Ein Blick aus dem Maschinenraum der Politik. Von Dr. Lukas Köhler MdB

Debatte

 


HIER geht es zur Anmeldung zum Auftakttreffen des Fachkreises Greenological Optimism am 11. Februar 2020 in Berlin: Liberalismus & Nachhaltigkeit: ein blinder Fleck?


Zeitdruck und Wahlzyklen

Wenn Historiker irgendwann einmal die Geschichte der politischen Auseinandersetzung zum anthropogenen Klimawandel verfassen werden, wird vermutlich der “Zeitdruck” eine prägende Rolle spielen: Seit über dreißig Jahren sind die Zusammenhänge (mit zunehmender Sicherheit) wissenschaftlich belegt und es ist klar, dass nur ein begrenztes Zeitfenster bleibt, um politische Lösungen zu realisieren. Bisher hat dieser wahrgenommene Zeitdruck jedoch keine weitreichenden Lösungen hervorgebracht. Irgendwie scheint es, Politik stecke zwischen Sonntagsreden und kurzfristigem Handeln. Warum?

Es könnte daran liegen, dass Wahlen der Demokratie einen auf Kurzfristigkeit ausgerichteten Takt vorgeben, zumal dann, wenn sie überall auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden und “Denkzettel-Wahlen” die Regel werden. Machen wir uns nichts vor: Je weitreichender eine politische Reform ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit von nicht (ausreichend) bedachten negativen Konsequenzen, die schnurstracks zu Wahlniederlagen führen - ganz zu schweigen davon, dass die Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie eine große Herausforderung bleibt und Gewinner sowie Verlierer produzieren wird. Sind Probleme außerdem nicht dauernd präsent und gelten vor allem erst nach dem Jahr 2050 als relevant, muss man sich nicht wundern, dass Politik das Risiko scheut, weitreichende Reformen anzugehen, die über Wahlen hinaus Bestand haben.

Tatsächlich gab und gibt es aktuell zahlreiche Gelegenheiten, an Lösungen zu arbeiten: Im letzten Jahr sollten eigentlich drei Kommissionen eingesetzt werden: Kohle, Verkehr und Bau. Allein die Kohlekommission hat Ergebnisse geliefert, die ihren Namen verdienen; eine Baukommission wurde erst gar nicht eingeführt. Die Vorbereitung des Klimaschutzgesetzes, das noch 2019 verabschiedet werden sollte, war das Ziel – aktueller Stand: Chaos, obwohl dies vor 2020 geschehen muss. Dann nämlich werden auf EU Ebene die Nationally Determined Contributuions ratifiziert, also die nationalen Klimaziele, die dem Pariser Abkommen folgen. Parallel dazu, aber weitgehend unbeachtet, wird im Dezember auf der COP 24 in Chile das sogenannte Rule Book des Pariser Abkommens verhandelt und finalisiert. In diesem wird es um die Definition einer Tonne CO2 gehen, was zwar nicht besonders spannend klingt, aber gerade für Industrienationen immens wichtig ist.

Wettbewerb als Entdeckungsverfahren

Werfen wir einen Blick auf die bisherigen Lösungsansätze, so müssen wir Liberale uns eingestehen, dass unsere Ideen keine bedeutsame Rolle spielen – es stimmt, dass die Einführung des EU-Zertifikatehandels 2005 eine Ausnahme darstellt, aber auch hier blieb die Umsetzung (Ausdehnung auf alle Sektoren, adäquate Verknappung der Zertifikate) auf halbem Wege stecken. Stattdessen schwingt sich die Politik auf, Sektoren spezifisch zu regulieren und Technologien zu selektieren, als hätte man eine Kristallkugel. Man sollte insbesondere die politische Linke und die GRÜNEN immer wieder daran erinnern, dass dereinst auch die Atomenergie allen Experten als saubere Zukunftstechnologie galt, an der kein entwickeltes Industrieland vorbeikommen würde. Damals konnte es der SPD gar nicht schnell genug gehen, ins “Atomzeitalter” zu starten (und dieses dann Jahre später ebenso schnell auch wieder zu verlassen). Heute fiebert man dem “Solarzeitalter”, der “Elektromobilität” oder der “Wasserstoffwirtschaft” entgegen. In den sechziger Jahren hieß es, die Atomenergie liefere billige und fast unendliche Energie, schaffe Exportchancen und sichere Arbeitsplätze, heute kehren dieselben Argumente als “Green New Deal” zurück. Wäre die Ablehnung der Fixierung auf spezifische Technologien nicht die eigentliche Lehre aus der Kontroverse um die Atomenergie?

