*, 20, ist gelernter Koch und arbeitet als selbstständiger Fotograf. Er war schon auf den verschiedensten Dächern der Welt, um das perfekte Bild zu schie- ßen. Dazu musste er auch einige Risiken eingehen.

* Name von der Redaktion geändert

 

»Ich bin ein überzeugter Demokrat und deshalb gehe ich dieses Risiko auch ein.«

Interview mit Alexander Rieper

 

freiraum: Herr Rieper, wie hoch ist das gefühlte sowie das reale Risiko, in Tunesien zu leben und zu arbeiten?

Alexander Rieper: Tunesien ist ein sehr sicheres Land. Ich bin erst seit drei Monaten hier und lerne das Land auch erst noch kennen, aber ich fühle mich hier in keiner Weise bedroht. Natürlich ist es ein aufgewühltes Land und es gibt auch terroristische Anschläge. Im letzten Oktober hat es in der Innenstadt von Tunis einen Anschlag gegeben, nach zuvor drei Jahren ohne Vorfall. Das Phänomen Terrorismus ist aber heutzutage ein sehr globales. Für mich persönlich macht es da keinen Unterschied, ob ich hier in Tunis bin, oder in München, Straßburg oder Paris.

Wie war Ihr Gefühl, Ihre Arbeit nach diesem Anschlag zu beginnen?

Es war schon ein komisches Gefühl, zumal ich diese Straße zwei Tage vor dem Anschlag entlanggelaufen bin. Für Tunesien bedeutet jeder Anschlag, dass sich die Demokratie noch schwieriger entwickeln kann. Auch der Tourismus, der eine wichtige Einnahmequelle für das Land darstellt, leidet sehr stark darunter. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Anschlags zu werden, ist aber generell sehr gering.

Das klingt nach einer sehr rationalen Betrachtung. Können Sie diese abstrakte Angst vor Anschlägen so herunterbrechen?

Ja, zum einen kann ich das und zum anderen habe ich mittlerweile auch schon einige Reisen in Krisengebiete wie etwa Afghanistan oder Irak gemacht, ohne dass mir etwas zugestoßen wäre. Das ist meine persönliche Empirie und die Statistik bestätigt mich da. Außerdem ist es das explizite Ziel von Terroristen, uns Angst zu machen. Sie wollen Chaos erzeugen. Ich versuche, mich dieser Angst zu entziehen. Das gelingt mir aber auch nicht immer vollständig.

Was bedeutet das Wort Risiko für Sie?

Auf einer emotionalen Ebene hat Risiko für mich etwas mit Unsicherheit und Gefahr zu tun, auf einer reflektierten Ebene eher mit Wahrscheinlichkeiten.Und mit der Fähigkeit, diese richtig einschätzen zu können und sein Handeln dementsprechend anzupassen. Per se besteht in einem Risiko eine Unsicherheit, die aber durch richtiges Management eingedämmt werden kann.

Sie sind auch für Libyen zuständig. Wäre Ihnen das Risiko, dort zu arbeiten, momentan zu hoch?

Ja, mit Sicherheit. Dort herrscht eine ganz andere Situation als in Tunesien. Das letzte Mal, als ein hauptamtlicher Vertreter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Libyen war, ist sechs Jahre her. Auch der deutsche Botschafter für Libyen sitzt noch in Tunis. Ich habe aber geplant, im Laufe dieses Jahres einen Besuch vor Ort zu machen. Das ist ein Risiko, das ich bewusst eingehe. Das Land ist weiterhin ohne Zentralregierung und es kommt immer wieder vor, dass Menschen entführt werden.

Warum wollen Sie dieses Risiko auf sich nehmen?

Ich möchte mich dort mit potenziellen Partnern der Stiftung treffen. Das kann vielleicht auch weitere Risiken bergen. Eine pluralistische Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen, hat nicht nur Befürworter, gerade in diesen Ländern. Meine Anwesenheit vor Ort könnte also dazu führen, dass potenzielle Partner von uns auch ins Visier von Gegnern der Demokratie kommen. Also trage ich damit nicht nur ein Risiko für mich selbst. Ich bin aber ein überzeugter Demokrat und deshalb gehe ich dieses Risiko auch ein, um bei diesem Vorhaben mitzuhelfen.

Wie passt das Thema Risiko zum Thema Freiheit?

Die Freiheit birgt immer ein gewisses Risiko. Ich nehme mir die Freiheit, zu entscheiden, dass ich nach Libyen fahren will, auch wenn ich dabei ein Risiko eingehe. Die Stiftung drängt mich nicht dazu und will mich diesem Risiko eigentlich nicht aussetzen. Der Hauptaspekt, um mit Risiko umzugehen ist aber, sich im Vorfeld die richtigen Gedanken zu machen, um das Risiko von Vornherein zu minimieren. Das Risiko ist relativ zu der Art und Weise, wie man sich verhält.

Zur Person

Alexander Rieper, 39, hat Orientalistik in Bamberg studiert, spricht arabisch und persisch und hat bereits in vielen Ländern des Nahen und Mittleren Osten gelebt und gearbeitet. Von 2011 bis 2018 war er Regionalbüroleiter der FNF in Bayern, seit November ist er Büroleiter für Tunesien und Libyen.

 

freiraum #61