Als ich mit Anna gesprochen habe, war sie noch in Berlin, jetzt geht bald nach Moldau. Als Kind wollte sie alle drei Monate einen neuen Beruf und hielt es für unfair, dass sie als nicht gebürtige Estin nicht Präsidentin werden darf. Für ein richtig gutes Essen würde Anna mich mit nach Georgien nehmen und seitdem sie in Kasachstan einen Goldbatzen halten durfte, weiß sie auch, wie sich eine Million Euro anfühlen. Von Nora Therese Witt

Wortwechsel


Nachdem ich Anna bereits vor zwei Jahren zum ersten Mal in Berlin getroffen habe, weiß ich, dass es sich lohnt, direkt zu fragen, wo sie gerade ist, als wir uns über Zoom wiedersehen. „Gerade noch in Berlin“, ist die Antwort, aber es geht weiter. 2007 kam sie aus Tallinn nach Berlin und begann ihren Bachelor am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Uni in Berlin. Auch wenn sie vorher Deutsch gelernt hatte, war das Studieren in der Fremdsprache zu Beginn doch eine große Hürde. Trotzdem schaffte Anna es, ihren Bachelor nach drei Jahren abzuschließen.

„Prokrastiniert habe ich im Studium fast nur in Online-Shops, bei H&M ganz oft, Zalando gab es noch nicht. Aber meistens habe ich nur geschaut – geschaut und geträumt.“

Viel Zeit für anderes blieb ihr aber neben dem Studium in Berlin und ihren Jobs nicht. In einem kleinen Souvenirladen am Kudamm, für 4,50 Euro die Stunde, verdiente sie sich etwas dazu, bekam aber später einen Job in der Bibliothek des Osteuropa–Instituts, den sie drei Jahre behielt. Ganz im Gegensatz zu den langen Stunden am Kudamm verging hier die Zeit bei Abendschichten, umgeben von Büchern, wie im Fluge. Am gleichen Institut begann dann auch 2011 der zweite Teil ihres Studiums, mit einem Master in Osteuropastudien, den sie 2013 abschloss.

Wie sie heute sagt, viel zu spät, hat sie sich auf ein Stipendium bei der FNF beworben. Nur die letzten zwei Jahre ihres Studiums war sie Stipendiatin und hat deshalb leider, wie sie selbst sagt, nicht viel vom Stipendiatenleben mitbekommen.

„Ohne die Förderung der Friedrich-Naumann-Stiftung wäre ich jetzt definitiv nicht da, wo ich bin.“

Eine große Möglichkeit bekam sie durch die Unterstützung des damaligen Leiters der Begabtenförderung Dr. Christian Taaks, der ihr bei ihren Praktikumsplätzen half, einmal beim UNDP (United Nations Development Programme) in Moldau und im Stiftungsbüro in Georgien. Bei ihrem Praktikum in Tiflis bekam sie nicht nur die Möglichkeit, ihre Liebe für die georgische Küche zu entdecken, sondern es half ihr auch bei der der Forschung für ihre Masterarbeit.

„Als Kind wollte ich alle drei Monate einen neuen Beruf.“

Schon zu Grundschulzeiten empfand sie es als diskriminierend, dass sie als nicht gebürtige Estin nicht Präsidentin werden durfte, kann sich aber erinnern, einen Plan B gehabt zu haben. Die kleine Anna wollte die Frau des Präsidenten werden, die dann alles entscheidet. Abwechslung in ihrem Beruf ist ihr auch heute noch sehr wichtig. Zwei Jahre war sie jetzt in der Bundestagsfraktion der FDP als Fraktionsreferentin für Entwicklungspolitik und sorgte dafür, dass die Fraktion in allen Fragen zur Entwicklungszusammenarbeit am besten aufgestellt war. Ein absolutes Plus an ihrem Job: Sie konnte jeden Tag auf die Bundestagskuppel.

Aber es ist wieder Zeit für Abwechslung und neue Herausforderungen. Jetzt geht es zurück in die GIZ, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Entwicklungszusammenarbeit, diesmal nach Moldau, als Beraterin für Antikorruption.
„Ich mache mir keine Illusion, da groß die Welt verändern zu können. Aber ich kann ja auch die kleinen Erfolge feiern.“
Gewöhnt ist sie die Herausforderungen inzwischen. Schon vor ihrer Zeit im Deutschen Bundestag hat sie in der GIZ als Politikberaterin gearbeitet, in Bischkek in Kirgisistan und in Bonn. Wie ihre vielen Wohnorte und Tätigkeiten schon ahnen lassen, muss sie über die Frage nach dem spannendsten Arbeitstag eine Weile nachdenken und erzählt mir schließlich von einem Beispiel unter vielen. „Ich war in Bonn Beraterin für das Entwicklungsministerium im Bereich Rohstoffe, und war auf einer Konferenz zur Transparenz im Rohstoffsektor, die in Kasachstan stattgefunden hat. Die kasachische Regierung hat für uns den Ausflug in die Goldmine organisiert.“ Die Erinnerung vergisst sie nie, wie im Film wurde mitten im Nirgendwo im tiefsten Schnee für die Sprengung auf einen roten Knopf gedrückt. Und dann noch einen Klumpen Gold auf dem Arm. „Eine Million Euro, einfach geil und schwer.“

 „Ich kann mir nicht vorstellen, immer an einem Ort zu leben.“

Auch wenn sie Berlin liebt, freut sich Anna, jetzt wieder woanders wohnen zu dürfen und auch das Meerweh hat sich bis heute nicht ganz besiegen lassen. Das Wasser nicht zu weit weg, das ist wichtig, da hat das Großwerden an der Ostsee doch seine Spuren hinterlassen. Die Meeresspuren spiegeln sich auch in den Wünschen für Orte wieder, an denen sie es spannend fände zu leben. Singapur und Kolumbien oder Südamerika allgemein, aber eigentlich ist sie auch ganz glücklich mit der Abwechslung, die sie schon erleben durfte.

Annas Antwort auf die Frage, welchen Beruf sie jetzt gerne hätte, wenn sie sein könnte, was auch immer sie wolle, lässt mich schmunzeln und wünschen, das Gleiche auch irgendwann mal sagen zu können. „Ich denke, dass ich im richtigen Job bin. Ich habe eigentlich immer das Gefühl, in meinem Job etwas Gutes zu tun.“

Anne Kraftsenko ist Altstipendiatin der FNF.

Nora Therese Witt studiert aktuell Regionalstudien Asien/Afrika mit Schwerpunkt Südasien an der Universität Bergen, Norwegen. Seit April 2018 ist sie in der Grundförderung der FNF.

freiraum #68