Klimaschutz – so die progressiv-liberale Lesart – erfordert die Bereitschaft, aus alten Denkmustern auszubrechen, und den Mut zu haben, neue und unkonventionelle Wege zu ermöglichen und tatsächlich auszuprobieren: Es gilt einen Rahmen zu setzen, so dass im “Wettbewerb als Entdeckungsverfahren” (F. A. Hayek) Lösungen gefunden werden können, die wir heute noch gar nicht kennen, und die sich im scharfen Wettbewerb des Marktes als überlegen herauskristallisieren, CO2 zu minimalen Kosten einzusparen. Es gilt zugleich, schon heute damit zu beginnen und nicht auf die Zukunft zu warten, auch wenn wir dafür auf Übergangslösungen setzen müssen. Es gilt die Vision zu kommunizieren, dass wir Liberale radikal gegen CO2 sind, aber wir es uns nicht anmaßen, die Lösungen im Detail zu kennen. Dabei dürfen wir uns jedoch unter keinen Umständen in nahezu wirkungsloser Symbolpolitik verzetteln, denn jede politische Maßnahme wird Verlierer produzieren, die sich schon zu Wort melden werden - man kann die Populisten ja in der Ferne schon hören. Wir dürfen unsere begrenzte Energie, eine tragfähige und dauerhafte gesellschaftliche Mehrheit für eine weitreichende Klimapolitik zu schaffen, nicht mit ineffizienten Maßnahmen verschleudern - und davon gibt es leider mehr als genug: die unüberschaubaren Kosten und zugleich sehr überschaubaren Ergebnisse der Energiewende; die wegen fehlender Anreize seit Jahren brachliegende Gebäudesanierung; der Verzicht auf CCS, mit der Kohle schon heute klimaschonend genutzt werden könnte; die Diskussionen um das Verbot von Ölheizungen; Tempolimit auf deutschen Autobahnen; das Verbot von Inlandsflügen, etc. - all das sollte uns eine Mahnung sein. Unsere Vision sieht da ganz anders aus: wir wählen lieber den Markt als Erfolgsgaranten radikaler Klimapolitik - damit die ökologische und ökonomische Zukunft unserer Kinder gesichert ist und sie nicht später erkennen müssen, dass wir heute auf die falschen Lösungen gesetzt haben und ihnen dann keine Wahl mehr bleibt. Dazu gehört dann aber auch, etwa Geo-Engineering nicht aus irrationalen, öko-romantischen Motiven zu verteufeln; es muss möglich sein, ergebnisoffen über die verschiedenen Klimaschutzinstrumente zu diskutieren. Auch Gentechnik und In-Vitro-Fleisch dürfen keineswegs tabuisiert, sondern sollten als eine realistische Chance betrachtet werden, die wachsende Weltbevölkerung ökologisch verantwortungsvoll zu ernähren – und vielleicht sogar als die einzig realistische Chance. Und was die ökonomischen Chancen betrifft, sollte es uns nachdenklich machen, dass sich mit Beyond Meat ausgerechnet eine US-amerikanische Firma anschickt, einen Hype um Fleischersatz zu begründen. Auch wir brauchen eine mutige und optimistische Start-Up-Kultur für nachhaltige und ökologische Produkte - und den richtigen Rahmen, um Innovationen in Deutschland zur Marktreife führen zu können.

Dass wir in Deutschland nicht genug CO2 ausstoßen, um sogar mit drastischen Reduktionen einen bedeutenden Einfluss auf die weltweiten Emissionen zu nehmen, darf uns indessen nicht zu der Annahme verleiten, keine Verantwortung zu tragen – ganz im Gegenteil: Als große Industrienation, die im eigenen Land nur einen sehr kleinen Spielraum hat, dafür aber umso größeres Know-How besitzt, müssen wir über unseren Tellerrand hinausblicken. Das Pariser Abkommen und die europäischen Klimaziele verpflichten uns zurecht, die Emissionen in Deutschland und Europa drastisch zu reduzieren. Aber nur wenn uns dies mit den richtigen Mitteln gelingt, wird unser Beitrag zum weltweiten Klimaschutz relevant sein.

Emissionszertifikate vs. CO2-Steuer

Grundsätzlich gibt es vier unterschiedliche Wege, mit CO2 umzugehen: vermeiden, nutzen, speichern oder emittieren, wobei die ersten drei geeignet sind, den unerwünschten vierten zu verhindern. Dass für die Vermeidung aber nicht notwendigerweise Anlagen stillgelegt werden müssen, haben findige Tüftler und Ingenieure bereits bewiesen. In ersten Modellversuchen ist es ihnen gelungen, den Kohlenstoff in der Stahlproduktion durch Wasserstoff zu ersetzen – und am Ende bleibt kein CO2 übrig, sondern schlicht und ergreifend Wasser. Solche Technologien sind bereits Realität. Es ist der Emissionszertifikatehandel (ETS), der hier für einen marktwirtschaftlichen und neutralen Anreiz schafft, weil er CO2-Emissionen verteuert, sich aber nicht um Technologien oder Sektoren schert. An dessen Teilnahme sind in Europa seit 2005 Unternehmen aus der Industrie, der Energiewirtschaft und des Luftverkehrs verpflichtet. Für jede emittierte Tonne CO2 müssen sie am Jahresende ein Zertifikat vorweisen, das sie an der Europäischen Emissionsbörse EEX ersteigert haben. Weil die Gesamtzahl der Zertifikate jedes Jahr analog zum Pariser Klimaabkommen reduziert wird, steigen die Preise im Laufe der Zeit an – und damit eben der ökonomische Anreiz, in klimafreundliche Technologien zu investieren. Kraftwerke mit hohen Treibhausgasemissionen werden somit nach und nach unrentabel, und ihre Betreiber entweder zum Umrüsten gezwungen – oder zum Stilllegen. Der Kohleausstieg, über den monatelang gestritten wurde, wäre also auch ohne Kohlekommission eingetreten - dank Emissionshandel. So aber müssen Steuerzahler die finanziell tonnenschwere Last für einen symbolpolitischen Akt tragen; diese Steuermilliarden wären in Forschungsförderung deutlich besser investiert.
Leider ist die Ausweitung des ETS politisch nicht so einfach zu realisieren; gegenwärtig gibt es dafür keine Mehrheit im Bundestag. Und so steht zu befürchten, dass sich die Idee einer CO2-Steuer durchsetzen könnte, die durch Verteuerung der Emissionen zwar kurzfristig eine ähnliche Wirkung entfalten kann, deren langfristige Wirkung aber fragwürdig ist: Was passiert, wenn die Rohstoffpreise sinken? Wer glaubt ernsthaft, dass die Politik - Stichwort „Wahlen“ - die Höhe der Steuer über die nächsten fünfzig Jahre so kontinuierlich anheben wird, wie es notwendig wäre? Man muss nur an die Kontroverse um die Einführung der Ökosteuer unter Rot-Grün zurückdenken, die ja auch schrittweise angehoben, von Gerhard Schröder dann aber rasiert wurde, um zu erkennen, welch Pyrrhussieg eine CO2-Steuer für die Klimapolitik wäre. Sobald wieder andere Themen dominant sind, würde diese zur neuen Sektsteuer: gibt es, besteht weiter, liefert einen Beitrag, hat aber keine Lenkungswirkung mehr. Und schon hätte man wieder eine langfristig zweifelhafte Symbolpolitik realisiert - wer glaubt ernsthaft, dass die Einführung einer solchen Steuer ohne kontroverse Debatten verliefe? Dass die AfD zustimmt?

Ein Auftrag an uns Liberale

Aus liberaler Perspektive lautet die entscheidende Frage daher, ob es uns gelingt, den vermeintlichen Widerspruch zwischen wirtschaftlicher Stärke einerseits und Umweltschutz andererseits aufzulösen – was in diesem Fall bedeutet, Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß zu entkoppeln. Dies kann aber nur gelingen, wenn wir die Kräfte des Marktes entfesseln und den Weg für eine mutige und optimistische Politik bereiten, die auf die Kreativität der Menschen vertraut. Aber machen wir uns nichts vor: spätestens mit der Finanzkrise 2008 haben marktwirtschaftliche Ideen an Popularität eingebüßt. Die spezifische Prägung des umwelt- und klimapolitischen Diskurses hat ihr Übriges dafür getan, dass man unsere Argumente in der gegenwärtigen Debatte kaum zur Kenntnis nimmt und politische Mehrheiten dafür in weiter Ferne sind. Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen den Boden für eine liberale Klimapolitik bereiten, müssen Narrative finden, deutlich stärker Emotionen ansprechen, Ideen entwickeln und erklären, Mut und Zuversicht wecken und genau damit schließlich Wähler überzeugen.

Zum Autor

Lukas hat in München und London Philosophie studiert und sich von 2011 bis 2015 zum Thema "Über die Repräsentation von Non-Voice-Parties in demokratischen Staaten” promoviert. Von 2015 bis 2017 war er Geschäftsführer des Zentrums für Umweltethik und Umweltbildung in München. 2011 trat er in die FDP und die Julis Bayern ein; von 2014 bis 2017 war er unter anderem bayerischer Landesvorsitzender der Julis. 2017 zog er für die FDP in den Bundestag ein, wo er nun Mitglied des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ist. Seine Kernthemen sind Umwelt, Menschenrechte und Generationengerechtigkeit. Lukas ist zulgleich Mitglied im Vorstand des VSA.

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